Der Streit um den Großen Sphinx

von John Anthony West

Die Untersuchung des Sphinx durch Gauri und Lehner

Abb. 1 Der Sphinx vor der Großen Pyramide von Giseh. (Foto: Lars Fischinger)

Gerade als ich das letzte Kapitel [von 'Die Schlange am Firmament'; d. Red.] fertiggestellt hatte, wurde eine archäologische und geologische Umersuchung des Sphinx durchgeführt. Projektleiter waren Mark Lehner, Field Director des American Research Center in Agypten, und K. Lal Gauri, Direktor des Stone Conservation Laboratory der Universität von Louisville, Kentucky. Finanziert wurde das Unternehmen mit Mitteln der Cayce Foundation (in der Tat ungewöhnliche intellektuelle Partner!). Die Ergebnisse wurden im American Research Center in Egypt Newsletter (Nr. 112 und 114) veröffentlicht.

Bei der Untersuchung spielte die Frage einer neuen Chronologie keine Rolle. Lehner und Gauri vermeiden in ihren Schlußfolgerungen eine Neudatierung des Sphinx. Aber die veröffentlichten Ergebnisse unterstützen meine Argumentation in jeder Hinsicht. Die alternative Erklärung für die Verwitterung des Sphinx, die Gauri vortrug, um die geltende Chronologie zu stützen, ist meines Erachtens nicht überzeugend. Sie widerspricht nämlich genau den Befunden, die er selbst zutage gefördert hat.

Auch wenn der Untersuchungsbericht etwas technisch klingt, sind die Fragen, um die es geht, leicht erklärt und für den aufmerksamen Leser auch zu verstehen. Es folgt eine Auflistung der wesentlichen Punkte; auf Einzelheiten gehe ich später ein:

1) Die Standarderklärung, die Verwitterung des Sphinx beruhe auf der Wirkung von Wind und Sand, wurde aufgegeben.

2) Mark Lehner konnte feststellen, daß nicht nur eine, sondern drei größere Reparaturmaßnahmen am Sphinx vorgenommen wurden. Deren Datierung stellt uns vor vielleicht unlösbare Probleme. Lehner nimmt die früheste Maßnahme vorläufig für das Neue Reich (1550- 1070 v. Chr.) an.

3) Lehner behauptet, daß der Sphinx, sieht man von den letzten Jahrzehnten einmal ab, seit dieser Restaurierung nicht mehr nennenswert verwittert sei. Dieser für eine Revision der Chronologie vielleicht entscheidende Punkt muß besonders hervorgehoben werden.

4) Nach Lehners Berechnungen bleibt eine Zeitspanne von etwa 500 Jahren, während der der Sphinx von seinem ursprünglichen Zustand zum gegenwärtigen Erscheinungsbild verwitterte (mit Vertiefungen von bis zu 60 Zentimetern in den Sandsteinwänden).

5) Untersuchungen von Gauri ergaben, daß die Verwitterung durch Wasser, das mit den natürlichen Salzen im Kalkstein reagierte, hervorgerufen wurde. Mit anderen Worten: die Erosionsschäden am Sphinx sind auf Wasser zurückzuführen.

6) Gauri macht jedoch das Grundwasser für die Verwitterung verantwortlich, das seinen Angaben zufolge aus dem Boden in den Sphinxkörper steigt, führt aber nicht aus, wie die Erosionswirkung zustande kommt. Gauri und Lehner scheinen sich über die Widersprüche in ihren Schlußfolgerungen nicht im klaren zu sein.

Es gibt nämlich eine Reihe eklatanter Widersprüche, und solange wir nicht an ein geologisches Wunder glauben wollen, das sich am Sphinx vollzieht, ist die Argumentation von Gauri nicht hinreichend, um die Erosion am Sphinx zu erklären.

Der Schlüssel zu Gauris Trugschluß ist Lehners Entdeckung, daß es seit der ersten Restauration zu keiner nennenswerten Erosion mehr gekommen sei, so daß - gemäß Lehner und entsprechend herkömmlicher Chronologie und Datierung – die Erosionskräfte nur 500 Jahre wirken konnten. Wo aber befand sich während der übrigen Zeit das Grundwasser des Dr. Gauri? Und wie konnte es in den Sphinxkörper kriechen und innerhalb von nur 500 Jahren in dessen Flanken zwei Kanäle von 60 Zentimetern Tiefe hinterlassen, um dann ca. 4000 Jahre lang sein Zerstörungswerk zu unterbrechen?

Man könnte also argumentieren, daß die verschiedenen Restaurierungsmaßnahmen eine weitere Erosion verhinderten, weil die Oberfläche des Sphinx geschützt wurde. Das Argument ist aber nicht stichhaltig. Die Wände des Grabens um den Sphinx wurden nie restauriert […]. Sie weisen Erosionsmerkmale auf, die mit denen des Sphinx absolut identisch sind. Da Gauris Erklärung einen unvorstellbar schnell voranschreitenden Erosionsschaden von zehn Zentimetern pro Jahrhundert voraussetzt, müßten die nie restaurierten Grabenwände noch erheblich größere Schäden als der Sphinxkörper zeigen.

Das ist aber nicht der Fall. Die Probleme, die sich aus Gauris Argumentation ergeben, werden durch die Besonderheiten des Grundwasserspiegels vor Ort noch komplizierter. Bis zur Errichtung des Assuan-Staudamms, dieses ganz entscheidenden Störfaktors, regulierten die jährlichen Nilschwellen den Grundwasserspiegel der sich bis dahin leicht berechnen ließ und noch feststellen läßt. Im Laufe der Jahrtausende kam es zur Ablagerung von Schwemmsand, wodurch sich der Boden des Überschwemmungsgebiets in 1000 Jahren um knapp 3 Meter hob. Der Grundwasserspiegel stieg entsprechend. Das bedeutet, bei der Erbauung des Sphinx vor angeblich 5000 Jahren lag der Grundwasserspiegel etwa 15 Meter unter seinem gegenwärtigen Niveau (bei 3 Metern pro Jahrtausend).

Nach Gauris Argumentation müßte also das in jenen Tagen über 17 Meter tief unter dem Sphinx liegende Grundwasser in dessen Körper gestiegen sein, als der Sphinx aus dem Felsstock gehauen wurde, und zu einer Erosion von etwa 10 Zentimetern pro Jahrhundert geführt haben. Danach kam die Verwitterung zum Stillstand, während der Wasserspiegel viereinhalb Jahrtausende weiter anstieg. Lehner behauptet ja, das endgültige Stadium der Verwitterung des Sphinx sei zum Zeitpunkt der ersten Restauration so gut wie erreicht gewesen.

Für mich ist dergleichen unbegreiflich. War hier ein geologisches Wunder am Werk? Und warum soll es nicht noch mehr dieser Wunder geben? Machen wir uns also auf einiges gefaßt.

Zunächst zu dem merkwürdigen Taltempel, jenem Sphinxtempel, auf den im letzten Kapitel ausführlich eingegangen wurde. Meine Argumentation gilt nach wie vor, aber aufgrund der von Gauri vorgelegten Ergebnisse können nun weitere Rückschlüsse gezogen werden.

Wie ich bereits ausgeführt habe, sind die Erosionskräfte, die am Sphinx wirken, auch verantwortlich für die Verwitterung der mächtigen Quader des Taltempels. Auch aus diesem Grund muß ich Gauris Hypothese zurückweisen. Wasser, das durch Kapillardruck steigt, könnte nicht unterschiedliche Quaderlagen überwinden. Gauris These wird angesichts der spezifischen Erosionsmerkmale des Taltempels sofort fragwürdig.

Für beide Bauwerke können nur dieselben Erosionsfaktoren verantwortlich sein, und im Fall des Taltempels kann es keinesfalls nach oben dringendes Wasser gewesen sein. Die gleiche Argumentation ergibt sich auch angesichts der Erosionsmerkmale des (ebenfalls im letzten Kapitel ausführlich behandelten) sogenannten Totentempels, der mit dem Sphinx durch eine Straße verbunden ist.

Der Tempel wurde mehr als 50 Meter über der Sphinxebene erbaut, seine Erosionsmerkmale entsprechen aber denen des Sphinx (wenn man davon absieht, daß er noch drastischeren Schaden genommen hat, was auf seine weniger geschützte Lage auf dem Plateau zurückzuführen ist). Wenn also aus dem Boden nach oben drückendes Grundwasser für die Erosion des Sphinx verantwortlich gewesen sein soll, dann hätte es noch 50 Meter höher steigen müssen, um die Verwitterung des Totentempels zu bewirken. Außerdem hätte das Grundwasser irgendwie selektiv nach oben steigen müssen, denn unter den unzähligen Mastabas und anderen Bauwerken, die zur Zeit des Alten Reiches auf der Ebene errichtet wurden, zeigt nur der Totentempel die typischen Wassererosionsmerkmale - unvorstellbar wie die ganze Gauri/Lehner-Hypothese.

Meine Argumentation hat sich erhärtet: Grundwasser kann weder den Sphinx, noch den Taltempel oder den Totentempel verwittert haben. Die Erosionsspuren der drei Bauwerke müssen aber ein und dieselbe Ursache haben.

Die Untersuchung von Mark Lehner bestätigt meine Argumente. Er hält sich zwar in seinem Bericht strikt aus jeder Kontroverse heraus, dennoch spürt man, daß er sich mit seinen Behauptungen unbehaglich fühlt. Warum sonst dieser so besorgte Hinweis auf seine Berechnung der etwa 500 Jahre für die Verwitterung des Sphinx von seinem ursprünglichen Zustand bis zum heutigen Erscheinungsbild, wenn ihn seine Angabe nicht selbst schleierhaft dünkt?

Abb. 2 Erosionsspuren an der Einfassungsmauer des Sphinx. Foto: Lars Fischinger

Außerdem rätselt Lehner über die ersten Restaurierungsmaßnahmen, die mit großen Quadern, wie sie für das Alte Reich üblich sind, ausgeführt wurden. Der Sphinx habe ursprünglich eine Oberfläche aus diesen Blöcken gehabt und nicht nur aus dem gewachsenen Felsen bestanden, wovon gewöhnlich stillschweigend ausgegangen wird. Damit hätte man die Quader im Stil des Alten Reiches erklären können, doch da es auf der Oberfläche des Sphinx keinerlei Anzeichen für eine grobe Behauung gab, mußte er diese Auffassung revidieren. Hätte er jedoch darauf bestanden, daß die erste Restaurierung im Alten Reich erfolgte, wäre die übliche Zuordnung des Sphinx zu Chephren in Frage gestellt gewesen, da ja nach seinen Darlegungen jegliche nennenswerte Verwitterung vor der frühesten Reparaturmaßnahme stattfand. Deshalb geht er später von einer Reparatur im Neuen Reich aus, obwohl der Stil des Mauerwerks dem nicht entspricht.

All diese Ungereimtheiten und Widersprüche lassen sich auflösen, wenn man von einem sehr hohen Alter des Sphinx ausgeht. Natürlich bedeutet dies, daß man die Geschichte der Menschheit neu schreiben muß - und noch wichtiger -, es bedeutet, daß man die Vorstellung vom „Fortschritt“ als eines linearen Prozesses, der von angeblichen affenartigen Vorfahren in einem glatten Crescendo bis zu uns verlief, ebenfalls überdenken muß. Das sollte für Natur- und Geisteswissenschaftler, die sich für die objektive Wahrheit interessieren, eine willkommene Herausforderung sein.


Neueste Forschungsergebnisse

Ich weiß von keiner bedeutenden wissenschaftlichen Theorie, die nicht eine lange Entwicklungsgeschichte gehabt hätte, in deren Verlauf es zu Korrekturen, einem Sichten und Sortieren, zu Präzisierungen und auch Revisionen kam. Die Theorien zum Alter des Sphinx machen da keine Ausnahme.

Daß der Sphinx nicht durch Wind und Sand verwittert sein kann, war mir auch ohne geologische Hilfsmittel klar (selbst Gauri und Lehner waren sich in diesem Punkt einig). Die Widersprüche in ihrem Untersuchungsbericht boten mir die Möglichkeit, Chephren ein für allemal als Erbauer des Sphinx auszuschließen. Wäre man vernünftig und logisch vorgegangen, wäre es auch ohne die Hilfe der Geologie zu einer neuen Datierungstheorie gekommen. Doch im Wissenschaftsbetrieb unserer Tage braucht eine geologisch begründete Theorie eben den Segen eines Geologen, damit das akademische Establishment sie überhaupt zur Kenntnis nimmt. (Man darf das nicht so verstehen, daß das akademische Establishment ein Monopol für naturwissenschaftliche oder geisteswissenschaftliche Wahrheiten hat. Doch ohne eine gewisse akademische Anerkennung ist die Aufmerksamkeit der Medien nicht zu gewinnen, und ohne die Medien ist es sehr schwierig, dem breiten Publikum eine neue Idee oder Theorie vorzustellen.)

1989 gelang es einem befreundeten Geologen, das Interesse eines Kollegen für den Sphinx zu wecken. Robert M. Schoch ist Stratigraph und Paläontologe. Sein Spezialgebiet ist die Erosion weicher Felsen (wie des Kalksteins auf dem Gizeh-Plateau). Er verfügte über genau das nötige Fachwissen, um meine Theorie zu verifizieren oder endgültig vom Tisch zu fegen. Es gibt viele Geologen, aber nur wenige sind spezialisiert genug, um ein definitives Urteil über den Argumentationszusammenhang meiner Theorie abgeben zu können.

Schoch erkannte die Schwachstellen im Bericht von Gauri und Lehner sofort und erklärte, daß die auf den von mir vorgelegten Fotos dokumentierten Erosionsschäden typisch für Wassererosion seien, war aber dennoch höchst skeptisch - wahrscheinlich weil die Wassererosion einfach zu offensichtlich war. Schoch konnte sich nicht vorstellen, daß in den 200 Jahren, die nie auf dem Gizeh-Plateau geforscht, gegraben und restauriert wurde, niemand vor Schwaller de Lubicz auf die Idee gekommen war, daß die Verwitterung des Sphinx von Wasser herrührte, und daß niemand vor mir gemerkt haben sollte, daß diese Art der Erosion auf den Sphinx und die benachbarten Bauwerke beschränkt war. Er war überzeugt, daß ich als Amateur irgendeinen entscheidenden Punkt übersehen hätte.

Als er im Juni 1990 nach Ägypten fuhr und sich vor Ort ein Bild machte, änderte Schoch seine Meinung. Für ihn stand nun fest, daß der Sphinx durch Wassereinwirkung verwittert war - aber aufgrund ihrer Beschaffenheit konnte die Erosion auf keinen Fall die Folge von Grundwasser sein, wie Lehner und Gauri behauptet hatten. Es waren aber auch nicht die Überschwemmungen, wie ich behauptet hatte. Schoch hielt die Schäden am Sphinx für die Folge heftiger Niederschläge. Mit anderen Worten, Regenwasser hatte zur Erosion des Sphinx geführt, nicht Überflutungen.

Das war der eine große Fehler in meiner Argumentation. Da mit war aber auch ein entscheidender Vorbehalt ausgeräumt, den ich von Anfang an hatte. Die geologische Literatur, auf die sich meine Theorie unter anderem stützte, sprach von unvorstellbar großen Fluten in Ägypten nach der letzten Eiszeit, bevor die Sahara entstand. In diesen Angaben sah ich die einzig plausible Ursache für die Wassermassen, die den Sphinx erodierten. Das Problem war nur, daß der Sphinx bis hinauf zum Hals verwittert war. Das setzte Fluten im Niltal voraus, die mindestens sicher zwanzig Meter hoch gestiegen waren.

Schwerlich kann man sich solche Wassermassen vorstellen, zumal dann auch die Kernquader des sogenannten Totentempels am Ende der Straße vom Sphinx Spuren von Wassereinwirkung zeigen müßten und die Fluten auch das Fundament der Pyramiden umspült haben müßten. Das bedeutet, die Überschwemmungen hätten noch dreißig Meter höher sein müssen. Einige Kritiker hatten sich über diesen Gedanken mokiert, zu der ungewöhnlichen Verwitterung wußten sie aber nichts zu sagen.

Starke Niederschläge lösten alle Probleme mit einem Schlag. Die Geologiebücher, die ich herangezogen hatte, sprachen von Überschwemmungen in Verbindung mit langen Perioden hoher Niederschläge; als Nichtgeologe war mir nicht klar, daß Regen und nicht Überschwemmung der ursächliche Verwitterungsfaktor war. Im nachhinein muß ich einräumen, daß man kein Genie zu sein braucht, um das zu erkennen.

Bedauerlicherweise konnte Schoch den Kalkstein vor Ort am Sphinx nicht untersuchen. Persönlich hatte er zwar keine Zweifel mehr, um festzustellen, ob die Verwitterung von Niederschlag herrührte, mußte er aber am Fels arbeiten. Es mußte auch ausgeschlossen werden, daß die Verwitterung am Sphinx keine geologischen Ursachen hatte. Der Sphinx kann schließlich aus einer anderen Gesteinsschicht oder -art gehauen worden sein. Von unserem Beobachtungspunkt aus am Rande des Sphinxgrabens schien nichts darauf hinzudeuten, aber wir konnten die Möglichkeit nicht einfach ausschließen.

Mit Unterstützung Schochs wurde ein „Sphinxteam“ gebildet. Uns war klar, daß wir wohlüberlegt vorgehen mußten, wenn wir unsere Sphinxtheorie verifizieren wollten. Die wissenschaftliche Seite war ja nur ein Aspekt unseres Unternehmens; wir brauchten dazu vor allen Dingen die Genehmigung der Egyptian Antiquities Organization. Die Hochebene von Gizeh ist vielleicht das brisanteste Gebiet in Ägypten, in politischer wie akademischer Hinsicht. Selbst mit einer weniger spektakulären Theorie als der unseren würde eine Genehmigung kaum zu bekommen sein. Finanzieren mußten wir unser Projekt aus privaten Mitteln. Und schließlich mußten wir einen Weg finden, die Theorie der Öffentlichkeit vorzustellen - vorausgesetzt, Schoch hielt sie für geologisch stichhaltig. Von ägyptologischer und archäologischer Seite hatten wir nichts zu erwarten, bloß Widerstand. Ohne öffentliche Resonanz würde die Sphinxtheorie sicher ewigem Vergessen anheimfallen. Wir wollten die Arbeiten am Sphinx auf Video aufzeichnen, um eine breite Öffentlichkeit zu erreichen (Näheres ist dem Buch 'Unriddling the Sphinx' von Robert Schoch und mir vorbehalten).

Mit der Empfehlung seines Dekanats beantragte Schoch eine Arbeitserlaubnis bei den ägyptischen Behörden, die man ihm schließlich erteilte. Um die finanziellen Mittel aufzutreiben, waren viel Phantasie und mühsame Kleinarbeit erforderlich. Durch die Operation Desert Storm waren wir zunächst gezwungen, unser Vorhaben zu verschieben, doch im April 1991 war es dann soweit; wir konnten uns „offiziell“ an die Arbeit machen.

Wir verfolgten zwei Hauptziele. Als erstes mußten wir definitiv festzustellen versuchen, ob die Wassererosionstheorie hieb- und stichfest war, und dann mußten wir überprüfen, ob die Theorie in sich stimmig ist, ob sich die verschiedenen Aspekte nicht widersprechen. Dazu benötigten wir die kostspieligen, aber unverzichtbaren Dienste eines Geophysikers und hochmoderne seismographische Geräte.

Eine Frage, die mir vom Establishment gestellt wurde (bei jenen seltenen Gelegenheiten, als ich überhaupt einer Reaktion gewürdigt wurde), lautete: Wie kommt es, daß der Sphinx das einzige Überbleibsel dieser untergegangenen Kultur ist? Ich hatte natürlich nie behauptet, daß der Sphinx der einzige Überrest sei. Natürlich muß noch mehr vorhanden sein. Wenn der Sphinx älter als die Sahara ist, müssen andere Bauwerke irgendwo verschüttet sein, möglicherweise tiefer, als bisher gesucht wurde. Wir hatten jedenfalls die Hoffnung, daß wir mit unseren Seismographen etwas finden würden.

Zu unserem Team gehörten der Geophysiker Thomas L. Dobecki, Sozius der Firma McBride-Ratcliff & Associates, nebenbei Architekt und ein hervorragender Amateurfotograf, sowie zwei Geologen und ein Ozeanograph. Mein alter Freund Boris Said, ehemaliger Rennfahrer bei Ferrari und Exkapitän des US-amerikanischen Bobteams, heute Produzent ungewöhnlicher Dokumentarfilme, stieg als Projektleiter und Verantwortlicher für das geplante Video ein.

Als sich Schoch innerhalb der Abgrenzung um den Sphinx an die Arbeit machte, war seine anfängliche Skepsis bald verflogen. Der Sphinx, die Grabenwände und die relativ unverwitterten oder deutlich winderodierten Gräber aus dem Alten Reich im Süden (die etwa der Chephrenperiode entstammen) waren alle aus demselben Stein gehauen. Schoch meinte, geologisch könne man alle diese Bauwerke nicht einer einzigen Periode zuordnen. Die Wissenschaftler unseres Teams kamen zu demselben Ergeb­nis. Nur Wasser, in erster Linie Regenwasser, konnte die Erosion am Sphinx bewirkt haben. Nach eingehender Prüfung war die Grabenwand für unsere Untersuchung sogar noch entscheiden­der als der häufig restaurierte und nun zum Teil verkleidete Sphinx. Nur Wasser, das in Kaskaden die Ebene hinunter in den Sphinxgraben gelaufen war, konnte diese tiefen, senkrechten Risse und die flachen Aushöhlungen verursacht haben […]

Die ersten Ergebnisse der seismographischen Untersuchung Dobeckis waren vielversprechend. Wir entdeckten „Anomalien“ oder „Höhlen“ tief im Felsen zwischen den Tatzen der Sphinx. Auf dem abschüssigen Terrain vor dem Sphinx fanden wir mehrere tiefe Kannäle oder Rinnen in das Gestein gehauen […]. Sollte sich eines Tages beweisen lassen, daß sie von Menschenhand sind, könnte es sich um eine wichtige archäolo­gische Entdeckung handeln.

Dann dehnten wir die geologischen Untersuchungen auch auf Objekte aus, die mir früher schon aufgefallen waren. In Sakkara, gut zehn Kilometer südlich vom Sphinx, gibt es Königs­gräber aus Lehmziegeln, die aus der 1. Dynastie (3000 v.Chr. bzw. 500 Jahre vor Chephren) stammen. Die weichen Lehm­ziegel sind noch als solche zu erkennen und relativ gut erhalten. Konnte es sein, daß der Körper des Kalksteinsphinx 90 Zentime­ter tiefe Verwitterungsspuren zeigte, während nur wenige Kilo­meter weiter die Lehmziegel von angeblich viel älteren Gräbern in einem so guten Zustand waren, daß man sie heute wiederver­wenden könnte? Schoch hielt das für ausgeschlossen, und er wollte seine Auffassung auch öffentlich vertreten, daß der Sphinx älter als das dynastische Ägypten sein müsse.

Abb. 3 Erosionsspuren an der Einfassungsmauer des Sphinx. Foto: Lars Fischinger

Einige Monate später bescherten uns Dobeckis inzwischen ausgewertete geophysikalische Daten neue Überraschungen [...] Der Kalkstein hinter dem Sphinx wies nur etwa die halbe Erosion auf, wie die Seiten (etwa 1,2 m hinten und 2,4 m an den Seiten). Da der Boden um den Sphinx aus demselben Stein ist und die Seiten und der Rücken seit der Zeit des dynastischen Ägyptens gleichen Wetterbedingungen ausgesetzt waren, konnte diese Tatsache für Schoch und Dobecki nur eines bedeuten: Der Fels im hinteren Bereich des Sphinx war erst zu einem späteren Zeitpunkt entfernt worden. Anders ließ sich der unterschiedliche Verwitterungsgrad nicht erklären. Da die ersten Reparaturen die Handschrift des Alten Reiches tragen und es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Chephren war, der den Sphinx restaurieren ließ, kann man behaupten, daß dieser Teil des Grabens nicht später als zu Zeiten Chephrens entfernt worden sei, also vor etwa 4500 Jahren. Wenn der Felsen in 4500 Jahren ungefähr 1,2 Meter verwittert war, bedeutete das, daß die tiefergehende Verwitterung der Seiten entsprechend länger gedauert hatte.

Diese Ergebnisse untermauern Schochs geologische Diagnose. Nun konnte er von einem sehr vorsichtig geschätzten Datum von spätestens 5000 bis 7000 v. Chr. ausgehen. „Spätestens“ muß hier hervorgehoben werden, da Erosion keine lineare Erscheinung ist. Mit fortschreitender Verwitterung verlangsamt sich der Prozeß. (Außerdem spricht einiges dafür, daß Chephren nicht der erste Restaurator des Sphinx war.)

In diesem Punkt sind Schoch und ich geteilter Meinung, wir interpretieren dieselben Daten unterschiedlich. Schoch vertritt den konservativsten Standpunkt, der aufgrund der Daten überhaupt möglich ist. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich viele Anschauungen in der Archäologie gewandelt. Wir haben heute ein ganz anderes Bild vom Niveau der alten Zivilisationen, die ihre Blüte zwischen 10000 und 3000 v. Chr. hatten, als die Kulturen in Ägypten und Mesopotamien entstanden. Das Jericho von vor 8000 Jahren hatte bereits starke Steinrnauern; Çatal Hüyük in Anatolien besaß eine vollentwickelte Stadtkultur.

Auch das Bild der neusteinzeitlichen Jäger und Sammler dieser Periode wurde revidiert. Schoch hält es für möglich, daß der Sphinx von einer ägyptischen Entsprechung dieser Kulturen hervorgebracht wurde. Die Sahara war zu jener Zeit zwar schon als Wüste vorhanden, aber noch nicht so trocken wie zu den Zeiten des dynastischen Ägyptens, und es kam während dieser Jahrtausende zu hohen Niederschlägen. Schoch hält es für möglich, daß es diese Regenfälle waren, die die Erosion des Sphinx verursachten.

Ich bin jedoch nach wie vor überzeugt, daß der Sphinx noch vor dem Ende der letzten Eiszeit gebaut worden war. Die am Sphinx und den angrenzenden Tempeln verwendete Technik ist allem überlegen, was in Catal Hüyük oder Jericho zu sehen ist. Hätte das Alte Ägypten über diese Technik verfügt, würden wir sie überall in der alten Welt finden. Die gravierende regenbedingte Verwitterung und die Tatsache, daß wir - wie unsere Gegner nicht müde werden zu wiederholen - aus der Sphinxära keine weiteren Überreste haben, lassen es mir plausibler erscheinen, von dem auszugehen, was nicht ins alte Bild paßt. (Die fehlenden Zeugnisse liegen vielleicht tiefer verschüttet oder an bisher noch nicht erforschten Stellen: etwa unter den Ufern des alten Nils, der etliche Kilometer vom heutigen Flußbett entfernt verlief, oder vielleicht sogar auf dem Boden des Mittelmeers, das während der letzten Eiszeit trockenlag.) Wäre der Sphinx nur 5000 bis 7000 Jahre jung, hätten wir wahrscheinlich weitere Überreste der Kultur, die den Sphinx schuf. Unsere Frage wird sich nur durch weitere Nachforschungen lösen lassen.

Wir reichten eine Zusammenfassung unserer Arbeit bei der Geological Society of America (GSA) ein, und man machte uns den Vorschlag, daß wir unsere Ergebnisse auf der GSA-Konferenz im Oktober 1992 in San Diego präsentieren sollten. Geologen aus aller Welt zeigten Interesse für unsere Schautafeln, Fachleute waren mit ihrem Rat zur Stelle. Angesichts der von uns vorgelegten Tatsachen konnten einige Geologen nur ungläubig den Kopf schütteln, als sie erfuhren, daß während zweihundert Jahren Forschung kein Ägyptologe oder Geologe das, was so offenkundig am Sphinx war, bemerkt hatte: nämlich die Wassererosion.

Wir hatten uns seit der Untersuchung im April, als Schoch unsere Theorie für geologisch einwandfrei erklärte, eine Strategie zurechtgelegt. Wir wollten mit unserer Geschichte an die Öffentlichkeit, ohne uns direkt an die Presse wenden zu müssen. Die einflußreiche ägyptische Wochenzeitung Akhbar el Yom publizierte zwar die erwartungsgemäß ablehnenden Kritiken bekannter Ägyptologen, stellte aber unsere geologische Argumentation korrekt dar. Wir sahen darin anfangs ein gutes Omen, wurden aber enttäuscht.

Mimi Mann, archäologische Korrespondentin in Kairo, stellte uns in einem Rundfunkkommentar als eine Gruppe durchgeknallter Atlantisjäger dar (obwohl wir es in dem dreistündigen Interview tunlichst vermieden hatten, das inkriminierende Wort „Atlantis“ in den Mund zu nehmen). Zahi Hawass, Director of Antiquities of the Giza Plateau and Sakkara, unser schärfster Gegner, machte unser Projekt lächerlich. „Amerikanische Halluzinationen! West ist ein Amateur. Was er behauptet, entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage. Wir haben in derselben Gegend ältere Monumente. Sie wurden mit Sicherheit nicht von Menschen aus dem Weltraum oder aus Atlantis erbaut. Das ist Unsinn, und wir werden es nicht dulden, daß jemand noch Geld damit verdient, indem er Quatsch über unsere Kulturdenkmäler überliefert. Der Sphinx ist die Seele Ägyptens.“ Weitere ablehnende Autoritäten kamen ausführlich zu Wort. Schochs geologische Erkenntnisse wurden in zwei Zeilen abgehandelt.

Doch die Reaktion auf der GSA-Konferenz war besser durchdacht. Nachdem die Journalisten unsere Präsentation gesehen hatten, wollten sie Reaktionen der Ägyptologen hören. „Das kann unmöglich stimmen. Die in der Region lebenden Menschen hätten weder die technischen Voraussetzungen gehabt noch eine Führung, noch überhaupt den Willen, ein solches Bauwerk Tausende von Jahren vor der Herrschaft Chephrens zu errichten“, sagte Carol Redmount, Archäologin der Universität Berkeley; unsere Schlußfolgerungen widersprächen „allem, was wir von Ägypten wissen“ (Los Angeles Times, 23.10.1991).

Lächerlich“, sagte Peter Lecovara, Assistent des Kurators der ägyptischen Abteilung im Bostoner Museum of Fine Arts (Boston Globe, 23.10.1991). „Seit Jahrhunderten beschäftigen sich Tausende von Gelehrten mit diesem Thema. Die Chronologie steht so ziemlich fest. Es gibt keine großen Überraschungen mehr.“ Konfrontiert mit Galileis Beweis für ein heliozentrisches System, hatten die ptolemäischen Astronomen einst ähnliche Einwände erhoben. Von den Dutzenden von Experten, die zu Wort kamen, stellten nur Lanny Bell von der Universität Chicago und John Baines von Oxford fest, daß die Frage nach Alter und Erbauer des Sphinx durch die Geologie eine neue Dimension gewonnen habe. Keiner von beiden ging jedoch auf unsere Schlußfolgerungen ein.

Zum Glück folgte die Presse nicht ihrem Beispiel. Kaum war die GSA-Konferenz vorbei, erschienen in vielen Zeitungen in aller Welt längere Artikel. Im amerikanischen Fernsehen (CNN) und im Radio war von unserer Arbeit die Rede. Die Hälfte der Strecke war geschafft, nun bewegten wir uns auf die Zielgerade zu.

Dann mußten wir uns aber mit der angeblichen Ähnlichkeit von Sphinx und Chephren befassen. Bildhauer, Maler und Fotografen, für die ich häufig als Reiseleiter in Ägypten tätig war, hatten kaum Ähnlichkeiten zwischen beiden festgestellt. Doch in einem Artikel der Zeitschrift National Geographic (April 1991) hatte Mark Lehner am Computer „bewiesen“, daß das zerstörte Gesicht des Sphinx und das des Chephren ein und dasselbe waren. Lehner war zu diesem Schluß gekommen, indem er das Gesicht des Chephren als Modell benutzte. Ein Computer tut natürlich das, was man von ihm will. Mit demselben Verfahren hätte man ebenso „beweisen“ können, daß der Sphinx eigentlich Elvis Presley darstelle.

Die New York Times präsentierte Lehners Rekonstruktion in einem sechsspaltigen Artikel, ebenso unkritisch wie auch der renommierte britische New Scientist. Wer nimmt schon in unserem vom Technologiewahn besessenen Zeitalter die Meinung von Bildhauern und Künstlern ernst? Falschinformationen sind Informationen, zumindest solange, bis sie als solche und entlarvt sind. Nun lag es an uns, den Nachweis zu erbringen, daß hier wissenschaftlicher Mißbrauch getrieben wurde. Angenommen, unser Fall würde vor Gericht verhandelt. Wessen schließ Meinung würde vor Gericht gegen Lehners Computer bestand genhei haben?

Doch nur die der Polizei. Boris Said, unser Projektleiter, hatte die Idee, das Problem einem Gerichtszeichner vorzulegen, zu dessen Aufgaben es gehört, Gesichter zu rekonstruieren. Nach einer Reihe von Telefonaten waren wir mit Frank Domingo von der New Yorker Polizei verbunden. Domingo erklärte sich bereit, an unserer nächsten Reise nach Ägypten teilzunehmen, um genaue Fotografien zu machen und die Chephrenstatue und den Sphinx zu vermessen.

Monate später bestätigte Domingo unsere These in seinem Bericht: „Nachdem ich meine Zeichnungen, schematischen Darstellungen und Vermessungsergebnisse verglichen habe, bestätigen die Ergebnisse meinen ersten Eindruck, daß nämlich die beiden Monumente zwei verschiedene Individuen darstellen. Die unterschiedlichen Proportionen in der Frontalansicht und insbesondere die Winkelverhältnisse der markanten Gesichtspartien überzeugen mich, daß der Sphinx nicht Chephren darstellt. Wenn es stimmt, daß die Alten Ägypter geschickte Handwerker und in der Lage waren, Kopien anzufertigen, dann stellen diese beiden Werke nicht denselben Menschen dar.“

Das Gesicht des Sphinx war nie das Gesicht des Chephren gewesen. Wessen Gesicht der Sphinx trägt, ist damit wieder eine ungelöste Frage. (Noch hat der Sphinx einige Rätsel für uns parat.) Chephren hat den Sphinx nicht in Stein meißeln lassen. Schwaller de Lubiczs beiläufige Beobachtung ist nun geologisch untermauert. Der Sphinx ist wesentlich älter als das dynastische Ägypten. Wie alt der Sphinx tatsächlich ist, muß erst noch bestimmt werden.

Mit der Entwicklung neuer Techniken wird es möglich sein, die Auswirkungen der kosmischen Strahlung auf die Isotopen des Gesteins zu messen. Diese Daten erlauben eine Ermittlung des Zeitpunkts, wann der Fels geschnitten und der Atmosphäre ausgesetzt wurde. Das sollte uns eine wissenschaftlich haltbare Datierung für die Entstehung des Sphinx ermöglichen. In der Zwischenzeit wird unser Team mit seismographischen und anderen Hilfsmitteln, vielleicht auch mit Radar, nach weiteren Beweisen für die untergegangene Kultur suchen, die den Sphinx und seine Tempelanlage erbaut hat.

Meine (mittlerweile durch Erkenntnisse erhärtete) Intuition sagt mir, daß der Ursprung des Sphinx - wenn es uns denn schließlich gelingen wird, ihn zu datieren - soweit in der Vergangenheit zurückliegt, daß wir aus dem Staunen nicht wieder herauskommen werden.


Anmerkungen und Quellen

Schlange am Firmament.jpg

Dieser Beitrag von John Anthony West ist ein Auszug aus seinem Buch "Die Schlange am Firmament" (S. 273-287)), das 1993 im Verlag 2001, Frankfurt am Main, erschienen ist. Die für diese Online-Fassung verwendeten Fotos stammen aus dem Bild-Archiv von Lars A. Fischinger.