Ging Atlantis vor Millionen Jahren unter?

von unserer Gastautorin Doris Manner

Abb. 1 Platon im Kreis seiner Schüler. Seinem Bericht zufolge soll der Untergang von Atlantis etwa neuntausend Jahre vor seiner Zeit stattgefunden haben, was viele Gelehrte für übertrieben halten. Doris Manner vermutet dagegen ein weitaus höheres Alter der Atlantis-Katastrophe.

Vor etwa zweieinhalb Jahrtausenden verfaßte Platon (Abb. 1) den Atlantisbericht nach Aufzeichnungen aus Ägypten. Danach soll der Untergang von Atlantis ca. neuntausend Jahre vor seiner Zeit stattgefunden haben. Aus heutiger Sicht müßte dieses Volk gut elftausend Jahre vor unserer Zeit gelebt haben.

Kann man diese Zeitangaben aus der alten Sage so unbedenklich übernehmen? Noch vor zweihundert Jahren datierte man den Beginn der Erde auf das Jahr 2349 v. Chr. Und weitere zweihundert Jahre früher waren sich die Gelehrten der damaligen Zeit darüber einig, daß der Beginn der Schöpfung im Bereich von 6000 – 4000 Jahre v. Chr. stattfand. John Lightfoot, Vizekanzler der Universität Cambridge präzisierte das Datum auf den 23. Oktober 4004 v. Chr. um 9 Uhr am Morgen. Was hätte man wohl zu Platons Atlantisbericht gesagt? - „Damals gab es doch noch gar keine Menschen!

In der Zwischenzeit glaubt man, daß die Erde vor 5 Milliarden Jahren entstand und der Mensch vor 2 bis 5 Millionen Jahren. - Hier hat es so gewaltige Verschiebungen gegeben, daß der Untergang von Atlantis nun in die Zeit der Höhlenmalereien fällt. - Kann man bei solchen Unterschieden in der Datierung, die Zeit von neuntausend Jahren wirklich als gesichert ansehen? Platon selbst müssen Zweifel an dieser Zeitangabe gekommen sein.

Der Atlantisbericht sollte Teil eines umfangreichen dreiteiligen Werkes in Form eines Redewettstreits werden, das Platon begann, als er schon in hohem Alter war. Der Atlantisbericht sollte in diesem Werk eine zentrale Stellung einnehmen. Schon in der Vorbereitung des Wettstreits unter Anwesenheit von Sokrates (Abb. 2) wird die alte Sage erwähnt, und noch einmal vor der ersten Rede des Timaios. Dieser übernimmt dann die Aufgabe, den Verlauf der Schöpfung bis zum Auftreten des Menschen in einer langen Rede zu schildern.

Danach ist der zweite Redner, Kritias, an der Reihe. Mit Spannung erwartet die Runde den Bericht über das reiche Atlantis, das die Mittelmeervölker unterdrückt und ausgebeutet haben soll. Unter der Leitung von Athen sollen sich die unterdrückten Völker erhoben, und am Ende die überlegene Macht der Atlanter besiegt haben. Danach sollen schwere Erdbeben ausgebrochen sein, die selbst in Griechenland noch viele Opfer gefordert haben.

Bei der Vorbesprechung unter der Leitung von Sokrates wird deutlich, daß Platon mit diesen Ereignissen aufzeigen will, wie ein wohlgeordneter Staat, wie Athen, in der Lage ist, einen übermächtigen Gegner zu besiegen. Doch soweit kam Kritias gar nicht mit seiner Rede. Nach einer ausführlichen Beschreibung der Insel Atlantis und ihrer Bewohner sowie von Athen, und nach einer kurzen Feststellung, daß die Atlanter im Laufe einer langen Zeit entarteten, brach Platon unvermittelt den ganzen Redewettstreit ab. Zur eigentlichen Absicht, mit diesem Werk die Überlegenheit eines idealen Staates aufzuzeigen, kam Platon gar nicht. Was war der Grund des Abbruchs?

An schwindenden geistigen Kräften kann es nicht gelegen haben, denn danach verfaßte Platon sein nun umfangreichstes Werk „Nomoi“. - Hätte Platon die Geschichte erfunden, wie viele glauben, welchen Grund hätte er gehabt, sie abzubrechen? - Auch betonte er mehrmals, daß es wirklich eine wahre Geschichte ist. - Zweifelte er nun selbst am Wahrheitsgehalt?

Liest man sein Werk Nomoi, das er danach geschrieben hat, dann kommt man auf eine andere Spur. Im 3. Buch schreibt Platon wieder von den alten Sagen. „Glaubt ihr, daß in den alten Sagen ein Kern von Wahrheit steckt?“, heißt es da. „In welchen denn?“ - „In den Erzählungen von ehemaligen zahlreichen Zusammenbrüchen der Menschenwelt...aus denen sich nur ein winziger Teil des Menschengeschlechts retten konnte.“ … “Wohlan, so laßt uns denn aus dieser Fülle zerstörender Ereignisse e i n e s zur Betrachtung herausgreifen, nämlich jene bekannte große Überschwemmung.“ (Die Sintflut)

….“Diejenigen, die damals dem Verderben entrannen, waren vermutlich nichts anderes als Berghirten, die sich hie und da auf den Berggipfeln als schwache Funken zur Wiederbelebung des Menschengeschlechts erhalten haben.“ …. “Also Menschen, die man sich als unbekannt denken muß . . .nicht nur mit allen Kunstfertigkeiten…….sondern auch mit den Mitteln, die im städtischen Menschenverkehr der Befriedigung der Habgier und Streitsucht dienen...“ (677 ST)

Offensichtlich handelte es sich bei diesem Untergang um eine kosmische Katastrophe und nicht nur um ein lokales Ereignis. Wie es weiter heißt, führte diese Katastrophe zur Dezimierung der Menschheit. (678 ST) „Es war unmittelbar nach dieser vernichtenden Flut die Lage der Menschen folgende: eine ungeheure schaurige Einöde, ergiebigen Landes aber die Hülle und Fülle, von Tieren dagegen, da die anderen verschwunden waren, nur einiges Rindvieh und eine oder andere etwa übrig gebliebene Ziegenart, auch diese anfänglich nur ein spärlicher Lebensunterhalt für die Hirten.“ ... “Was aber Staat, Verfassung und Gesetzgebung anlangt, die jetzt den Gegenstand unserer Erörterung bilden, gab es davon, kurz herausgesagt, auch nur eine Spur von Erinnerung?“ - „Nicht die geringste.“ ... “Also erst im weiteren Verlauf der Zeit und bei allmählicher Vermehrung unseres Geschlechts entwickelte sich alles zu dem gegenwärtigen Zustand der Dinge?“ ... “Und zwar begreiflicherweise nicht plötzlich, sondern Schritt für Schritt in einer kaum übersehbar langen Zeit.“ (Nomoi)

Nun das Pendant im Atlantisbericht vor der Rede des Timaios (22 ST). Der ägyptische Mönch (der über die Sage berichtet): „Zahlreich und mannigfaltig sind die Verheerungen, die über das Menschengeschlecht hereingebrochen sind und hereinbrechen werden, die gewaltigsten durch Feuer und Wasser, andere minder große durch tausenderlei andere Ursachen.“ - Daran anschließend ist die Rede von einer kosmische Katastrophe, die Phaeton, Helios´ Sohn, durch Unachtsamkeit verursacht haben soll und dabei weite Teile der Erde verheerte. „In Wahrheit“ so berichtet der ägyptische Mönch weiter, „handelt es sich um eine Abweichung der die Erde umkreisenden Himmelskörper und eine in langen Zeiträumen sich wiederholende Verheerung der Erdoberfläche durch massenhaftes Feuer.“ (Die regelmäßig wiederkehrenden kosmischen Katastrophen sind uns seit den 60er Jahren bekannt, verursacht - vermutlich - durch herabstürzende Kometen.) Bei diesen Feuerskatastrophen sind die Bergvölker gefährdet, so der Mönch, „...wenn aber andererseits die Götter die Erde zur Reinigung mit Wasser überschwemmen, bleiben die bergbewohnenden Schaf- und Rinderhirten davon verschont.

Ägypten soll in der glücklichen Lage sein, daß es weder von den Feuerskatastrophen tangiert wird noch von den Fluten, die vom Himmel herabströmen. Daher hat sich in Ägypten alles erhalten, „sei es, daß sich hierzulande oder auch anderswo jemals Herrliches oder Großes oder sonst irgend besonders Hervortretendes ereignet hat, das findet sich hier bei uns alles von alters her in schriftlichen Urkunden in den Tempeln niedergelegt und vor dem Untergang bewahrt.“ Anders bei den übrigen Völkern, „kaum, daß es da bis zur Entstehung des Schriftwesens und alles dessen, was die städtische Kultur erfordert, gekommen ist, da ergießt sich schon wieder in periodischer Wiederkehr wie eine Krankheit die Regenflut des Himmels über sie und läßt nur Leute mit dem Leben davon kommen, die vom Schriftwesen nichts verstehen und aller Bildung ledig sind" (Hirten auf hohen Bergen).

Anschließend schildert Platon mit der Rede des Kritias die Insel Atlantis und ihre Bewohner und die Metropole in allen Details mit den genauen Maßen der Stadt, bis es abrupt zu dem oben erwähnten Abbruch des ganzen Werkes kam.

Warum der Abbruch? - Platon hat offensichtlich erkannt, daß die Zeitangaben nicht stimmen können. Neuntausend Jahre vor seiner Zeit der Untergang, und schon tausend Jahre danach die Staatsgründung von Ägypten. Das war viel zu knapp bemessen für ein so umwälzendes globales Ereignis. „Tausendmal Tausende von Jahren“, Millionen Jahre, so schreibt Platon in „Nomoi“ brauchte es, bis die Menschheit wieder die Höhe von einst erreichte, bis sie wieder die Schrift erfand, die Metallbearbeitung und die Staatskunst.

In Nomoi beschränkte sich Platon darauf, herauszuarbeiten, wie sich in dieser Zeit nach der kosmischen Katastrophe die wenigen Überlebenden verhalten werden, wie sie sich langsam wieder vermehren und sich schließlich wieder in Städten niederlassen werden.

Im Laufe der Zeit entwickeln sich dann wieder Feindschaften zwischen den Menschen, die aus unterschiedlicher Sozialisation kommen und ihre Gewohnheiten mitbringen und nicht davon lassen wollen. - Zum Frieden können nur Gesetze beitragen, die für alle gelten, so das Fazit. Im Hauptteil von Nomoi befaßt sich Platon dann mit fiktiven Überlegungen, wie ein vollkommenes, harmonisches und höchsten Grundsätzen verpflichtetes Zusammenleben der Menschen aufgebaut und organisiert werden kann.

In der Antike war das Wissen um diese immer wiederkehrenden kosmischen Katastrophen weit verbreitet. Viele Sagen berichten davon, der Trojanische Krieg gehört dazu, die Herkulessage sowie die nordischen Sagen in ihrer ursprünglichen Form und viele andere. In der Bibel werden diese Ereignisse „Das Jüngste Gericht“ genannt, die „Endzeit“.

Wie kommt es, daß man in den Sagen so genaue Angaben über diese Zeit und ihre Menschen machen kann? Sind sie der Phantasie entsprungen, so wie Platon sich in „Nomoi“ vorstellt, wie die Zeit nach der Überschwemmung gewesen sein könnte? Oder, hat man vielleicht Reste gefunden? - Die Suche nach Atlantis geht weiter. Wenn man in der richtigen Zeit sucht, wird man vielleicht fündig. Abschließend noch eine Anmerkung: „Welches Ereignis ist so gravierend, daß man noch viele Jahrtausende danach darüber schreibt?“ - - -


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von Doris Manner (©) erschien am 1. Feb. 2016 bei Atlantisforschung.de.

Bild-Quelle:

1) Platon und seine Schüler, Darstellung von Carl Wahlbom; nach: SCADEMIC.ru, unter: Platonische Liebe