Die Atlantida des Rudolf Steiner
Der theosophische Schismatiker Rudolf Steiner (Abb. 1) gab in seinem Buch "Lemuria und Atlantis" Einzelheiten über die Psychologie der Lemuria- und Atlantis-Bewohner bekannt. Steiner, ein großgewachsener Österreicher mit mächtigem Stimmvolumen und einer ansehnlichen Kollektion von Universitätsgraden, war eine Kapazität in der europäischen Theosophie, bis er 1907 mit der Dachorganisation brach.
Anlaß dazu war die Streitfrage gewesen, ob man Mme. Besants Vergöttlichung des jungen Hindu Krishnamurti folgen solle oder nicht [1]. Er trennte sich mit 2400 Anhängern von der Theosophie und begründete einen neuen Kult, die Anthroposophie. Die Anthroposophische Gesellschaft hat ihr Hauptquartier in Dornach in der Schweiz, von wo aus Steiner bis zu seinem Tode im Jahr 1925 die Dinge lenkte.
Nach Steiner besaßen die Lemuria-Bewohner so schwach ausgeprägte Geisteskräfte, daß sie die Dinge zwar wahrnehmen, aber keine Bilder davon im Gedächtnis behalten und daher auch keine Überlegungen darüber anstellen konnten. Sie waren auf ihren "Instinkt" und die diesem "innewohnende geistige Kraft" angewiesen. Trotzdem beherrschten sie die Natur besser, als wir dies tun, da sie große Willenskräfte freimachen konnten, mit deren Hilfe sie schwere Lasten zu heben vermochten. Die Erziehung der Lemurier zielte darauf ab, diese Willenskräfte zur Entfaltung zu bringen. Die jungen Lemurier wurden dazu erzogen, Schmerz zu ertragen.
Nachdem Sie individuelle Seelen erhalten hatten, entwickelten sich bei den Lemuriern - gegen Ende ihrer rassischen Entwicklung - sprachliche Ansätze. Bevor sie in zwei Geschlechter getrennt wurden, war ihr Sehvermögen nur schlecht ausgebildet. Eine Zeitlang besaßen sie lediglich ein Auge. Solange die Seele ihren Körper beherrschte, waren diese Körper - da eine Seele ein Neutrum ist - geschlechtslos. Bei der ständig zunehmenden Verkörperlichung jedoch gedieh auch der Sex. Dennoch, noch lange Zeit nach dem Auftreten dieser interessanten Neuerung galt Sex nicht als Vergnügen, sondern als heilige Pflicht. Die Frauen der Lemurier, die spiritueller veranlagt waren als ihre Männer und sehr aufgeschlossen für die mystische Trance, waren die ersten, die einen Sinn für Recht und Unrecht entwickelten.
Die Atlantier vergleichsweise konnten nicht vernünftig denken oder rechnen, aber sie hatten ihren Vorgängern gegenüber den Vorteil, fein ausgebildete Gedächtnisse für geistige Bilder zu besitzen. Die Erziehung der Atlantier ging auch hauptsächlich darauf aus, das Gedächtnis auf das Bewahren von Bildern hin zu schulen. Ein erwachsener Atlantier verfügte über eine riesige Menge an gespeicherten Bildern; wenn er mit einem Problem konfrontiert wurde, so löste er dies, indem er sich früherer gleichartiger Probleme erinnerte. Wenn er jedoch einer völlig neuen Situation gegenüberstand, mußte er entweder blindlings darauf reagieren oder vor ihr kapitulieren.
Die Atlantier waren ausgezeichnete Kenner der Lebenskräfte. Sie wußten, wie man Pflanzen, zum Beispiel Weizenkörner, zum Wachsen bringt. Mit diesen Kräften betrieben sie auch ihre Flugzeuge. Sie bemächtigten sich auch der Zauberkräfte der Wörter und bewältigten mit diesen okkulten Energien Arbeiten auf materieller Ebene. So konnten Wörter beispielweise Wunden heilen oder wilde Tiere bändigen. Der Atlantier war natürlicher und instinktiver in seinen Reaktionen, als wir dies sind.
Er besaß die absolute Kontrolle über seine Körperkräfte, und die Städte der Atlantier gediehen nach Naturgesetzen wie ein Organismus. Die Tolteken erreichten die Fähigkeit, ihre individuelle Kollektion von "Lebensbildern" auf ihre Nachkommen zu übertragen. Sie gaben diesen also die vollständige Ausrüstung zur Lebensbewältigung mit.
Als die Semiten auf der Bildfläche erschienen, verloren die Menschen die Kontrolle über die "Lebenskraft". Selbstsüchtiger Individualismus machte sich breit. So entwickelten die Semiten die Vernunft, um auf Veränderungen wie ein Rechenautomat reagieren zu können. Und mit der Vernunft kam auch das Gewissen. Ihre Nachfahren, die Arier, brachten diese Fähigkeiten noch zu größerer Entfaltung.
Anmerkungen und Quellen
Dieser Beitrag von L. Sprague de Camp wurde seinem Buch "Versunkene Kontinente" entnommen (S. 77 - 79), das 1977 im Wilhelm Heyne Verlag, München erschienen ist (Erstveröffentlichung 1954).
- ↑ Anmerkung: Vermutlich war die "Krishnamurti-Frage" lediglich der "offizielle" Knackpunkt bei einem internen Machtkampf der theosophischen Führungskader; d. Red.