Die Quelle 'Fonte Ciane' bei Syrakus und ihre mythische Geschichte

von Dominique Görlitz

Abb. 1 Das wild-romantische Quellgebiet der Ciane mit seinen reichen Papyrus-Vorkommen steht heute unter Naturschutz.

Laut Plinius dem Älteren brachten die Römer Papyrus aus Ägypten mit nach Italien, um daraus in der Gegend von Syrakus auf Sizilien Schreibmaterial herzustellen. Auf der Suche nach Spuren alter Papyrusflößen und Stufenpyramiden besuchte ich im Jahr 1999 Sizilien, wo ich auch den wunderbaren Ort studierte, um welchen es hier geht. In Zusammenarbeit und mit tatkräftiger Unterstützung meiner Facebook-Freundin Eleonora Graná habe ich nun diesen kleinen Artikel zusammengestellt.

Abb. 2 Fast mag man erwarten, dass hier tatsächlich Nymphen und Faune ans Ufer der Ciane treten, um inmitten dieses herrlichen Naturgartens zu lustwandeln und sich zu vergnügen.

Die Quelle namens 'Fonte Ciane' und der aus ihr entspringende kleine Fluss sind nämlich viel mehr als einfach nur ein exotisches Areal mit üppig gedeihendem Papyrus, sondern sie stehen im Zeichen einer uralten mythischen Überlieferung, welche noch heute die Herzen der Menschen berührt:

Persephone, die Tochter von Zeus und Demeter, der Göttin der Vegetation und der Landwirtschaft, wollte zusammen mit einigen Nymphen aus ihrem Gefolge am Ufer des Pergusa-Sees lustwandeln und Blumen pflücken. (Dieser in der Nähe von Enna gelegene See vulkanischen Ursprungs galt in der Antike als eine der Pforten zur Unterwelt.) Just in diesem Moment kam der Totengott Hades aus seinem unterirdischen Königreich emporgefahren und verliebte sich auf den ersten Blick in das Mädchen. Sofort beschloss er, es zu entführen, um keine Zeit damit zu verschwenden ihr den Hof zu machen, vor allem aber um zu vermeiden, bei seinem Bruder Zeus um Persephones Hand anhalten zu müssen.

Die Nymphe Cyane, eine mit Persephone befreundete Najade, versuchte die Entführung zu verhindern, indem sie sich verzweifelt an den Wagen des Hades klammerte, um ihn zurückzuhalten. Der zornige Gott schüttelte sie ab und schlug mit seinem Zepter aud den Boden, wodurch sich eine Erdspalte öffnete, durch die er mit seinem Opfer in die Unterwelt entkommen konnte. Cyane aber, die untröstlich war, dass sie den Raub ihrer Freundin nicht hatte vereiteln können, löste sich in Tränen auf und verwandelte sich in eine Quelle mit türkisfarbenem Wasser (cyanos bedeutet auf Griechisch >türkis<), aus der sich seither das Flüsschen Ciane speist.

Der sizilische Flussgott Anapos, welcher Cyane in Liebe verbunden war, und das Schicksal seiner Verlobten nicht verwinden konnte, verwandelte sich Ovid zufolge ebenfalls in einen - noch heute Anapo genannten - Fluss, der am Ende seiner Reise mit den Wassern der Ciane zusammenfließt. Auf diese Weise sind Cyane und Anapos zumindest als Gewässer, das in den Porto Grande von Syrakus mündet, wieder vereint.


Anmerkungen und Quellen

Bild-Quellen:

1) Bild-Archiv (©) Eleonora Graná
2) ebd.