Die Nuraghen-Bauer als Seefahrer

von Dr. Dominique Görlitz

Abb. 1 Die - leider kaum zu datierende - Abbildung eines großen Schilfbootes mit Mastkonstruktion im Ipogeo di San Salvatore

Die italienische Forschergruppe La Nava Nuragica beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Ursprüngen der sardischen Seefahrt. Unser ehemaliger Mitsegler von ABORA I, der Meeresbiologe Roberto Babieri, engagiert sich seit vielen Jahren in dieser Gruppe. Im Informationsaustausch mit Roberto entstand dieser kleine Bericht:

Die ABORA I-Expedition (1999) sollte nicht die Seefahrt der frühen Nuraghiker (ca. 1.500–800 v.Chr.) erforschen. Vielmehr beleuchtete sie noch ältere Routen. Weil Sardinien aber aufgrund seiner strategisch besonderen Position im westlichen Mittelmeerraum liegt, war es schon seit frühester Zeit in den transmediterranen Handel eingebunden. Zeugnisse dadür sind überall auf der Insel auffindbar. Es gab jedenfalls schon sehr früh Kontakte der urtümlichen Sarden zu benachbarten Kulturen. Und diese Kontakte waren zwangsläufig maritimer Natur. Es war das Meer, das diese ersten Kulturen verband.

Abb. 2 Eine 'Regatta' sardischer Fassoni. Mit ihren Mini-Schilfbooten repräsentieren sie das uralte Erbe der bronzezeilichen Seefahrer Sardiniens.

Auf italienischer Seite wurde von Fachwissenschaftlern häufig als Kritik am ABORA I-Projekt geäußert, dass es keine prähistorischen Bildvorlagen großer besegelter Schilfboote auf Sardinien gebe. Allerdings existieren solche Abbildungen auf dem nahe gelegenen Menorca und in Südspanien. Zudem können wir diese Art der Seefahrt bis hin zu den Kanarischen Inseln zurückverfolgen, was zeigt, wie weitreichend die Kontakte damals waren. Und: Sardinien war wahrscheinlich ein wichtiger Ausgangspunkt für die Verbreitung jener vorbronzezeitlichen Kultur. In mehreren Wellen hat sie schon vor über 6000 Jahren den äußersten Westen des Mittelmeers und den Ostlantik erobert!

Die frühe Hochseeschifffahrt mittels Schilfbooten wird in Fachkreisen leider noch immer geradezu "apodiktisch" abgelehnt. Dies gilt vielfach auch noch für Sardinien, obwohl dort noch heute das fantastische Erbe der "fassoni" (Abb. 2) existiert, und eine Nutzung solcher Boote noch bis in die jüngere Vergangenheit hinein erfolgte. So zeigt eine alte Zeichnung im Ipogeo di San Salvatore sogar ein Schilfboot mit einer Mastkonstruktion (Abb. 1).

Schon die bronzezeitliche Nuraghen-Kultur trug dieses maritime Erbe der Kupfer-Steinzeit in sich. Aus meiner Sicht wäre es somit ein großer Fehler, so zu tun, als seien die Nuraghen-Leute aus einem kulturellen oder wirtschaftlichen Vakuum hervorgegangen. Ihre Wurzeln liegen sowohl im Osten als auch im Westen des Mittelmeers. Nur so lässt sich ihre ihre kulturelle Vielfalt und Einzigartigkeit verstehen. Dies gilt natürlich auch für ihre Seefahrzeuge, die keineswegs auf Konstruktionen aus Schilf beschränkt waren. So bauen sie zudem bereits komplexe Holzschiffe, die mit ihrem hoch aufragenden Bug und Heck einer uralten Seefahrttradition folgen.


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von Dr. Dominique Görlitz (©) wurde von ihm am 27. April 2020 erstellt.

Bild-Quellen:

1) Bild-Archiv ABORA.eu / Dr. Dominique Görlitz
2) ebd.