Jean Deruelles Atlantis

von Sylvain Tristan

Abb. 1 Das Seegebiet der überfluteten Doggerbank, wo Jean Deruelle Atlantis lokalisierte

Im Januar 2001 beschloss ich zu überprüfen, was das Web über die Karten des Piri Reis zu sagen hatte - alte türkische Seekarten, von denen einige Leute behaupten, sie seien von anderen, noch weitaus älteren, kopiert worden. In meiner Jugend hatte ich von diesen rätselhaften Karten aus Büchern erfahren, welche sich mit den Geheimnissen der Erde befassen.

Bald fand ich, wonach ich gesucht hatte, doch auf den zweiten Blick erschien mir das Thema weniger spannend als ich gedacht hatte, und ehrlich gesagt fand ich es nicht sehr überzeugend. Ein Thema führte dann zum nächsten, verwandten Gegenstand, und schließlich stieß ich auf Webseiten über Atlantis, jenen mythischen Kontinent, welcher Plato, dem griechischen Philosophen zufolge, 9000 Jahre vor seiner Zeit überflutet worden war. Ziemlich rasch las ich etwas über ein von dem französischen Autor Jean Deruelle verfasstes Buch mit dem Titel L'Atlantide des mégalithes (1999), welches sofort meine Aufmerksamkeit erregte. Dann beschloss ich, das Buch zu erwerben.

Deruelles Theorie war simpel, aber neu für mich: Die Atlanter sollen die Megalithiker (vom Griechischen 'großer Stein') aus Westeuropa gewesen sein - Menschen, die einer kaum bekannten Zivilisation angehörten. Die meisten Europäer haben schon einmal gigantische Steine, die von ihnen aufgerichtet wurden, gesehen oder von diesen gehört - Stonehenge und Avebury in England sind berühmte Beispiele, doch es sind hunderttausande von Cromlechs und 'Stehenden Steinen' überall in Europa und darüber hinaus zu finden. Diese Zivilisation gedieh über fast vier Jahrtausende hinweg, in etwa von 4800 v. Chr. bis 1200 v. Chr. Sein Werk aufbauend auf jenem eines deutschen Autors aus den 1950ern - Jürgen Spanuth, der geltend machte, Atlantis habe sich in der Nordsee befunden - verbrachte Deruelle einen Großteil seiner Zeit als Pensionär damit, Hinweise zu sammeln, welche seine These eines Atlantis des Nordens stützten.

Abb. 2 Einige der Menhire von Carnac in Frankreich - nach Jean Deruelle Relikte der Atlanter-Kultur

Unter anderem stellte er fest, dass sich genau in der Mitte der Nordsee eine enorme, 300 km lange, überflutete Insel befand, welche heute Doggerbank genannt wird. Bemerkenswerterweise zeigten Deruelles Berechnungen ihm, dass der globale Anstieg der Meeresspiegel, welcher der jüngsten Eiszeit folgte, zusammen mit dem unerbittlichen Absinken des Meeresbodens, impliziere, die Doggerbank sei während der megalithischen Periode eine wirkliche Insel gewesen! Deruelle zufolge hatten die Megalithiker, die kundige Seefahrer waren, ihre Hauptstadt vermutlich auf dieser Insel, und dehnten anschließend ihren Einfluss nach Westeuropa und in den Mittelmeer-Raum aus. Nicht zuletzt sei es wahrscheinlich, dass diese Leute, welche vor den großartigen sumerischen und ägyptischen Zivilisationen gelebt haben, jenen großen Zivilisationen halfen, an die erste Stelle aufzusteigen.

Gleich nach der faszinierenden Lektüre dieses Buches schrieb ich einen Brief an Deruelle. Drei Wochen später erhielt ich eine Antwort. In einem hoch emotionalen, vierseitigen Brief gab mir Jean Deruelle, entzückt darüber, dass ein jüngerer Geist Interesse an einer Theorie zeigte, die unglücklicherweise von Gelehrten im Wesentlichen und von der allgemeinen Öffentlichkeit insgesamt übersehen worden war, eine Art Auftrag: "Wie kann ich dem Pläsir Ausdruck verleihen, das mir Ihr auf den 11. März datierter Brief bereitet hat! Was für eine verjüngende, begeisternde Erfahrung - genau [das], was Ich brauche!... Ich bin 86 und es fällt mir mehr und mehr schwer zu gehen, zu lesen und zu reden, und so kann ich nur hoffen, dass junge Kräfte sich bereit erklären werden, [meine Arbeit] zu übernehmen. Hätten Sie Lust auf solch ein Abenteuer? ... In jedem Fall seien Sie, werter Herr, versichert, dass Sie mir eine große Freude bereitet und den Wunsch [beschert] haben, diesen Weg fortzusetzen, solange ich es vermag."

Geehrt durch die Anfrage des alten Herrn beschloss ich, das Abenteuer anzunehmen. Ich begann mit Forschungsarbeiten über alte Zivilisationen, welche ich höchst aufregend fand, und wechselte ein paar Briefe mit Jean Deruelle. Leider musste ich einige Monate später von seiner Gattin vom Ableben dieses bemerkenswerten Mannes erfahren. Doch ich war nicht länger alleine auf der Suche nach der Vergangenheit der Menschheit: ein Engländer, Alan Butler, hatte mir Informationen zukommen lassen, die mein Leben drastisch verändern sollten.


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von Sylvain Tristan (©) erschien erstmals in englischer Sprache unter dem Titel Jean Deruelle´s Atlantis auf The Golden Lines - The Official Website of French Author Sylvain Tristan. Übersetzung ins Deutsche und redaktionelle Bearbeitung durch Atlantisforschung.de.