Stichwort: Ario-Atlantismus
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Inhaltsverzeichnis
Zur Genese des Ario-Atlantismus
(bb) Auch wenn der Ario-Atlantismus als ideologisches Konstrukt ideengeschichtlich ein relativ junges Phänomen darstellt, das sich im eigentlichen Sinn des Wortes erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts auszubilden begann, so liegen die Wurzeln ariozentrischer Esoterik unter Einbeziehung von Elementen des Atlantis-Komplexes natürlich weiter zurück. So heißt es etwa bei Herbert Rätz zu ihrer Entwicklungsgeschichte:
"Zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatten Dichter und Publizisten sich mit der geschichtsklitternden Ossian–Legende McPhersons die Rückbesinnung auf die Atlantis-Sage einerseits und den Gralszyklus und die Nibelungensage andererseits eine Form der Kryptohistorie geschaffen. Gegen Ende des Jahrhunderts griffen romantische Schriftsteller, wie Schiller, Herder und Immermann angebliche keltische Mythen auf und transformierten den Stoff in germanophile Legenden. Damit war die Grundlage für die moderne Kryptohistorie, die Ideologie der Neo-Gruppen ebenso wie für die später so beliebten Nationalmythen gelegt. [...]
Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts gehören protorassistische und romantisch lebensreformerische Versatzstücke nicht nur zum klassischen Standard esoterischer Lehren, sondern wurden auch von „seriösen“ Wissenschaftlern gelehrt.. Kulturell wurden die Muster mit der Indogermanenlehre verbunden und von Gelehrten wie Jacob Grimm, Carl Gustav Carus, Lorenz Oken propagiert, von vielen europäischen Schriftstellern popularisiert und von Komponisten wie Richard Wagner als Bildungsgut universalisiert." [1]
Von grundlegender Bedeutung für die spätere Entstehung des Ario-Atlantismus, insbesondere in seiner quasi-religiösen Tendenz, war im späten 19. Jahrhundert zudem das Aufkommen der so genannten Theosophie, einer okkulten Lehre, die vor allem von Helena Petrovna Blavatsky und Henry Steel Olcott entwickelt, popularisiert und als weltanschauliche Bewegung 1875 durch die Gründung der 'Theosophischen Gesellschaft' in eine organisatorische Form gegossen wurde. (Siehe dazu auch: Das Atlantis der Theosophen von Roland M. Horn)
Zu den zentralen Elementen dieses, stark von fernöstlicher Spiritualität und Religionen wie dem Buddhismus und Hinduismus beeinflussten, Ideengebäudes gehört auch eine Rassenlehre, die man fast als Persiflage der damals neu entstehenden Evolutionslehre Charles Darwins ansehen könnte - in jedem Fall war sie eindeutig von ihr beeinflusst.
"Nach dieser >Theorie< existierte", wie Martin Marheineke feststellt, "zunächst eine >polarische< Rasse, der später die >hyperboräische Rasse< folgte. Daraus entwickelte sich auf dem untergegangenen Kontinent Lemuria die >lemurische Rasse<, von denen die >niedrigen Menschenrassen< stammten, zu denen sowohl der damals frisch entdeckte Neanderthaler wie >primitive< Restvölker wie Buschmänner und Pygmäen gezählt wurden. Auf Lemuria entstanden außerdem die Ungeheuer unserer Mythen und Sagen (Zyklopen, Kentauren usw.). Es folgte die vierte Wurzelrasse, der nahezu alle >farbigen< Völker angehören. Auch die fünfte, die „arische" Rasse, entstand auf einem versunkenen Kontinent: auf Atlantis, das nach theosophischer Ansicht exakt 9564 v. u. Z. unterging. Dem Untergang von Atlantis seien einige Menschen entkommen, die in den Süden gewandert waren, und dort die Hochkulturen des Altertums gegründet hätten. Aus der >arischen Urrasse< gingen sieben >Unterrassen< hervor: die ur-indische (Indoarier), die ägyptisch-chaldäische (Ägypter, Teile der Semiten), die ur-persische, die griechisch-lateinische (mediterrane) Rasse, und schließlich noch die germanisch-nordische, die aus Germanen, Kelten und Slawen besteht." [2]
Da Blavatsky, wie Marheineke es ausdrückt, "gelinde gesagt [...] starke antisemitische Vorurteile hegte, wies sie den Juden eine >Sonderrolle< [...] zu." [3] Sie seien, wie wir aus einer anderen Quelle erfahren, "eine >künstliche arische Rasse<, ein >abnormes und unnatürliches Bindeglied zwischen der vierten und fünften Wurzelrasse<." [4] Während sie anscheinend offen ließ, was mit diesem "abnorme[n] und unnatürliche[n] Bindeglied" zu geschehen habe, äußerte sie sich bezüglich der Abkömmlinge anderer "Wurzelrassen" recht unverblümt:
"Für die meisten Naturvölker der Erde sieht Blavatsky deren Ausrottung als eine >karmische Notwendigkeit< an. Im zweiten Band ihrer „Geheimlehre“ schreibt Blavatsky: >Es ist ungenau zu behaupten, dass das Aussterben einer niederen Rasse ausnahmslos eine Folge der von Kolonisten verübten Grausamkeiten oder Misshandlungen sei... Rothäute, Eskimos, Papuas, Australier, Polynesier usw. 3 sterben alle aus... Die Flutwelle der inkarnierten Egos ist über sie hinausgerollt, um in entwickelteren und weniger greisenhaften Stämmen Erfahrung zu ernten; und ihr Verlöschen ist daher eine karmische Notwendigkeit<." [5] Die Theosophen selbst betrachtete sie dagegen "als die Vorboten der nächsthöheren, der sechsten Wurzelrasse, also als >Übermenschen<." [6]
"Verdeutlicht schon die von Lanz geprägte Bezeichnung >Ariosophie< den Zusammenhang mit der älteren >Theosophie<, so werden viele Eigenheiten im Weltbild der Ariosophen und ihrer Nachfolger überhaupt erst durch den Einfluss theosophischer Schriften verständlich. Ein augenfälliges Beispiel dafür ist die Verknüpfung der Germanen mit Atlantis, die letztlich auf die theosophische Annahme eines Ursprungs der Menschheit mit ihren unterschiedlich hoch entwickelten >Unterrassen< aus einer in Atlantis entstandenen (+x) >Wurzelrasse< zurückgeht. In dieser Tradition steht übrigens auch die 1912 als Abspaltung der Theosophie entsandene Anthropsophie Rudolf Steiners (1861-1925), der eine eigene Schrift über 'Unsere Atlanischen Vorfahren' verfasste. Antrhroposophen wie Ariosophen stehen hier in der Traition des englischen Theosophen William Scott-Elliot, der in seinem 1896 erschienenen Buch 'Atlantis' zeitgenössische Spekulationen über einen Versunkenen Kontinent mit den Erkenntnissen der Geologie und der indischen Weltalterlehre in Einklang zu bringen suchte. 292
Unmittelbar von der Theosophie übernommen ist auch die Lehre von der Wiederverörperung im Sinne einer zielgerichteten Höherentwicklung des Menschen, die in dieser Form weder dem Hinduismus noch dem Buddhismus bekannt ist und letztlich auf eine Verschmelzung indischer Traditionen mit der christlichen Geschichtstheologie, der naturwissenschaftlichen Evolutionslehre und dem Fortschrittsoptimismus der Jahrzehnte vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zurückzuführen ist." (+x) Quelle: Bernhard Maier, Die Religion der Germanen, C.H.Beck, 2003, S. 164
Daniel Junker [7] schreibt über sie: "Sie zählt mit zu [den] skurrilsten Erscheinungen der an Merkwürdigkeiten nicht armen völkisch-religiösen Bewegung. Auf der anderen Seite muß die Ariosophie und müssen ihre Vertreter auch eine gewisse Faszination auf einen Teil der Gesellschaft ausgeübt haben, da sich selbst Menschen wie August Strindberg [8] wohlwollend mit ihr auseinandergesetzt haben. Nach René Freund ließt sich die Mitgliederliste des O.N.T. [9] >wie ein Who´s Who des k.u.k. Österreich - neben hohen Militärs finden sich Universitätsprofessoren, Wissenschaftler, Schriftsteller.<." [10]
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Wenn wir zudem die Definition des Historikers und Fachbuch-Autors Franz Wegener zum Atlantis-Verständnis rechter Atlantisten heranziehen, der als ihre wesentliche Gemeinsamkeit die "populärwissenschaftliche Umsetzung des Atlantis-Mythos in einer nordistisch-rassistischen Variante" (+x) Quelle: Franz Wegener, Das atlantidische Weltbild - Nationalsozialismus und Neue Rechte auf der Suche nach dem versunkenen Atlantis, Gladbeck: KFVR - Kulturförderverein Ruhrgebiet e.V., 2., leicht veränderte Auflage 2003 (Erstausg. 2001), S. 10
Der Ario-Atlantismus im 'Dritten Reich
"Im offiziellen Vokabular der Nazis spielte Atlantis keine Rolle. Hitler ging sogar äußerst hart gegen alle esoterischen Sektierer und Schwärmer in dieser Richtung vor." (+x) Quelle: Arn Strohmeyer, Atlantis ist nicht Troja - Über den Umgang mit einem Mythos, Donat Verlag, Bremen, 1997, S. 116
Ario-Atlantismus nach 1945
In der kritischen Rezeption des Nationalsozialismus wurden okkulte bzw. esoterische Aspekte seiner Ideologie - zumindest im deutschsprachgen Raum - nach 1945 zunächst weitgehend ignoriert oder verdrängt.
Bei Wikipedia heißt es darüber: "Die 1949 gegründete neonazistische National Renaissance Party erregte in den 1960er und 70er Jahren Aufsehen durch gezielte Demonstrationen in hauptsächlich von Juden und Schwarzen bewohnten Vierteln New Yorks, die regelmäßig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führten. Ihr Vorsitzender James H. Madole (1927–1979) war von Science Fiction, Neuheidentum und Satanismus beeinflusst, besonders jedoch von indischen Lehren und der Theosophie Helena Blavatskys. Von dieser übernahm er etwa - wie bereits Lanz von Liebenfels[37] - die Erzählung von der Rassenmischung der am tiefsten stehenden Wurzelrasse, der Lemurier, die wahre Ungeheuer hervorgebracht habe. Er propagierte die Kastengesellschaft des vedischen Indien als Modell eines auf dem Boden der USA zu errichtenden faschistischen Staates Neue Atlantis.
Dieses hierarchische Modell stamme aus dem untergegangenen Atlantis, wo Arier als „Weiße Götter“ verehrt worden seien, und habe sich auch im antiken Ägypten und Rom sowie im keltischen Europa der Druiden fortgesetzt. Es war für Madole weit mehr als eine romantische Sehnsucht nach einem Goldenen Zeitalter, sondern er wollte seine autoritäre Utopie herbeizwingen durch Gewalt, Auswahl und Förderung der Geeigneten, Schulung arischer Philosophenkönige sowie Eliminieren minderwertiger rassischer Elemente mittels Euthanasie und Eugenik. Hierarchie und Rassensegregation waren für ihn Ausdruck einer Harmonie zwischen Makrokosmos (Universum) und Mikrokosmos (menschlichem Körper)." (+x) Quelle: Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, Stichwort: Rechte Esoterik (Stand: 4. Juli 2009)
Beiträge zu diesem Thema
Der "Urenkel des Zeus" - K. G. Zschaetzschs atlantische Urheimat der Arier (bb)
Das ar(kt)ische Ur-Atlantis des Hermann Wirth (bb)
Albert Ludwig Herrmann: Ein friesisches Atlantis in Tunesien (bb)
Die hohle Welt der Nationalsozialisten (Louis Pauwels u. Jaques Bergier)
Externa
Hans Schuhmacher, Ariosophie - ein Überblick (Rabenclan)
Eibensang, Ariosophie – was ist das und wo kommt sie her? (Nornirs Ætt)
MartinM, Des “listigen Guidos” Erben – Die Ariosophie von den Anfängen bis zum Armanenorden (Nornirs Ætt)
MartinM, Des “listigen Guido” Erben (2): Die Ariosophie – eine Quelle der nationalsozialistischen Ideologie (Nornirs Ætt)
MartinM, Des “listigen Guidos” Erben (3): Der Armanenorden (Nornirs Ætt)
Dr. Alexander Berzin, Die Verbindung der Nazis mit Shambala und Tibet (Berzin Archiv - Das Buddhismus-Archiv von Dr. Alexander Berzin)
Büro gegen finstere Zeiten, „SCHWARZE SONNE“ ÜBER AUSCHWITZ - Über die Geschichte des Nazisymbols „Schwarze Sonne“ (PDF-File 209,71 KB), Bern 2006
Literaturhinweise
Nicholas Goodrick-Clarke, The Occult Roots of Nazism, (deutsch: Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus, L. Stocker, 1997)
William Henry, ONE FOOT IN ATLANTIS - THE SECRET OCCULT HISTORY OF WORLD WAR II AND ITS IMPACT ON NEW AGE POLITICS, Anchorage (Alaska), 1998
Anmerkungen und Quellen
- ↑ Quelle: Herbert Rätz, Esoterik und Rechtsextremismus - Durch die Mitte stramm rechts (PDF-File, 92,43 KB), bei: Kritiknetz - Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft
- ↑ Quelle: Martin Marheineke, Macht und Magie - „The Hermic Order of the Golden Dawn", Mai 2000
- ↑ Quelle: ebd.
- ↑ Quelle: Büro gegen finstere Zeiten, „SCHWARZE SONNE“ ÜBER AUSCHWITZ - Über die Geschichte des Nazisymbols „Schwarze Sonne“ (PDF-File 209,71 KB), Bern 2006
- ↑ Quelle: ebd.
- ↑ Quelle: Martin Marheineke, op. cit.
- ↑ Siehe: Daniel Junker, Gott in uns! Die Germanische Glaubens-Gemeinschaft - Ein Beitrag zur Geschichte völkischer Religiosität in der Weimarer Republik (Magisterarbeit Universität Hamburg 1997), S. 21,22
- ↑ Anmerkung von Daniel Junker: Strindberg war, was belegt ist, Korrespondenzpartner von Lanz von Liebenfels, nach eigenen Aussagen soll sogar Lenin sein Werk positiv rezipiert haben. Vgl. dazu: Daim, Wilfried: Der Mann, der Hitler die Ideen gab. Die sektiererischen Grundlagen des Nationalsozialismus, Berlin, 1991, S. 101 ff.
- ↑ Anmerkung von Daniel Junker: Dieser 1900 von Lanz und seinen Brüdern gegründete Orden sollte an das Erbe des Temelherrenordens und des Zisterzienser-Ritter-Ordens anknüpfen. Zum "Ordo novi Templi" (O.N.T.) vgl. Hieronimus: Liebenfels, S. 134-142.
- ↑ Quelle nach Daniel Junker: Freund S. 35