Die Mythen der Cheyenne

Zur Notwendigkeit der Revision des eurozentrischen Bildes der Besiedlungs- und Kulturgeschichte des präkolumbischen Nordamerika

von Dr. Renate Schukies

Abb. 1 Hier ein Bild des Cheyenne-Häuptlings Né-hee-ó-ee-wóo-tis (Wolf-auf-dem-Hügel), portraitiert von George Catlin (1796-1872). Laut konventioneller Ethnologie soll sich die Nation der Cheyenne erst knapp 200 Jahre vor der Entstehung dieses Gemäldes gebildet haben. Die Überlieferungen der Cheyenne berichten etwas ganz anderes...

Die Unterdrückung der nordamerikanischen Kulturen kann die unterschiedlichsten Formen annehmen: vom blutigen Massaker bis hin zu einer sehr subtilen Form, die sich durch die Kulturwissenschaft selbst vollzieht. Ich denke hier an die Unterdrückung und Negierung der indianischen Geschichte und Philosophie, die in der Regel durch die Wissenschaft betrieben wird. Dies möchte ich am Beispiel der Cheyenne [1] deutlich machen. Während die Tsistsistas, wie sie sich selber nennen, auf eine Kultur zurückblicken, die Tausende von Jahren alt ist, wird ihnen ein solches Alter von der Wissenschaft nicht zugestanden. Während ihr eigenes Geschichtswissen bis in die Steinzeit zurückreicht, was ich später noch erläutern möchte, beginnt für die Ethnologie indianische Geschichte und Kultur mit ihrer Entdeckung durch die Weißen. Dies ist der generelle Eindruck, der sich beim Studium wissenschaftlicher Literatur über nordamerikanische Kulturen einstellt. Während sich das Abendland über die alten Griechen definiert und seine Wurzeln bis nach Ägypten und Mesopotamien zurückverfolgt, wird eine solche geschichtliche Tiefe den nordamerikanischen Indianern abgesprochen. So muß der Eindruck entstehen, daß indianische Kultur, wie wir sie heute in Überresten kennen, erst einige hundert Jahre alt ist.

Abb. 2 Prof. Karl Schlesier (1927-1015)

1987 schreibt John Moore von der Universität Florida, Motseyoef,der Kulturbringer der Cheyenne, sei eine real existierende und geniale Person gewesen, die ca. 1720 lebte und dem Stamm alles beibrachte, was er zum Leben in den Plains brauchte: "Als die Cheyenne-Nation sich gründete, ca. 1740 in den Black Hills, waren sie 500 Meilen von den nächsten französischen oder englischen Militärposten entfernt und 300 Meilen von der mexikanischen Grenze." Demnach fand die Kulturbildung sogar erst nach der Ankunft des weißen Mannes statt - vor 250 Jahren. Der selbe Autor verweist ein paar Sätze weiter allerdings auf das Gegenteil: "Zusammengenommen ergeben die heiligen mythischen Episoden [der Tsistsistas] einen langen Zyklus, vergleichbar mit dem Gilgamesch-Epos oder der Legende von König Arthur, welche stundenlanges Erzählen erfordern. Aufgrund der Länge dieser Geschichten ist der volle Zyklus noch nicht zusammenhängend aufgezeichnet worden."

Er wurde sicherlich auch noch keinem Weißen oder Ethnologen vollständig erzählt. Es gibt jedoch eine Ausnahme. 1970 spielten spirituelle Führer der Tsistsistas Karl Schlesier (Abb. 2), der auf eine nunmehr zwanzig Jahre dauernde Beziehung zu den Cheyenne zurückblickt, ein Tonband vor, dessen Inhalt sonst keinem Weißen bekannt ist. Schlesier vermutet nun, daß sich die Cheyenne-Kultur, wie wir sie heute kennen, bereits um -1000 entwickelt haben könnte. Die herrschende Lehrmeinung verweist ein solches Alter von 3.500 Jahren wohl eher in das Reich des Phantastischen.

In seinem Buch Wölfe des Himmels schreibt Schlesier: "Ich bin ferner befugt, Ort und Zeit der Herausbildung der Tsistsistas anzugeben. Der Prozeß ereignete sich in Nord-Dakota, etwa 500 v.Chr. In den vielen Jahren meiner engen Beziehungen zu ihren Zeremonialführern habe ich sie meist präzise in Bezug auf Ereignisse der nahen und fernen Vergangenheit erlebt. Im Gegensatz dazu ist vieles in der ethnologischen Literatur über die Cheyenne inkompetent und falsch. Oft, aber es gibt Ausnahmen, werden einmal veröffentlichte Fehler in folgenden Arbeiten weiter zementiert, da Ethnologen dazu neigen, voneinander abzuschreiben, statt neue Fragen direkt an die Gruppe zu richten, mit der sie sich beschäftigen."

500 v. Chr. - dem Anlaß des Vortrags entsprechend: 1992 vor Kolumbus. Aber nicht nur Schlesier verweist auf ein hohes Alter der Tsistsistas-Kultur. Bereits George Dorsey, einer der ersten Cheyenne-Forscher, gibt 1905 das Alter der Cheyenne-Kultur mit 3.000 Jahren an.

"Sind die Cheyenne die alten Griechen Nordamerikas?", könnte man da fragen. Obwohl die nordamerikanischen Kulturen zur Philosophie der menschlichen Gemeinschaft viel beizutragen haben, wird dies von der an den Hochschulen gelehrten Fachdisziplin ignoriert. Schlägt man in einem der philosophischen Wörterbücher nach, kann man dort über die Philosophie des alten Indien nachlesen, beginnend mit dem Vedischen Zeitalter,das zeitlich auf -1500 bis -1000 eingeordnet wird, oder über die altchinesische Philosophie. Dann allerdings ist man bereits bei den Griechen und im Mittelalter angelangt. Es gibt sicherlich unterschiedliche Gründe für diesen Sachverhalt, wobei einer wohl der offensichtlichste ist, bei den vergessenen Philosophien handelt es sich um die der schriftlosen Stammeskulturen: amerikanische Indianer, australische Ureinwohner und Afrikaner. Diesen wird weder Geschichte noch Philosophie zugebilligt.


Fortsetzung:


Anmerkungen und Quellen


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Dieser - auf einem von der Autorin an der Universität Hamburg gehaltenen Vortrag anlässlich des 500. Jahrestags der angeblichen 'Entdeckung' Amerikas durch Christoph Kolumbus basierende - Beitrag von Dr. Renate Schukies (©) wurde erstveröffentlicht in VORZEIT FRÜHZEIT GEGENWART - Interdisziplinäres Bulletin, Heft 1 (Abb. 3) / 6. Jahrgang - März 1994. Bei Atlantisforschung.de erscheint er im Februar 2019 in einer redaktionell bearbeiteten, mehrteiligen Online-Version.

Fußnote:

  1. Red. Anmerkung: Der obige Link führt zur Webseite des Northern Cheyenne Tribe. Wer Informationen zu den südlichen Cheyenne wünscht (die offenbar keine eigene Homepage haben), sei hier auf den Artikel "CHEYENNE, SOUTHERN" der Oklahoma Historical Society verwiesen (abgerufen: 21. Februar 2019).

Bild-Quellen:

1) George Catlin (1796-1872) bei Wikimedia Commons, unter: File:Né-hee-ó-ee-wóo-tis, Wolf on the Hill, Chief of the Tribe Cheyenne.jpg
2) Traumfänger Verlag, unter: Karl Schlesier (Bild-Bearbeitung durch Atlantisforschung.de)
3) Mantis-Verlag / Bild-Archiv Dr. Renate Schukies