War Alt-Indien der wahre Vorgänger der westlichen Zivilisation?

von unserem Gastautor Dr. Horst Friedrich

Abb. 1 Die Ruinen von Mohenjo Dharo - Zeugnisse einer frühen Hochkultur, deren Ursprünge noch im Dunkel liegen.

Durch Schule und Medien sind wir dahingehend indoktriniert worden, daß es nach der „Eiszeit“ und der „Steinzeit“, endend im „Neolithikum“, mit der Menschheit allmählich aufwärts ging und die ersten Hochkulturen entstanden: Alt-Ägypten, Sumer, Indus-Kultur, die legendären Vor-Shang-Hochkultur-Anfänge in China, und das noch viel rätselhaftere Chavin in Peru.

Im allgemeinen werden Alt-Ägypten und/oder die "Sumerer" für die "Mutterhochkultur" gehalten, nur "Abweichler" wie Prof. Gunnar Heinsohn halten ein solches Szenario für ein Trugbild. Die nonkonformistische Wiener Ethnologin Christine Pellech geht sogar, in Weiterentwicklung des Erzdiffusionisten Heine-Geldern, so weit zu postulieren, es habe schon weit vor Alt-Ägypten und Sumerern diverse, miteinander in Kontakt stehende Hochkulturen gegeben. Die Schulwissenschaft hängt dagegen immer noch dem pur ideologischen, im Grunde pseudowissenschaftlichen Dogma des Isolationismus an, wonach die alten Hochkulturen keinerlei Kontakte miteinander gehabt hätten.

Vor wenigen Jahren, 1995, erschien ein Werk, dessen Autor durchaus nicht unfundiert die These vertrat, Alt-Indien sei die Mutter-Hochkultur gewesen. Immerhin ist ja den überlieferten Lehrreden des Buddha zu entnehmen, daß zu seiner Zeit Indien offenbar bereits seit langem eine ausgesprochene Hochkultur mit Städten und Überseeverbindungen war. Dies erscheint durchaus kompatibel mit der bereits 1940 von Chaman Lal ausgesprochenen, und recht überzeugend begründeten Behauptung, daß Alt-Indien intensive Kontakte mit Alt-Amerika gehabt habe, was sich noch heute anhand kultureller und ethischer Affinitäten feststellen lasse. In verwandter Richtung bewegen sich die Thesen Martin Freksas. Alt-Indien habe sich einst, in Kontakt mit Alt-Amerika, in einem kriegerischen Konflikt (mittels prähistorischer Superwaffen!) mit dem später versunkenen "Atlantis" befunden. Selbstredend ist diese These nicht so einfach überzeugend zu belegen wie die von Chaman Lal.

Nun hat sich die Situation wieder entscheidend verändert, denn gerade hat Kurt Schildmann, Entzifferer der Indus-Schrift, herausgefunden, daß beschriftete Objekte aus der umstrittenen Burrows-Cave (Illinois/USA) in einer Variante der Indus-Schrift beschrieben sind. Seine jüngsten Forschungen haben sogar ergeben, daß südamerikanische Artefakte aus der gleichfalls umstrittenen Crespi-Collection (Cuenca/Ecuador), sowie Objekte aus dem auch umstrittenen Glozel (Südfrankreich) und von ein paar anderen westeuropäischen Fundplätzen, ebenfalls in einer solchen Indus-Schrift-Variante beschriftet sind.

Abb. 2 Die Balina-Tafel aus Burrows Cave. Auf solchen Inschriften wie dieser sollen auch Varianten der frühen Indus-Schrift zu finden sein. Ein weiterer Beleg für die interkontinentale Verbreitung dieses Kulturguts?

Es scheint also, als müßten wir die These ernsthaft (zumindest versuchsweise) in Erwägung ziehen, daß Alt-Indien einst eine sehr hochentwickelte, weltweit aktive Hochkultur war, ähnlich wie es die westliche Zivilisation heute ist, und zwar lange vor Alt-Ägypten und den „Sumerern“! An einer "diffusionistischen" Vernetzung der alten Hochkulturen erscheint mir kaum ein Zweifel möglich. Im Hinblick auf Schildmanns Entdeckung wird aber nun zu klären sein, ob es sich hier ursprünglich um eine Vernetzung unabhängiger Kulturen gehandelt hat, oder ob man sie alle mehr oder weniger als Hochkulturen-Ableger von Alt-Indien ansehen muß. Zweifellos wird hierbei auch das Problem eventueller, weltweit agierender "Proto-Phönizier", wie sie sich etwa Morgan Kelly vorstellt, in Erwägung gezogen werden müssen. Ein ungeklärtes Problem wäre dann auch noch, ob jenes Alt-Indien, so es jene "Mutter-Hochkultur" dargestellt haben sollte, zumindest in seiner Endphase mit der archäologisch ergrabenen Indus-Kultur identisch war, oder nicht eher mit der von Thor Heyerdahl der Vergangenheit entrissenen technologisch hochentwickelten, seefahrenden, präbuddhistischen Hochkultur Ceylons, was mir persönlich wahrscheinlicher vorkommt. Selbstredend bedürfen alle diese Zusammenhänge noch intensiver Erforschung.

Für Ceylon dürfte auch die Tatsache sprechen, daß der Südteil des indischen Subkontinents stets die Heimat dunkelhäutiger, als Hochkultur-Ableger von Alt-Indien verdächtigte Kulturen (Shang-China, Olmeken, Alt-Ägypten, Kusch) offensichtlich einen starken "schwarzen", "negroiden" Anteil an der Bevölkerung gehabt zu haben scheinen, und daß diese Völker einst sogar einen starken Anteil an der Ausbreitung von Hochkulturen gehabt zu haben scheinen.

Sollte sich dieses Szenario Alt-Indien als einer einstigen, weltweit agierenden "Mutter-Hochkultur" als zutreffend herausstellen, würde dies selbstredend auch die "Weltanschauung" (so muß man wohl schon sagen) unserer "Indogermanischen Scholastik" in Frage stellen. Beispielsweise würde dann nämlich der Verdacht naheliegen, daß auch die alt-westeuropäische Megalithzivilisation ein Einflußgebiet Alt-Indiens gewesen sein könnte, ebenso die verschollenen alt-iberischen Hochkulturen. Ein linguistischer Einfluß Alt-Indiens auf Europa könnte sich dann einmal via Innerasien und das iranische Hochland, andererseits maritim über Iberien und den atlantischen Küstenraum Europas ausgebreitet haben. Mit einer Ausbreitung angeblicher Indogermanen wäre es dann also definitiv nichts mehr, und das ganze „Indogermanen“-Szenario müßte haltlos in sich zusammenfallen, wie ein Kartenhaus, das es aus wissenschafts­philosophischer Sicht ja stets war!


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von Dr. Horst Friedrich © erschien erstmals in der Zeitschrift Wissenschaft ohne Grenzen (0502-10)

Bild-Quellen:

1) harappa.com, unter: http://www.harappa.com/indus/7.html
2) http://www.illinoismysterycave.com/balina.htm (nicht mehr online)