Polydisziplinarität
Allgemeine Definition
(bb) Das im deutschen Sprachraum offenbar noch nicht lexikalisch oder enzyklopädisch erfasste [1] Kompositum Polydisziplinarität - zusammengesetzt aus dem Präfix poly- (= viel, viele; mehrere) und dem Begriff Disziplin (im Sinne von wissenschaftlichem Fach, Einzelwissenschaft oder Fachwissenschaft als Stammwort - wird bei Atlantisforschung.de zunächst als allgemeiner Oberbegriff für die z.T. verwirrend widersprüchlich definierten [2] wissenschaftlichen Termini Crossdisziplinarität, Interdisziplinarität, Multidisziplinarität und Transdisziplinarität zur wissenschaftssytematischen Charakterisierung jeder nicht monodisziplinär bzw. fachzentristisch orientierten oder organisierten Forschungstätigkeit sowie -ausrichtung verwendet. Er stellt also zunächst lediglich ein Gegenwort zu Monodisziplinarität dar, welches keine speziellen Ausformungen der Interaktion zwischen Angehörigen verschiedener Disziplinen beschreibt.
Bei dieser Definition orientieren wir uns an der Verwendung des Adjektivs "polydisciplinary" im Englischen durch William Shalinsky (University of Waterloo): "A polydisciplinary group is one in which there is a mix of disciplines or professions. Four types of polydisciplinary groups are identified and described; these are multidisciplinary, pluridisciplinary, cross-disciplinary, and interdisciplinary groups." [3]
Erweiterte Definition: Zur Verwendbarkeit des Begriffs im Bereich der Interaktion konventioneller und außenseiterischer Forschung
Begriffe, wie 'Multidisziplinarität', 'Crossdisziplinarität' und 'Pluridisziplinarität' lassen sich definitionsbedingt zumeist nur auf Disziplinen bzw. Fachwissenschaften universitärer Schulwissenschaft (bzw. auf die Interaktion zwischen ihnen) anwenden, welche sich zwar als "wissenschaftshistorisch gewachsene Einheiten [...] in Gegenstand, Methoden, Erkentnisinteressen, Theorien und Arbeisstilen voneinander unterscheiden" [4], aber zumeist durch gemeinsame Paradigmen-Rahmen und stets durch ihren kollektiven, 'zünftigen' Anspruch auf ein universitäres Monopol in Bezug auf Forschung und Lehre verbunden sind.
Anders gesagt, behandeln und beschreiben diese Begriffe lediglich das Verhältnis bzw. mögliche Interaktionsformen zwischen 'anerkannten' universitären Disziplinen, während eine Integration alternativer Ansätze und Modelle (für welche der Begriff der 'Disziplin' unzureichend und letztlich unzutreffend ist) in das jeweilige Kooperations- oder Interaktionsmodell im Rahmen universitärer 'Kathederphilosophie' [5] weder angedacht wird noch innerhalb des Definitionsrahmens möglich erscheint.
Die Verwendung des noch nicht durch zahllose Spezial-Definitionen eingeengten Ausdrucks Polydisziplinarität (adjektivisch: polydisziplinär) lässt dagegen auch in Bezug auf die fließend ineinander übergehenden Zonen devianter Forschung in Randbereichen des universitären Bezirks und außeruniversitärer, so genannter Grenzwissenschaften und nicht-disziplinärer Forschungsrichtungen sowie -komplexe eine exakte typologische Darstellung auf unterschiedlichen Betrachtungsebenen zu. [6]
So ist beispielsweise der moderne Diffusionismus, der im Sinne einer Forschungsrichtung oder -ausrichtung nicht mit dem Begriff einer 'Disziplin' zu erfassen ist, aber auf zahlreiche Disziplinen (Fach- oder Einzelwissenschaften) (Abb. 2) als Hilfswissenschaften zugreift, auf einer rein struktureller Ebene eindeutig als polydiziplinär zu beschreiben. In Bezug auf die Atlantisforschung - ebenfalls keine 'Disziplin' im klassischen Wortsinn - kann festgestellt werden, dass sie in struktureller Hinsicht einen polydisziplinären, in wissenschaftsphilosophischer Hinsicht einen transdisziplinären Charakter aufweist.
Anmerkunken und Quellen
Fußnoten:
- ↑ Anmerkung: Ein Lemma 'Polydisziplinarität' findet sich online bisher weder im Duden oder bei wissen.de noch bei Wikipedia oder im Wiktionary. In der Schweiz wird der Begriff polydisziplinär' allerdings häufig im Zusammenhang mit medizinischen Gutachten verwendet. Siehe dazu z.B.: SuisseMED@P, unter: Häufig gestellte Fragen - Was ist SuisseMED@P? (abgerufen: 09.02.2014)
- ↑ Anmerkung: "Spätestens seit den 1980er Jahren lässt sich eine zunehmende Verwendung der Begriffe >Interdisziplinarität<, >Multidisziplinarität< und >Transdisziplinarität< im wissenschaftlichen Diskurs beobachten. [...] Unklar bleibt aber häufig, was mit >Interdisziplinarität<, >Multidisziplinarität< und >Transdisziplinarität< eigentlich gemeint ist. Zum Teil werden diese Begriffe synonym, zum Teil aber auch für unterschiedliche Arten disziplinübergreifender Wissenschaftspraxis verwendet. Dieser unachtsame und uneinheitliche Umgang mit diesen Terminologien wird, insbesondere seitens der Wissenschaftsforschung immer wieder thematisiert." Quelle: Andreas Gebesmair, "Randzonen der Kreativwirtschaft", Münster (LIT Verlag), 2009, S. 228-229
- ↑ Quelle: William Shalinsky, "Polydisciplinary Groups in the Human Services (Abstract)", in: Small Group Research, May 1989 vol. 20 no. 2 203-219 (SAGE journals; abgerufen: 09.02.2014)
- ↑ Quelle: Andreas Gebesmair, op. cit., S. 229
- ↑ Anmerkung: Den eigentlich antiquerten, aber heute - im Zeitalter der Neo-Scholastik - wieder höchst aktuellen, gezielt despektierlichen Begriff 'Kathederphilosophie' verwendete z.B. Robert von Nostitz-Rieneck 1893 in einem Essay. Siehe: Ders., "Friedrich Wilhelm Niezsche und die zünftige Wissenschaft", in: Stimmen aus Maria-Laach - Katholische Blätter, Fünfundvierzigster Band, Freiburg im Breisgau, 1893, S. 229 ff.; digialisiert und online gestellt durch die Universitätsbibliothek Tübingen (abgerufen: 17.02.2014)
- ↑ Anmerkung: Insofern kann Polydisziplinarität in einer erweiterten Definition auch den - wohl nicht einführbaren - Begriff der Supradisziplinarität ersetzen, womit (supra- = über, darüber usw.) eine polydisziplinäre Forschung gemeint ist, welche nicht nur die Monodisziplinarität überwindet, sondern das schablonenhafte Strukturprinzip universitärer Disziplinarität schlechthin.
Bild-Quellen:
- 1) Uniaugsburg bei Wikimedia Commons, unter. File:Jura hoersaal.jpg
- 2) Bildarchiv Atlantisforschung.de