Die vergessenen Pyramiden der Azoren (5)

Der Sensationsfund auf der Azoreninsel Pico

von Dr. rer. nat. Dominique Görlitz

Abb. 1 Der im Juli 2006 eröffnete Jardim dos Maroiços in Madalena auf der Insel Pico mit einem besonders prachtvollen Beispiel für die altazorische Pyramiden-Baukunst

Jede archäologische Theorie behält so lange ihre Gültigkeit, bis eine neue Entdeckung ihre Richtigkeit widerlegt. Dies trifft insbesondere für die Entdeckungsgeschichte der Azoren zu, die dem Paradigma (= wissenschaftliche Basisannahme) unterliegt, dass vor der frühen Neuzeit keine regelmäßigen Handelsfahrten über den Atlantischen Ozean westlich der Kanaren betrieben wurden. Dass dieses Paradigma mit großer Wahrscheinlichkeit unhaltbar ist und einer generellen Überprüfung bedarf, wurde mit der Veröffentlichung des Präsidenten der Portugiesischen Gesellschaft für Archäologische Forschung (APIA) zur wissenschaftlichen Gewissheit.

Inspiriert durch eine private Urlaubsreise auf die Azoren nahm der portugiesische Archäologe Nuno Ribeiro mehrere Hinweise zu älteren, bis weit in die Antike reichenden archäologischen Hinterlassenschaften genauer unter die Lupe. Dabei hatten er und seine Kollegen von der APIA pyramidale Strukturen auf der Azoreninsel Pico „wiederentdeckt“ und durch die APIA zwischen 2012-2013 veröffentlicht. Die Hervorhebung wiederentdeckt ist im besonderen Maße von Bedeutung, denn die Lokalregierung eröffnete bereits im Juli 2006 auf Pico ähnlich dem Pyramidenpark in Güimar auf Teneriffa ein Ausstellungsgelände (Abb. 1), ohne dass die Weltöffentlichkeit dieses geschützte Architekturdenkmal und seine Bedeutung zur Kenntnis nahm. Unter den Einheimischen hingegen sind diese altertümlichen Steinbauten seit Menschengedenken bekannt. Sie nennen sie „maroiços“ [1].

Abb. 2 Bei einigen der azorischen Pyramiden waren große 'Plazas' am Fuß der Anlage Teil des architektonischen Gesamtkonzepts. (Foto: APIA)

Die Architektur dieser terrassierten und in Trockenstein-Bauweise errichteten Bauwerke ist bemerkenswert. Zusammen mit der portugiesischen Archäologin Anabela Joaquinito identifizierte Ribeiro bis zu 140 (!) Stufenpyramiden, die sich hinter der Hafenstadt Madalena auf den steilen Hängen des Vulkans Ponta do Pico erstrecken. Im Unterschied zu den kanarischen Pyramiden haben die Archäologen der APIA dort auch Artefakte geborgen, welche diesen archäologischen Komplex weit vor die portugiesische Besiedelung datieren. Die Wissenschaftler glauben, dass diese Bauwerke nach einem vorgegebenen Bauplan errichtet wurden, der sich an der Sommer-Sonnenwende orientiert haben könnte. Ohne in den portugiesischen Veröffentlichungen auf genauere Details einzugehen, glauben Ribeiro und sein Team, dass es einen kulturhistorischen Zusammenhang mit ähnlichen Stufenpyramiden auf den Kanaren und sogar mit denen auf Sizilien geben könnte.

Der Autor kann auf der Grundlage seiner eigenen Forschungen diese Vermutung absolut unterstützen. Bereits in den 90er Jahren hatte er gemeinsam mit Prof. Valerio Manfredi und Dr. Thor Heyerdahl sowohl auf Sardinien als auch auf Sizilien Forschungen an den dortigen Stufenpyramiden betrieben. Bei Vergleich der verschieden Pyramiden fallen sofort wichtige Übereinstimmungen auf, wie die sorgfältige Ausführung der Ecken, die Ähnlichkeit in der Anlage der Treppenaufgänge sowie bei einigen Pyramiden ein gesonderter ummauerter Raum auf der obersten Plattform, den etliche Bauwerke auf den vier genannten Inselstandorten aufweisen [2].

Abb. 3 Nach Angaben der an den Untersuchungen beteiligten Archäologen sind die Pyramiden auf der Insel Pico offenbar nach astronomischen Gesichtspunkten ausgerichtet. In einigen von ihnen sollen sich zudem Kammern befinden, die bisher aber noch nicht erkundet wurden. (Foto: APIA)

Den Kultraum auf der obersten Terrasse hatten italienische Archäologen in Anlehnung an mesopotamische Stufenpyramiden als „Cella“, also kleines Kämmerchen oder „Tempelchen“, interpretiert. Der Ausgräber der Stufenpyramide von Monte D´Accoddi auf Sardinien, Ercole Contu (1952), fällte ein eindeutiges Urteil auf der Grundlage seiner Forschungsergebnisse: Es handelte sich um eine Kultanlage, deren Architektur durch die kulturellen Vorstellungen Mesopotamiens beeinflusst wurde! Zwei weitere Besonderheiten untermauern diesen Befund:

1.) Für mehrere Jahrhunderte wurde Monte D´Accoddi, wie im vermuteten Ursprungsgebiet der Stufenpyramiden, im Zweistromtal, als Einstufen-Plattform genutzt. Erst ab dem 3. Jahrtausend v.Chr. erweiterten die Altvorderen ihre Bauwerke zu Mehrstufen-Pyramiden, was etwas zeitversetzt auch in Monte D´Accoddi ab ca. 2.500 v.Chr. geschah.
2.) Die italienischen Archäologen konnten zudem nachweisen, dass diese Einstufen-Pyramide ockerfarben bemalt war. Genau diese Tradition beschreibt der antike Geschichtsschreiber und Pyramideninteressierte Herodot, der erklärt, dass die Stufenpyramiden in Mesopotamien in Ocker oder rötlichen Farben angestrichen waren. Alles nur Zufall?

Die sorgfältigen C 14-Datierungen von Monte D´Accoddi verweisen auf die Errichtung dieser Stufenpyramide am Ende des 4. Jahrtausends v.Chr., also auf die gleiche Epoche, in der auch die großen Tempelpyramiden der Sumerer entstanden. Viele Wissenschaftler befürworten, dass sich dieses Architekturkonzept durch die rege Handelstätigkeit der Mesopotamier schnell nach Westen als auch Osten ausbreitete. Im Laufe der Zeit wurde das Bauwerk von Monte D´Accoddi mehrfach umgebaut und zu einer Mehrstufen-Zikkurat erweitert - eine Tradition, die sich auch im Zweistromtal, in Ägypten und auch in Mittelamerika nachweisen lässt [3]. Die gesamte Anlage wurde schließlich zu Beginn des 2. Jahrhunderts. v.Chr. aufgegeben.

Leider liegen solche verlässlichen und sorgfältigen archäologischen Daten von keinem anderen Inselstandort vor. Dennoch zeigen die Parallelen und Architekturmerkmale, dass die auf den Mittelmeerinseln sowie im Atlantik auf den Kanaren und den Azoren die nachweisbaren Bauwerke vermutlich auf ein gemeinsames religiös-kultisches Konzept zurückgehen. Ihr Nachweis auf den Azoren liefert nun nicht nur einen Hinweis auf eine mögliche Verwandtschaft dieser Kultbauten, sondern auch dafür, dass diese Architekturform über den Seeweg vom Mittelmeerraum bis auf den mittleren Atlantik spätestens am Beginn des 3. Jahrtausends v.Chr. verbreitet wurde.



Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von Dr. Dominique Görlitz (©) wurde erstveröffentlicht in Magazin Mysteries 5/2014. Bei Atlantisforschung.de erscheint er im August 2017 mit freundlicher Genehmigung des Verfassers in einer redaktionell bearbeiteten Online-Fassung.

Fußnoten:

Bild-Quellen:

1) Bild-Archiv Dr. Dominique Görlitz
2) APIA, nach: paj.cm, "Pico: New archaeological evidence reveals human presence before Portuguese occupation – Azores", 28. August 2013, bei Portuguese American Journal
3) ebd.