Atlantis auf dem Celtic Shelf - Eine wissenschaftliche Hypothese zu Platons Atlantis-Bericht (Teil III)

von Viatcheslav Y. Koudriavtsev


Reisen zum gegenüberliegenden Kontinent

Abb. 13 Mit dem, Atlantis "gegenüber liegenden Kontinent", den Platon im Timaios erwähnt sei, so Koudriavtsev, nicht Amerika, sondern Europa gemeint gewesen.

Um eine Antwort auf die Frage zu finden, wo Atlantis lag, ist die den Aufenthaltsort beschreibende Passage in bezug auf Landmarken mit Ausnahme der Säulen des Herkules von besonderem Interesse: "...Von hier [Atlantis] konnten Reisende in jenen Tagen die anderen Inseln erreichen und von ihnen den ganzen gegenüberliegenden Kontinent, welcher umfängt, was wahrhaftig der Ozean genannt werden kann." (Tim. 24e-25a)

In Thomas Taylors Übersetzung liest es sich folgendermaßen: "...und leistete eine einfache Passage zu anderen benachbarten Inseln; sowie es ebenfalls einfach war, von jenen Inseln auf den Kontinent zu gelangen, der dieses Atlantische Meer umgibt. Die Gewässer, die innerhalb der Mündung, die wir soeben erwähnten, zu sehen sind, haben die Form einer Bucht mit einer schmalen Einfahrt; aber die Mündung selbst ist ein wahres Meer. Und als letztes: das Land, welche es umfängt, ist in jeder Hinsicht wahrlich als Kontinent bezeichnet."

Der Streit darüber, ob es in dieser Passage um Amerika geht oder nicht, könnte endlos weitergehen. Aber solch eine Sicht eines von Land umgebenen Ozeans ist, gelinde gesagt, seltsam für Platons Griechenland oder gar für seine Vorstellung.

Tatsächlich wussten die Griechen selbst nichts von Amerika. Daher ist dies ein seriöses Argument zur Unterstützung der Meinung, dass Platon tatsächlich einige Information besaß, die lange vor seiner Zeit verloren gingen, und dass wir dank ihm einmalige uralte aufgezeichnete Informationen erhalten haben. Die [...] Formulierung vom über das zum "gegenüberliegenden Kontinent" Segeln, legt an sich die Vorstellung eines nicht zu hohen Niveaus von Schiffahrts-Fähigkeiten nahe. Die Art des beschriebenen Ablaufs wäre eher angemessen für Reisen der Wikinger zur Insel Neufundland, als für Kolumbus' Suche einer westlichen Route nach Indien.

Es ist bekannt, dass sowohl die antiken Ägypter als auch die antiken Griechen die Meere auf ihren Schiffen entlang der Küste besegelten und niemals die Sicht zu ihnen verloren. Der kurze Blick auf antike Landkarten bezeugt dies; ebenso die Tatsache, dass kein Hinweis gefunden wurde, dass entweder Griechen oder gar die Ägypter vertraut mit den Grundsätzen der Navigation waren, die für das Befahren der offenen Meere gebraucht werden. Es gibt keine Gründe zu glauben, dass die Verhältnisse in punkto Platons Atlanter und Ur-Athener anders waren.

Unter Einbeziehung dieser Überlegungen können wir sehen, dass im Timaios eine sehr genaue Beschreibung der Route vom Westen Europas zur oben erwähnten Insel Neufundland über Island, Grönland und kleinere Inseln, die, einen niedrigeren Meeresspiegel vorausgesetzt, auf dem Weg zahlreicher waren, wiedergegeben ist.


Die Katastrophe

Abb. 14 Traditionell wird ein Mega-Tsunami als wahrscheinlichste Erklärung für Platons Angabe angenommen, Atlantis sei "während eines schrecklichen Tages und einer schrecklichen Nacht" untergegangen.

Versuche, das Verschwinden von Atlantis mit dem Anstieg des Weltmeeres-Niveau zum Ende der letzten Eiszeit in Verbindung zu bringen, sind stets verbunden mit seriösen Einwänden. Es wird geglaubt, dass der Ozean-Pegel mit unterschiedlicher Geschwindigkeit über mehr als zweitausend Jahren anstieg und Kritiker behaupteten, dass der Vorgang nicht mit den von Platon beschriebenen katastrophalen Vorgang korrespondiert - das Verschwinden von Atlantis "an einem einzigen schrecklichen Tag und einer Nacht". Es gibt zwei mögliche Erklärungen dieser Diskrepanz:

Die erste Erklärung ist ziemlich traditionell: eine Sturmflut (Tsunami) und anschließend irgendeine Naturkatastrophe zerstörte die Stadt und vernichtete die Armeen und dann wurden all die Artefakte langsam (über tausende von Jahren) vom Ozean verschluckt.

Die zweite Erklärung ist ein wenig komplizierter. Es ist möglich, dass das Ansteigen des Meeresspiegels viel schneller erfolgte, als gewöhnlich geglaubt wird. Lasst uns versuchen zu klären, wo erstmalig die Vorstellung der langen Dauer des Prozesses entstand. Schlussfolgerungen darüber sind angelehnt an die paläoklimatischen Daten zum Anstieg der Temperaturen. Aber man muss sich des Ausmaßes dieser Daten bewusst sein, die es schwierig machen, die Geschwindigkeit des vorgegebenen Prozesses zu veranschlagen und der Tatsache, dass die Wechselbeziehung zwischen der durchschnittlichen Temperatur und des Ozean-Pegel nicht linear sein muss. (Erinnern wir uns an ein Experiment aus dem Physikunterricht in der Schule, wenn ein Gefäß mit Eis erhitzt wird, aber die Temperatur des Wasser erst zu steigen beginnt, nachdem alles Eis geschmolzen ist.)

Die Mängel der Daten zu glacio-eustatischen Schwankungen des Ozean-Pegel haben wir bereits im Abschnitt "Wo?" diskutiert. Unterdessen ist bis jetzt ganz wenig über die Gründe für den Beginn und das Ende der Eiszeiten bekannt. Das einzige, das offensichtlich ist, besteht darin, dass für das Steigen der Durchschnitts-Temperatur auf dem Planeten eine gewaltige Menge an Energie erforderlich ist. In Anbetracht der Temperatur-Tabellen für verschiedene Regionen können wir beobachten, dass die Erwärmung, die das Ende der letzten Eiszeit markierte, ausgeprägter, dramatischer und dauerhafter war, als alle vorhergehenden. [Vergl. dazu: Abrupter Klimawechsel vor 11 000 Jahren von Andrew Collins; d. Red.]

Im Hinblick auf darauf kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Erwärmung durch irgendein Ereignis (oder Ereignisse) seismischer, vulkanischer oder atmosphärischer Natur verursacht wurde: "zu einer späteren Zeit [nach dem Beginn des Kriegs zwischen Atlantern und Athenern] gab es Erdbeben und Sintfluten von außerordentlicher Heftigkeit und an einem einzigen schrecklichen Tag und einer Nacht wurden all eure kämpfenden Männer von der Erde verschluckt, und die Insel von Atlantis wurde ebenso verschluckt von der See und verschwand..." (Tim. 25c-d)

Diese Katastrophe könnte mit dem Freiwerden einer gewaltigen Menge Energie verbunden gewesen sein. In diesem Fall könnte die Geschwindigkeit der Gletscherschmelze und der Anstieg des Ozean-Pegels wesentlich höher als jetzt allgemein geglaubt wird, gewesen sein.

Ein weiteres Argument für die These, dass nichts anderes als der steigende Weltmeeres-Pegel die von Platon beschriebe Katastrophe darstellte, ist, dass die Ablösung der Ebene im Westen Europas von solchem Charakter war, dass der Anstieg des Ozean-Pegels von einem Meter häufig den Rückzug der Küstenlinie um Kilometer bedeutet haben kann. Ich bin sicher, dass selbst wenn das Untertauchen mehrere Jahre dauerte, die Augenzeugen (und Opfer), die auf einer flachen Ebene lebten, dies als ein wirklich schnelles Versinken all des Landes, das man von Horizont zu Horizont sehen konnte, wahrnahmen. [...]


Ein Resümee

Kurz all das oben gesagte zusammenfassend, kann folgendermaßen eine Hypothese formuliert werden: Zu der Zeit, als die letzte Eiszeit endete, bewirkte der ansteigende Pegel der Weltmeere das Untertauchen eines (ziemlich) großen Gebietes im Westen Europas (das jetzt als Keltisches Schelf bekannt ist) und wo sich das Zentrum einer hochentwickelten Zivilisation und eines mächtigen Staates befand.

Dieser Staat (oder ein Gemeinwesen von Staaten) kontrollierte die ganz Atlantik-Küste Europas (und vielleicht Nord-Afrika), einen beträchtlichen Teil der Mittelmeerküste Europas und Afrikas und konnte vielleicht außerdem die Gebiete entlang der Atlantik-Küsten von Nordafrika, Nord- und Mittelamerika befahren. Zusammen mit diesem Staat existierten weitere Staaten in Gebieten mit einem milden Klima, vor allem "antike Athener", die eine Koalition mit anderen Völkern des Mittelmeeres bildeten, um sich gemeinschaftlich der Expansion von Atlantis zu erwehren.

All die Artefakte dieser Zivilisationen sind entweder unwiederbringlich verloren oder liegen nun auf dem Grund des Meeres, weshalb sie nie der modernen archäologischen Wissenschaft zur Kenntnis kamen. Keine geschriebenen Zeugnisse dieser Periode sind bewahrt und die frühesten geschriebenen Aufzeichnungen der Ereignisse dieser Periode wurden wenigstens eintausend Jahre später in Ägypten auf Grund des immer noch vorhandenen Volksgedächtnisse gemacht, als es bereits sehr allgemein und ungenau war. Es war purer Zufall, dass es bis zum Hinweis von Platon kam und von ihm in den Dialogen Timaios und Kritias aufgezeichnet wurde. Durchweg die ganze Kette der Wiedergaben dieser Erzählung, die angehäuften Verzerrungen und Ungenauigkeiten, gekoppelt mit dem Mangel von bekräftigenden Beweis aus anderen Quellen und archäologischen Funde, hat ihren derzeitigen mehrdeutigen Zustand festgelegt.


Möglichkeiten

Abb. 15 Atlantis ist untergegangen, doch die Beweise für seine historische Existenz sind nicht unwiederbringlich verloren. Koudriavtsev ist überzeugt, dass sie, in Tiefen von 50 bis 160 Metern, in der Irischen See auf ihre Wiederentdeckung warten.

Die Hypothese, die wir hier etwas vorlaut, wie alle anderen Hypothesen, vorstellten, ist nur ein Konzept und bedarf der Bekräftigung durch Fakten. Da bis jetzt keine solchen Fakten, die als vertrauenswürdig anerkannt sind, gefunden wurden, ist es offensichtlich, wo das Hauptproblem liegt. Aber es scheint mir, dass man mit den ziemlich vielen Möglichkeiten, es zu lösen, selbst ohne sich an die Analyse von Legenden und Mythen zu begeben, oder kulturelle Parallelen zu suchen, was an sich sehr interessant ist, dennoch kaum unwiderlegbare Beweise vorbringen kann.

Bestimmte Schlüsse können wohl anhand der Analysen der Daten solch wissenschaftlicher Disziplinen wie vergleichende Linguistik und Anthropometrie gezogen werden, obwohl zum Erlangen annehmbar verlässlicher Funde eine gigantische Menge Arbeit zu tun sein wird und eine gewaltige Menge von Informationen bearbeitet werden muss.

Und, last but not least, da die Hypothese vom Versinken von Platons Atlantis handelt, als der Ozean-Pegel stieg, sind die überzeugendsten Belege (wenn sie überhaupt existieren) unter Wasser bei Tiefen von 50 bis 160 Meter zu finden. Soviel mir bekannt ist, wurde bisher von niemandem eine systematische archäologische Übersicht des Schelfs in diesen Tiefen erstellt. Keine hochauflösende Tiefenmetrie des fraglichen Gebietes ist verfügbar (ich setzte mich in Verbindung mit vielen ozeanographischen Zentren einschließlich des UK Hydrographic Office, British Oceanographic Data Centre, Plymouth Marine Laboratory, IFREMER, NOAA, Defence Mapping Agency of the USA).

Ich beabsichtige eine Expedition zur oben erwähnte Region zu organisieren, die aus zwei Teilen bestehen könnte:

Eine umfassende tiefenmetrische Übersicht des in Frage kommenden Gebietes mit Hilfe von Sonar und Satelliten-Navigations-System zum Zwecke der Kartierung einer besonders hochauflösenden Karte und Analyse der dadurch erzielten Daten unter Anwendung verschiedener Methoden, einschließlich Computer-Techniken, um Objekte zu identifizieren, die künstlicher Natur sein könnten. [...]

Viatcheslav Y. Koudriavtsev (1996)


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von Viatcheslav Y. Koudriavtsev © wurde 1996 online zunächst unter dem Titel "Atlantis: New Hypothesis" beim Institut für Metahistorik, Moskau veröffentlicht; bei Atlantisforschung.de erscheint er in einer redaktionell bearbeiteten, leicht gekürzten und illustrierten Fassung; Übersetzung ins Deutsche durch Manfred Greifzu, redaktionelle Bearbeitung Bernhard Beier.


Bild-Quellen

(13) http://www2.ncid.cdc.gov/travel/yb/utils/images/map3-5.gif (nicht mehr online)

(14) http://library.thinkquest.org/C0115522/images/illustrations/34.2.jpg

(15) http://www.m31.de/commune-gomera/site.html (nicht mehr online)