Eine theoretische und historische Betrachtung von Hörbigers Glazialkosmologie (II)
von Louis Pauwels und Jaques Bergier
[...] Nach Hörbigers Ansicht also wäre der Mond (Abb. 8), den wir erblicken, nur der letzte, der vierte Satellit, den die Erde eingefangen hat. Im Verlauf seiner Geschichte hätte unser Globus bereits drei andere Monde angezogen. Die gesamte Geschichte des Erdballs, die Entwicklungen der Arten und die Menschheitsgeschichte finden ihre Erklärung in dieser Aufeinanderfolge der Monde an unserem Himmel.
Es hat deshalb - entsprechend den vier Monden - vier geologische Epochen gegeben. Wir befinden uns im Quartär. Wenn ein Mondniederbruch erfolgt, so ist dieser Mond zuvor auseinandergeborsten und hat sich, wie wir sahen, während er immer schneller und schneller rotierte, in einen Ring aus Gestein, Eis und Gas verwandelt. Dieser Ring nun ist es, der auf die Erde fällt, sich kreisförmig über die Erdkruste lagert und alles, was sich unter ihm befindet, fossil werden läßt. Zu normalen Zeiten versteinern die in der Erde begrabenen Organismen nicht, sondern sie verwesen. Fossil werden sie nur in dem Augenblick, in dem ein Mond niederstürzt. Dies ist der Grund, warum wir eine Primär-, eine Sekundär- und eine Tertiär-Epoche feststellen können.
Während sich der Satellit der Erde nähert, also in einem Zeitraum von von einigen hundert-tausend Jahren, umkreist er unsere Erde in einem Abstand von etwa vier bis sechs Erdradien. Im Vergleich mit dem gegenwärtigen Abstand unseres Mondes ist er also fast in Reichweite. Die Gravitation hat sich entsprechend verändert; diese Zeit ist somit eine Periode des Riesen-wuchses. Und tatsächlich lassen sich am Ende der Primär-Epoche Riesenpflanzen und Riesen-insekten nachweisen.
Am Ende der darauffolgenden Epoche finden wir den Diplodocus und den Iguanodon, Tiere von dreißig Meter Länge. Es vollziehen sich plötzliche Mutationen, die kosmische Strahlung hat sich verstärkt. Die Wesen, die von der Last des Gewichts befreit sind, recken sich empor, die Schädelknochen erweitern sich, die Tiere beginnen zu fliegen. Vielleicht sind bereits gegen Ende der Sekundär-Epoche die ersten Riesensäugetiere aufgetaucht - vielleicht auch schon die durch Mutation entstandenen ersten Menschen. Jedenfalls wäre diese Periode, die etwa fünfzehn Mil-lionen Jahre gedauert haben dürfte, für das Ende der Sekundär-Epoche anzusetzen, für jenen Zeitpunkt also, an dem der zweite Mond den Erdball umkreiste.
Es ist das Zeitalter unseres Vorfahren, des Riesen. Madame Blavatsky, die behauptete, Zugang zum Dzyan-Buch, dem angeblich ältesten Text der Menschheit zu haben, in dem die Ursprungsgeschichte des Menschen erzählt wird, versichert ebenfalls, daß in der Sekundär-Epoche eine erste menschliche Riesenrasse entstanden sei: "Eines Tages wird der Sekundär-Mensch entdeckt werden und mit ihm seine seit Urzeiten verschollenen Kulturen."
So finden wir in einer Nacht der Zeiten, die unendlich viel dunkler ist, als wir annahmen, unter einem anderen Licht als dem unseren, in einer Welt der Monstren den ungeheuerlich großen ersten Menschen, mit dem wir kaum noch Ähnlichkeit aufweisen und dessen Gehirn anders ge-artet war als das unsere. Den ersten Menschen und vielleicht auch das erste Menschenpaar, aus einer tierischen Gebärmutter hervorgegangene Zwillinge, umgewandelt durch eines jener Mutationswunder, die unter der Einwirkung starker kosmischer Strahlungen auftreten.
Die Schöpfungsgeschichte berichtet uns, daß die Abkömmlinge dieses Ahnherrn fünfhundert bis neunhundert Jahre alt wurden: die Verminderung des auf ihnen lastenden Gewichts bewirk-te eine langsamere Abnutzung des Organismus. Die Bibel spricht [in diesem Zusammenhang; d. Red.] zwar nicht von Riesen, aber die jüdischen und moslemischen Überlieferungen füllen diese Lücke reichlich aus. Die Schule Hörbigers behauptet übrigens, die Überreste des Sekundär-Menschen seien kürzlich in Rußland entdeckt worden.
Wie mögen nun die Kulturformen des Riesen vor fünfzehn Millionen Jahren ausgesehen ha-ben? Man nimmt Lebensgemeinschaften und Lebensformen nach dem Muster der aus der Pri-mär-Epoche stammenden Riesen-Insekten (Abb. 9) an, deren degenerierte Nachfahren unsere heutigen noch immer höchst erstaunlichen Insekten sind. Man stellt sich außerordentliche Kräf-te vor, die auf weite Entfernungen miteinander in Verbindung treten können, Zivilisationen nach Art der psychischen und materiellen Energiezentralen, wie sie zum Beispiel in Termiten-staaten verwirklicht sind, die den Beobachter vor so viele verwirrende Probleme hinsichtlich der unbekannten Bereiche der Infrastrukturen - oder auch Superstrukturen - der Intelligenz stellen.
Auch der zweite Mond rückt immer näher, zerplatzt dann zu einem Ring und geht auf die Erde nieder, die in eine neue und lange Daseinsperiode ohne Satellit eintritt. In dieser Periode sind nur noch einige Vertreter besagter Mutationsresultate am Leben. Sie werden weiterleben, jedoch an Größe abnehmen. Es gibt daneben aber auch noch Riesen, die sich allmählich den veränderten Verhältnissen anpassen. Wenn der Tertiär-Mond auftaucht, haben sich gewöhnliche Menschen entwickelt, kleiner und weniger intelligent als die Riesen. Diese letzteren, die Überlebenden der Sekundär-Epoche, werden die kleinen Menschen zivilisieren.
Die Idee, daß die Menschen sich allmählich aus einem wilden, tierähnlichen Stadium allmählich zur Zivilisation emporentwickelten, ist verhältnismäßig jungen Datums. Sie ist ein jüdisch-christlicher Aberglaube, den man dem Bewußtsein aufdrängte, um einen viel mächtigeren und tieferen Mythos auszuschalten. Als die Menschheit noch jung war, noch näher ihrer Vergangenheit, zu einer Zeit, da noch keine kunstvoll angezettelte Verschwörung sie aus den Bereichen ihrer eigenen Erinnerung verjagt hatte, wußten sie, daß sie von den Göttern und Riesenkönigen abstammten, die sie alles gelehrt hatten.
Sie erinnerten sich an ein Goldenes Zeitalter, in dem jene höheren Wesen sie in den Fähigkeiten des Ackerbaus und der Metallbearbeitung, in den Künsten, den Wissenschaften und der Erforschung der Seele unterwiesen. Die Griechen erzählen vom Zeitalter des Saturn und von der Dankbarkeit, die ihre Vorfahren dem Herakles schuldeten. Die Ägypter und Mesopotamier berichten in ihren Sagen von Riesenkönigen, die ihre Reiche begründeten. Die Völkerstämme, die wir heute als "Primitive" bezeichnen, die Eingeborenen der pazifischen Inseln zum Beispiel, kennen in den Riten ihrer zweifellos schon verflachten Religion den Kult der guten Riesen aus den ersten Tagen der Welt.
Zu unserer Zeit nun, in der man alle Wahrheiten des Geistes und des Verstandes verfälscht hat, finden Menschen, denen es mit Aufgebot aller Kräfte gelungen ist, sich von den offiziellen Denkweisen freizumachen, auf dem Grunde ihrer Seele die Sehnsucht nach den glücklichen Tagen der Morgendämmerung der Zeiten, nach einem verlorenen Paradies, die dumpfe Erinnerung an ursprüngliche Offenbarungen. Von Griechenland bis Polynesien, von Ägypten bis Mexiko und Skandinavien stoßen wir auf die Überlieferung, daß die Riesen die ersten Lehrmeister der Menschheit waren. Sie bezieht sich auf das Goldene Zeitalter des Tertiär, das mehrere Millionen Jahre andauerte und in dem die moralische, geistige und vielleicht auch technische Kultur der Erde ihren Gipfelpunkt erreichte. "Als noch die Riesen unter uns, den Menschen, weilten, Zu jener Zeit, da noch kein Wort je ward gehört..." schreibt Victor Hugo wie im Banne einer unerhörten Erleuchtung.
Der Tertiär-Mond, dessen Spirale sich ständig verengt, nähert sich der Erde. Die Wasser steigen, angesogen von der Gravitationskraft des Satelliten, und die Menschen flüchten mit den Riesen, ihren Königen, auf die höchsten Gipfel der Berge. Auf diesen Gipfeln, hoch über den flutenden Ozeanen, werden sie eine maritime Weltkultur errichten, in der Hörbiger und sein englischer Schüler Bellamy die Kultur von Atlantis sehen.
Bellamy entdeckt in den Anden in einer Höhe von viertausend Metern die Spuren von Meeressedimenten, die sich über siebenhundert Kilometer erstrecken. Bis hierher also stiegen die Wasser am Ende der Tertiär-Epoche, und eins der Kulturzentren jener Zeit war das in der Nähe des Titicaca-Sees gelegene Tiahuanaco (Abb. 12). Die Ruinen von Tiahuanaco zeugen von einer viele hunderttausend Jahre alten Kultur, die keinerlei Ähnlichkeit mit irgendeiner der späteren Zivilisationen aufweist. [1]
Hier werden, nach Meinung der Anhänger Hörbigers, die Spuren der Riesen in unerklärlichen Monumenten sichtbar. So befindet sich hier zum Beispiel ein neun Tonnen schwerer Steinblock, der auf sechs Seiten drei Meter lange Zapfenlöcher aufweist, deren Bedeutung den heutigen Architekten unbegreiflich ist. Außerdem hat man Tore von drei Meter Höhe und vier Meter Breite entdeckt. Sie sind aus einem einzigen Stein gehauen und weisen Türen, mit dem Meißel gehauene Fenstervertiefungen und Skulpturen auf. Eines dieser Tore ist zehn Tonnen schwer.
Mauerkuben mit einem Gewicht von sechzig Tonnen ruhen auf hundert Tonnen schweren Sandsteinblöcken, die wie Keile in die Erde gerammt sind. Zwischen diesen rätselhaften Ruinen erheben sich riesige Statuen, von denen man eine forttransportiert und im Garten des Museums von La Paz aufgestellt hat. Sie ist acht Meter hoch und wiegt zwanzig Tonnen. Selbst-verständlich sehen die Anhänger Hörbigers in diesen Skulpturen von den Riesen verfertigte Selbstportraits.
"Aus den Linien des Gesichts dringt in unsere Augen und Herzen ein Ausdruck hoheitsvoller Güte und erhabener Weisheit. Eine unaussprechliche Harmonie geht von dem Koloß aus, dessen Körper und Arme in ihrer vergeistigten Stilisierung ein geradezu moralisches Gleichgewicht ausdrücken. Der ganze wunderbare Monolith strömt Ruhe und Frieden aus. Falls wir hier das Portrait eines der Riesenkönige vor uns haben, die über jenes Volk herrschten, so kommt einem unwillkürlich der Anfang eines Satzes von Pascal in den Sinn: >Wenn Gott uns von seiner Hand geschaffene Meister gab...<."
Sollten diese Monolithen tatsächlich von den Riesen behauen und für ihre Schüler, die Menschen, aufgestellt worden sein, sollten diese Skulpturen mit ihrer für unsere Begriffe beinahe unfaßlichen Abstraktion und Stilisierung wirklich von jenen Meistern stammen, so befänden wir uns hier an der Wiege der Sagen, laut denen die Künste den Menschen von den Göttern ge-schenkt wurden, und wir hätten den Schlüssel zu verschiedenen ästhetisch orientierten mystischen Richtungen in der Hand.
Unter diesen Skulpturen finden sich auch stilisierte Wiedergaben eines Tiers, des Toxodons (Abb. 11), dessen Knochen unter den Ruinen von Tiahuanaco entdeckt wurden. Nun weiß man aber, daß das Toxodon einzig in der Tertiärzeit gelebt haben kann. Und schließlich gibt es in dieser Ruinenstadt, die etwa hunderttausend Jahre vor dem Ende der Tertiär-Epoche entstanden sein dürfte, einen im getrockneten Schlamm eingebetteten Portikus, dessen Dekorationen der deutsche Archäologe Kiss, ein Schüler Hörbigers, zwischen 1928 und 1937 eingehend studiert hat. Sie stellen seiner Ansicht nach einen Kalender dar, der nach den Beobachtungen der Astronomen des Tertiärs aufgezeichnet wurde.
Dieser Kalender liefert uns unumstößliche wissenschaftliche Tatsachen. Er gliedert sich in vier Teile, die durch die Sonnenwenden und die Tag- und Nachtgleichen, welche die astronomischen Jahreszeiten markieren, voneinander getrennt sind. Jede dieser Jahreszeiten wiederum zerfällt in drei Abschnitte, und innerhalb dieser zwölf Unterabteilungen wird die Position des Mondes für jede Stunde des Tages sichtbar. Außerdem sind die beiden Bewegungen des Sa-telliten, und zwar seine scheinbare und seine wirkliche Bewegung unter Berücksichtigung der Erdrotation, angezeigt. Alle diese Einzelheiten müssen die Überzeugung in uns erwecken, daß die Menschen, die diesen Kalender erfanden, einer höheren Kultur als der unseren angehörten.
Die Schüler Hörbigers finden in Tiahuanaco auch die Überreste eines großen Hafens (Abb. 12) mit riesigen Molen, von wo aus die Bewohner von Atlantis - denn zweifellos handelte es sich um dieses sagenhafte Land - mit ihren vortrefflich ausgerüsteten Schiffen ausliefen, um auf dem Ring der Ozeane die Welt zu umfahren und die vier anderen großen Kulturzentren der Erde - Neuguinea, Mexiko, Abessinien und Tibet - zu besuchen. Die damalige Kultur erstreckte sich demnach über den ganzen Erdball, und diese Tatsache erklärt die Übereinstimmungen, die zwischen den ältesten Überlieferungen der Menschheit bestehen.
Die Menschen und ihre Riesenkönige, die den äußersten Grad der Vereinheitlichung und der Verfeinerung der Erkenntnisse und Techniken erreicht haben, wissen genau, daß die Spirale des dritten Mondes sich verengt und daß der Satellit schließlich auf die Erde herabstürzen wird; aber sie kennen auch die wechselseitigen Beziehungen aller Dinge im Kosmos, die magischen Verbindungen des Einzelwesens mit dem Universum, und setzen zweifellos bestimmte Kräfte in Bewegung, bestimmte individuelle und gemeinschaftliche technische und geistige Energien, um die Katastrophe hinauszuschieben und dieses atlantische Zeitalter zu verlängern, an das eine verschwommene Erinnerung sich durch die Jahrtausende erhalten wird.
In Mexiko haben die Tolteken heilige Texte hinterlassen, welche die Erdgeschichte genau entsprechend den Thesen Hörbigers schildern. In Neuguinea errichten die Malekulas noch immer, ohne die eigentliche Bedeutung ihres Tuns zu erfassen, mehr als zehn Meter hohe behauene Steine, die Darstellungen des erhabenen Ahnherrn sein sollen, und ihre mündliche Überlieferung, in welcher der Mond als Erschaffer des Menschengeschlechts angesehen wird, kündet vom Sturz des Satelliten. Die mittelmeerischen Riesen sollen nach der großen Katastrophe aus Abessinien herabgestiegen sein, und die Überlieferung nennt dieses Hochplateau die Wiege des jüdischen Volkes und das Heimatland der Königin von Saba, der Bewahrerin alter Weisheiten.
Bellamy, der englische Archäologe und Schüler Hörbigers, findet rund um den Titicaca-See die Spuren von Katastrophen, die dem Absturz des Tertiär-Mondes vorausgingen: vulkanische Asche, von plötzlichen Überschwemmungen herrührende Niederschläge. Sie stammen aus der Zeit, in der der Satellit zu einem Ring zerbirst und sich mit rasender Geschwindigkeit um die Erde dreht, bevor er auf sie herabstürzt. Rings um Tiahuanaco vermitteln Ruinen den Eindruck, es seien hier Werften und Zimmermannsplätze urplötzlich verlassen worden, Werkzeuge überall liegengeblieben.
Die atlantische Hochkultur, die während mehrerer tausend Jahre den Angriffen der Elemente ausgesetzt war, erschlaffte. Und vor einhundertfünfzigtausend Jahren schließlich ereignet sich die große Katastrophe: der Mond fällt herab, ein entsetzliches Bombardement erschüttert die Erde. Die Gravitationskraft wird wieder stärker, der Ring der Ozeane senkt sich wie mit einem Schlag, die Wasser der Meere ziehen sich zurück. Die Berggipfel, jene Zentren der großen maritimen Kultur, sind auf einmal von großen Morastflächen umgeben.
Atlantis stirbt nicht, weil es von den Wassern überschwemmt, sondern im Gegenteil, weil es von ihnen verlassen wird. Die Schiffe werden davongetragen und zerstört, die Maschinen versagen oder explodieren, die Nahrung, die von auswärts herbeigeschafft worden war, wird knapp, der Tod rafft Myriaden von Lebewesen dahin, die Gelehrten sind samt den Wissenschaften verschwunden, die soziale Organisation ist vernichtet. Wenn die Kultur in Atlantis den denkbar höchsten Stand der technischen Perfektion und der einheitlichen sozialen Gliederung erreicht hatte, so konnte sie sich auch plötzlich, fast ohne eine Spur zu hinterlassen, verflüchtigen.
Man stelle sich nur vor, wie in einigen hundert Jahren der Untergang unserer eigenen Kultur sich vollziehen könnte. Die Energiesender ebenso wie die Übertragungsgeräte werden immer mehr vereinfacht, während eine ständig größere Anzahl Verstärker in Gebrauch kommen. Bald wird wohl jeder von uns entweder seinen eigenen Amplifikator für Atomenergie besitzen oder doch in nächster Nähe größerer Verstärker wohnen. Das wird solange gut gehen, bis eines Tages ein kleiner Zwischenfall an der Quelle der Atomenergie genügt, um in einer riesigen Kettenreaktion Menschen, Städte und Völker in die Luft zu sprengen.
Verschont bleiben in diesem Fall nur diejenigen, die außerhalb unserer technischen Zivilisation leben. Und eben weil wir auf dieser äußersten Stufe des Spezialistentums angelangt sind, werden die Schlüsselwissenschaften, die gleichzeitig die Schlüssel zur Macht darstellen, ebenfalls verschwinden. Gerade die größten Zivilisationen sind es, die im Handumdrehen spurlos untergehen können. Ein solcher Gedanke mag lästig und störend sein, aber er hat eine hohe Wahrscheinlichkeit für sich. Man könnte sich also auch vorstellen, daß die Zentralen und Verstärker der psychischen Energie, auf der die Kultur des Tertiär sich möglicherweise aufbaute, mit einem Schlag in die Luft flogen.
Den Überlebenden bleibt nichts übrig, als in die schlammigen Ebenen, die das zurückweichende Meer bloßgelegt hat, hinabzusteigen, sich den riesigen Mooren des neuen Kontinents zuzuwenden, die eben erst aus den wirbelnden Wassern aufgetaucht sind und auf denen erst in Jahrtausenden eine nutzbringende Vegetation gedeihen kann. Die Riesenkönige sind am Ende ihrer Herrschaft angelangt und die Menschen in den Zustand der Wildheit zurückgesunken. Sie verlieren sich mit ihren letzten gestürzten Göttern in den tiefen mondlosen Nächten, die der Erde nunmehr beschert sind.
Vor einhundertfünfzigtausend Jahren geschah diese Katastrophe. Hörbiger berechnet die Zeitspanne, in der unser Globus von keinem Satelliten umkreist wird, auf einhundertachtunddreißigtausend Jahre. Im Verlauf dieser langen Periode entstehen unter Führung der letzten Riesenkönige neue Zivilisationen. Sie siedeln sich auf den zwischen dem vierzigsten und dem sechzigsten nördlichen Breitengrad gelegenen Hochebenen an, während auf den fünf hohen Gipfeln der Tertiär-Epoche noch einige Reste des Goldenen Zeitalters verbleiben.
Es hat demnach zwei Imperien der Atlantis-Kultur gegeben: das der Anden, das zusammen mit seinen vier anderen Machtzentren die Welt beherrschte, und das sehr viel bescheidenere Reich im nördlichen Atlantik, das lange nach der Katastrophe von den Nachfahren der Riesen gegründet wurde. Die Hypothese dieser beiden Reiche ermöglicht es uns, sämtliche alten Überlieferungen und Berichte miteinander in Einklang zu bringen.
Vor zwölftausend Jahren fängt sich die Erde einen vierten Satelliten ein: unseren jetzigen Mond. Eine neue Katastrophe ereignet sich. Aus Norden und Süden fluten die Meere der Erdmitte zu, und im Norden, auf den Ebenen, die der eingefangene Mond bloßlegt, indem er Luft und Wasser von ihnen absaugt, beginnen die Eiszeiten. Die zweite atlantische Kultur, die wesentlich unbedeutender ist als die erste, wird von den Wassermassen überspült und verschwindet in einer einzigen Nacht. Dies ist die Sintflut, deren Erinnerung die Bibel bewahrt hat. Es ist der Sündenfall, dessen die Menschen gedenken, die damals aus dem irdischen Paradies der Tropen verstoßen wurden.
Für die Anhänger Hörbigers bedeuten die Mythen von der Schöpfung und der Sintflut gleichzeitig Erinnerungen und Prophezeiungen, da ja die kosmischen Ereignisse sich wiederholen. Und der Text der Apokalypse, der noch nie erschöpfend gedeutet werden konnte, ist ihrer Ansicht nach eine getreue Schilderung der himmlischen und irdischen Katastrophen, welche die Menschen im Verlauf der Zeitalter und gemäß den Theorien Hörbigers beobachten konnten.
In dieser neuen Periode des hohen Mondes degenerieren die noch lebenden Riesen. In den Sagen aller Völker wird von Kämpfen zwischen Riesen und gewaltigen Kriegen zwischen Menschen und Riesen erzählt. Die einstigen Könige und Götter werden jetzt, da das Gewicht des Himmels auf ihnen lastet, zu Ungeheuern, derer man sich entledigen muß. Je höher sie zuvor gestiegen waren, um so tiefer fallen sie jetzt. Sie sind die menschenfressenden Giganten der Sagen: Uranus und Saturn, die ihre eigenen Kinder verschlingen. Aber David tötet Goliath. Victor Hugo sagt: "...schreckliche und sehr dumme Riesen, besiegt von Zwergen voller Geist." Es ist der Tod der Götter. Wenn die Israeliten in ihr Gelobtes Land einziehen, werden sie hier das monumentale Eisenbett eines verschwundenen Riesenkönigs entdecken: "Siehe, sein eisern Bette ist allhier zu Rabbath der Kinder Ammons, neun Ellen lang und vier Ellen breit." (V. Buch Moses, III, II.)
Das eisige Gestirn, das unsere Nächte erhellt, ist von der Erde eingefangen worden und kreist nun um sie. Unser Mond ist geboren. Seit zwölftausend Jahren haben die Menschen ihm eine von unbewußten Erinnerungen beladene unklare Verehrung entgegengebracht und ihm eine ängstliche Aufmerksamkeit gewidmet, deren Sinn sie selbst nicht ganz verstehen. Noch immer fühlen wir, wenn wir ihn betrachten, wie sich auf dem Grunde unserer Erinnerung, die viel umfassender ist als unser Bewußtsein, etwas regt.
Die alten chinesischen Zeichnungen stellen den Monddrachen (Abb. 15) dar, der die Erde bedroht. Im vierten Buch Moses lesen wir: "Wir sahen auch Riesen daselbst, Enaks-Kinder von den Riesen; und wir waren vor unseren Augen als die Heuschrecken [und also waren wir auch in ihren Augen]." (XIII, 34.) Und Hiob (XXVI, 5) beschwört die Vernichtung der Riesen herauf und ruft: "Die Riesen ängstigen sich unter den Wassern, und die bei ihnen wohnen."
Eine Welt ist ertrunken, verschwunden, die früheren Bewohner der Erde sind dahin, und wir beginnen unser Leben als einsame, kleine, verlassene Menschen in Erwartung der künftigen Mutationen, Wunder und Katastrophen in einer neuen Nacht der Zeiten, unter diesem neuen Satelliten, der aus endlosen Räumen zu uns gestoßen ist, in denen noch der ewige Kampf zwischen dem Eis und dem Feuer tobt.
Fast überall ahmen die Menschen blindlings die Gesten vergangener Zivilisationen nach, errichten gigantische Monumente, ohne recht zu wissen, warum, und wiederholen auch in ihrer Degeneration noch die Taten der alten Meister. Zeugen dafür sind die riesigen Megalithen von Malekula, die keltischen Menhire, die Statuen der Osterinsel. Die Völkerstämme, die wir heute als "Primitive" bezeichnen, sind zweifellos degenerierte Nachkommen verschwundener Reiche, die verständnislos und wahrscheinlich in verfälschter Form einstmals vernunftbestimmte Hand-lungen wiederholen.
An einzelnen Stellen der Erde, wie in Ägypten, in China und sehr viel später in Griechenland, entstehen große Kulturen, in denen jedoch die Erinnerung an die verschwundenen Lehrmeister, die Riesenkönige, noch lebendig ist. Noch gegen Ende einer viertausend Jahre alten Kultur, zur Zeit Herodots und Platons, begründen die Ägypter die Größe ihrer Vorfahren mit dem Hinweis, daß diese ihre Künste und Wissenschaften direkt von den Göttern erlernt hätten.
Nach Jahrhunderten vielfachen Niedergangs bildet sich im Abendland eine neue Kultur, eine Kultur der Menschen, die von ihrer mythischen Vergangenheit abgeschnitten sind, die, in Zeit und Raum begrenzt und auf sich selbst beschränkt, nach erdichteten Tröstungen suchen. Sie sind aus ihren Ursprüngen verstoßen und wissen nichts von der Unendlichkeit des Geschicks aller Lebewesen, das mit en großen kosmischen Bewegungen verknüpft ist. Es ist eine menschliche, eine humanistische Kultur: die jüdisch-christliche.
Sie ist verschwindend geringfügig, ein Rückstand. Und doch verfügt dieses Sediment der großen Seele der Vergangenheit über unbegrenzte Möglichkeiten des Schmerzes und des Verstehens. Darin besteht das Wunder unserer Kultur. Aber sie ist an ihrem Ende angelangt. Wir nähern uns einem anderen Zeitalter. Mutationen stehen bevor. Die Zukunft wird der fernsten Vergangenheit die Hand reichen. Die Erde wird neue Riesen erblicken. Es wird zu neuen Sintfluten, neuen Apokalypsen kommen, und andere Rassen werden die Herrschaft ergreifen. [...]
Anmerkungen und Quellen
Dieser Beitrag von Louis Pauwels und Jaques Bergier wurde ihrem Buch "Aufbruch ins dritte Jahrtausend - Von der Zukunft der phantastischen Vernunft" (S. 322-333) entnommen, das 1965 in der Deutschen Buch-Gemeinschaft (Berlin, Darmstadt, Wien) erschienen ist.
- ↑ Anmerkung der Autoren: Der deutsche Archäologe Victor W. von Hagen, der mehrere Arbeiten über dieses Gebiet verfaßte, berichtet von einer mündlichen Überlieferung der in der Nähe des Titicaca-Sees lebenden Indianer, nach welcher "Tiahuanaco erbaut wurde, bevor noch die Sterne am Himmel standen."
Bild-Quellen
(8) http://www.astrofili.org/eventi/eclisse_luna_2001/francesco_vuolo/luna%20Umac%201b.jpg
(9) http://www.dinosaurier-interesse.de/web/Nachrichten/Texte/2003/di-t85.html
(10) http://home.arcor.de/lokis/bilder/bilder%20g%F6tter/thor%20riese.jpg
(11) http://www.geocities.co.jp/NatureLand/5218/tokusodon.JPG
(12) http://www.thule.org/tiahuanaco.html
(13) http://www.nada.kth.se/~asa/Game/BigIdeas/Images/Atlantis.jpg
(14) http://tps-net.de/net/gfx/pics/design/gross/cataclysm22_1280.jpg
(15) http://home.austin.rr.com/dragonmoon/images/titlefig2.jpg