Colonel P.H. Fawcett, "Manoa" und Atlanter in Brasilien

I. Eine tragische Persönlichkeit der Atlantisforschung

(bb) In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wandten sich Forscher, Abenteurer und Glücksritter wieder verstärkt den Geheimnissen der damals noch kaum erforschten Urwälder Südamerikas zu. Der Atlantologie-Kritiker de Camp schrieb dazu 1975: "Nun irrlichterten die Schatzstädte der brasilianischen Eingeborenen schon seit den Tagen durch die spekulative Altertumskunde, da die 'Conquistadores' das riesige Land der Länge und Breite nach auf der vergeblichen Suche nach dem Eldorado durchzogen.

Abb. 1: Colonel Percy Harrison Fawcett (1867-1925?)

Der britische Atlantist Wilkens schrieb ein Buch über diese vermeintlichen Relikte einer höheren Zivilisation. Vor mehr als einem halben Jahrhundert spendete die Familie Krupp etliche Millionen Mark, um damit eine Expedition zum Mato Grosso auszurüsten, die nach einer solchen Stadt suchen sollte." [1]

Eine in mehrfacher Hinsicht tragische Forscher-Persönlichkeit, die damals ebenfalls magisch von der "grünen Hölle" der südamerikanischen Dschungel angezogen wurde, war der, 1867 im englischen Devon geborene, Colonel Percy Harrison Fawcett (Abb. 1). Im Alter von neunzehn trat er in die Königlich Britische Artillerie ein und verbrachte während seiner Militärzeit mehrere Jahre in Ceylon, wo er seine Frau kennenlernte und heiratete. Später übernahm er auch geheimdienstliche Tätigkeiten in Nordafrika. Innerlich entfremdete sich Fawcett allerdings immer mehr vom Militärleben, und er begann nach Alternativen zu suchen.

So erlernte Fawcett die Kunst der Landvermessung und ergriff sofort die Chance, als er im Jahr 1906 ein Angebot der Royal Geographical Society erhielt. In ihrem Auftrag sollte er die zwischen Bolivien und Brasilien umstrittenen Staatsgrenzen vermessen und kartographieren. "Ein Großteil des Gebiets war 'Gummi-Land', wo riesige Wälder aus Kautschuk-Bäumen angezapft werden konnten, um den Bedarf der Welt nach Gummi zu decken und Einnahmen für Länder wie Bolivien und Brasilen zu erzeugen. Das Fehlen klar definierter Grenzen könnte zum Krieg führen. Eine Expedition zur Markierung der Grenzen konnte weder von einem Bolivianer noch von einem Brasilianer geleitet werden. Mit diesem Job konnte nur eine neutrale dritte Partei betraut werden und die Royal Geographical Society war gebeten worden, als Unparteische zu fungieren." [2]

Abb. 2: Eines der Expedi- tionsteams von Colonel Fawcett, der zwischen 1906 und 1925 die Dschun- gel Südamerikas bereiste.

Bei seinen Reisen erwies Fawcett sich als vielseitig interessierter und scharfer Beobachter, der nicht nur die für seine Arbeit notwendigen geographischen Details im Auge hatte, sondern sich auch für Fauna und Flora, Menschen und Kulturen der unbekannten Gegenden interessierte, die er bereiste. In einem Referat, das er im Jahr 1911 vor der Royal Geographic Society in London hielt, spiegelt sich seine Begeisterung für die Wildnis wieder, die ihm inzwischen zur zweiten Heimat geworden war:

Ich habe auf die Romantik hingewiesen, die den Forscher erwartet, wenn er die Flußgebiete verläßt und sich aus den Kautschuk-Distrikten in die entlegeneren Wälder hinein entfernt. Das ist nicht übertrieben. Dort gibt es seltsame Bestien und bizarre Insekten für die Naturforscher, und alle Ursache, die Existenz der mysteriösen weißen Indianer nicht als Mythos zu verdammen. Es gibt Gerüchte über Wald-Pygmäen und alte Ruinen. Näher an der Zivilisation liegen vergessene Bergwerke.

Man weiß rein gar nichts über das Land, ein paar hundert Yards entfernt von den Flussufern. Da gibt es Fährten von eigenartigen Tieren, gewaltig und unbemerkt im Morast der Ufer dieser Seen hinter den unbekannten Wäldern des bolivianischen Caupolican…. Ich könnte den Appetit auf diese Romantik mit weiteren [Details] reizen; aber auch das würde nicht reichen, um solche Reiseerzählungen Leuten schmackhaft zu machen, die zuhause sitzen und denken, sie wüßten alles, was es über die Welt zu wissen gibt.[3]

Es gehört zur oben angesprochenen Tragik in Fawcetts Leben, dass das wissenschaftliche Establishment stets vor allem aus solchen Leuten zu bestehen pflegt, "die zuhause sitzen und denken, sie wüßten alles..." Dies galt natürlich auch für seine Auftraggeber, und "die Royal Geographic Society nahm seine Berichte oder Präsentationen niemals ernst. Dies verletzte ihn tief und wirkte sich auf seine spätere Arbeit aus." [4]

Abb. 3: Fawcett war be- geistert von der Fauna und Flora des Landes und schwärmte enthusiastisch von der "Romantik", die den Forscher dort auf seinen Reisen erwartet.

Fawcett war - aus damaliger wie heutiger Sicht - doppelt stigmatisiert. Zum einen war da seine Überzeugung, der Platonische Atlantisbericht beruhe auf Tatsachen; Spuren der alten Atlanter-Zivilisation bzw. ihrer Nachfolger seien in den tropischen Regenwäldern Brasiliens zu finden, wo er mehrere versunkene Metropolen aus postatlantischer Zeit vermutete. "Ein anderes Charakteristikum von Fawcett ist sein gleichzeitiger Glaube an (a) die greifbare, empirische Welt der Wissenschaft, und (b) eine spirituelle Welt, wo Beobachtungen häufig nicht mittels technischer Messungen oder Analysen gemacht werden können. Im Ergebnis war Fawcett Wissenschaftler und Mystiker; und Mystiker sind nicht "politisch korrekt" heutzutage. Es ist augenscheinlich, dass viele Leute zu Fawcetts Zeiten so empfanden". [5]

Auch noch heute wird Fawcett weniger als ernstzunehmender Forschungsreisender, denn als "esoterischer Spinner" (bestenfalls als spleeniger Brite und typisches Fossil der Kolonialzeit) wahrgenommen. Besonders seine ethnologischen Betrachtungen laden geradezu zu Fehlinterpretationen ein, die selbst einer durchaus begründeten Kritik folgen können: "Seine kulturelle Ausrichtung an der britischen oberen Mittelklasse prägt sein Werk fast an allen Stellen. Ich sage dies nicht, weil dies zu beanstanden wäre, oder in irgendeiner Weise die Akkuratesse von Fawcetts Beobachtungen oder Erlebnissen beeinträchtigen würde, sondern weil viele Menschen in unserer heutigen Kultur, die so dominiert wird von der Sorge um >political correctness< und >Wertschätzung kultureller Diversität<, wegen seiner konservativen (aber anscheinend sehr scharfsinnigen) rassischen und kulturellen Betrachtungen einfach alles bestritten haben, was Fawcett geleistet hat." [6]

So betonte Fawcett bei seinen ethnologischen Notizen nicht selten sehr schematisch die Unterschiede zwischen verschiedenen Stämmen, denen er unterwegs begegnete: "Einen beschreibt er als hellhäutig, blauäugig, mit rotbraunen Haaren; den anderen als schwarz, behaart, primitiv, brutal. Ein sorgfältiger Leser wird bald bemerken, dass Fawcett die Rassen, denen er begegnet in erster Linie ihrem Verhalten nach charakterisiert, nicht nach ihrem Erscheinungsbild. Aber ihr Aussehen ist für ihn zunächst als Erkennungs-Merkmal für Stämme wichtig; zweitens, da er während seiner gesamten Laufbahn in Brasilien nach einer Rasse eines bestimmten Phänotyps suchte: hellhäutig, blauäugig, mit hellem Haar. Er glaubte, dass sie von einer alten Hochkultur abstammte, und womöglich Hinweise liefere, die ihn zu Raposo's verlorener Stadt führen würden." [7]

Abb. 4: Weite Gebiete des brasilianischen Regen- walds, die zu Fawcetts Zeiten noch unberührt wa- ren, sind heute bereits ver- nichtet - ebenso wie ihre damaligen Bewohner.

Tragisch ist natürlich auch Fawcetts mysteriöses Ende bzw. das Verschwinden seiner letzten Expedition im Jahr 1925 im Gebiet des Matto Grosso. Die Ironie des Schicksals hat es gewollt, dass dieser Mann nicht durch seine Forschungen oder spektakuläre Entdeckungen große Popularität erlangte, sondern im Gegenteil durch sein letztliches Scheitern und das publikumswirksame Rätsel um seinen lange ungeklärten Verbleib. Jahrzehnte später, nachdem dieses Rätsel endlich gelöst war (siehe: Auf Fawcetts Spuren), sollte sich zudem herausstellen, dass er keineswegs kurz davor gestanden hatte als eine Art "zweiter Schliemann" in die Wissenschaftsgeschichte einzugehen: "Manoa" ("Z"), die verlorene "Stadt aus Quarz", von deren Existenz der Colonel so felsenfest überzeugt war, wurde von einer späteren Expedition unter seinem Sohn Brian als natürliche Felsformation identifiziert.

Auch aus dem Blickwinkel der modernen Atlantisforschung hat Fawcett auf den ersten Blick scheinbar nur wenig vorzuweisen, um seine Hypothese vom postatlantischen Kolonisationsraum Brasilien zu untermauern. Seine esoterischen Informationen haben sich de facto als wertlos erwiesen und archäologische Evidenzen für die sagenhaften Ruinenstädte Brasiliens oder postdiluviale Hochkulturen konnten von ihm nicht erbracht werden. (Erst Jahrzehnte später kamen tatsächlich Relikte prähistorischer Hochkuren aus dieser Region ans Licht, die Fawcett in gewisser Weise "entlasten"; siehe: Große alte Zivilisationen in Amazonien - unmöglich?)

Trotzdem hat Percy Harrison Fawcett, der in Gebiete vordrang, die noch kein Europäer vor ihm besucht hatte, sich durch seine authentischen, detailreichen und lebendigen Beschreibungen der dortigen indigenen Volksstämme ein bleibendes Verdienst um die (alternativ-) historische Erforschung des präkolumbischen Lateinamerika erworben. Viele der indianischen Stammes-Kulturen, die er noch in intaktem Zustand kennenlernte und deren Eigentümlichkeiten er in seinen Reiseaufzeichnungen dokumentiert hat, sind heute ebenso "verschwunden" wie der glücklose Colonel und seine Begleiter.

Fawcetts Notizen, die später von seinem Sohn Brian Fawcett unter dem Titel "Lost Trails, Lost Cities" [8] herausgeben wurden, verraten uns auch heute noch faszinierende Details zur ethnischen Vielfalt der "roten", "schwarzen" und "weißen" Völker dieses Großraums (einer Vielfalt, die aus Sicht des Diffusionismus ein weiteres Indiz für frühe interkontinentale Migration sein könnte). Sie stellen das eigentliche Vermächtnis des Forschers dar, ein Vermächtnis, das bewahrt und in Ehren gehalten werden sollte.


Colonel P.H. Fawcett, "Manoa" und Atlanter in Brasilien (Fortsetzung)

II. Fawcett, der Okkultismus, die Indianer und Atlantis (bb)

III. Die letzte Expedition des Colonel Fawcett (bb)

IV. Der Kult um Colonel Fawcett (bb)

V. Auf Fawcetts Spuren (bb)

VI. Anmerkungen und (Bild-) Quellen (bb)


Anmerkungen und Quellen:

  1. Quelle: Lyon Sprague de Camp, Versunkene Kontinente, Verlag Heyne, 1977, S. 88
  2. Quelle: Lee Krystek, "Colonel Percy Fawcett", Virtual Exploration Society, online unter: http://www.unmuseum.org/fawcett.htm
  3. Quelle: Susan C. Millar, In Search of Manoa - Colonel Percy Fawcett, online unter http://www.stangrist.com/Fawcett.htm
  4. Quelle: "Spider Cañon", unter http://www.spidercanyon.com/backiss/books4.html
  5. Quelle: ebd.
  6. Quelle: ebd.
  7. Quelle: ebd.
  8. Lost trails.jpg
    "Lost Trails, Lost Cities" von Col. P. H. Fawcett, bearbeitet und herausgegeben von Brian Fawcett, erschien erstmals 1953 in den USA unter dem Titel "Trails, Lost Cities" (Funk & Wagnalls). In Großbritannien wurde es unter dem Titel "Exploration Fawcett" veröffentlicht.


Bild-Quellen:

(1) http://home.earthlink.net/~larryorcutt/fawcett.html

(2) http://www.spidercanyon.com/backiss/books4.html (nicht mehr online)

(3) http://www.woodskunk.addr.com/jbj/biketrip/Pictures/tr12/DCP_0969.JPG

(4) http://www.worldbank.org/rfpp/iag/questo1.jpg