Die vergessenen Pyramiden der Azoren (6)

Die Bedeutung der Atlantik-Pyramiden für die Forschung

von Dr. rer. nat. Dominique Görlitz

Abb. 1 Die große Pyramide im Freilichtmuseum "Jardim dos Maroiços" in Madalena auf Pico

Die “in jüngster Zeit” entdeckten Stufenpyramiden auf den Azoren liefern wichtige wissenschaftliche Befunde, die in zweierlei Weise von größter Bedeutung sind:

1. für die Authenzität der Pyramiden auf den Kanarischen Inseln und
2. für die Authenzität der antiken Entdeckerberichte über große bewohnte Inseln im Westen des Atlantischen Ozeans.

Diese Stufenpyramiden belegen, dass diese Inseln lange vor den Phöniziern sowie den neuzeitlichen Europäern angefahren wurden. Das architektonische Baukonzept und etliche archäologische Begleitfunde liefern substantielle Belege für das vorgeschichtliche Alter beider Pyramidenkomplexe. Ihre Hinterlassenschaften bestätigen postum die Schlussfolgerungen des Kanarenexperten Dominik J. Wölfel, der aufgrund linguistischer und ikonographischer Studien eine Besiedlung am Ende des 4. Jahrtausends v.Chr. vorschlug.

Abb. 2 Die Eingänge zu den vermutlich karthagischen Heiligtümern auf der Azoren-Insel Terceira, welche vor wenigen Jahren von portugiesischen Archäologen identifiziert wurden. (Foto: APIA / Portuguese American Journal)

Darüber hinaus bestätigen die Azoren-Pyramiden auch die Echtheit antiker Berichte, die geographische Beschreibungen über große Inseln im Westen jenseits der Kanaren überliefern. Die Funde von phönizischen Handelsreisen (Münzen, Heiligtümer etc.) stellen somit nicht den Beginn, sondern die Fortsetzung einer viel älteren Entdeckergeschichte dar. Vermutlich waren die Phönizier aber die ersten antiken Seefahrer, denen das navigatorische Kunststück gelang, von den Kanaren mit Hilfe des „Volto do Mar“-Manövers eine navigatorische Abkürzung zurück in die mediterranen Heimathäfen zu finden. Alle älteren und vermutlich mit weniger leistungsfähigeren Schiffen ausgestatteten Kulturen hatten nur eine Möglichkeit, in die Heimat zurück zu segeln: Den weiten Weg mit dem Nord-Äquatorialstrom in die Küstengewässer der Karibik und von dort mit Hilfe des Golfstroms zurück in die Alte Welt!

Das macht die Entdeckung der Pyramiden auf den Azoren so wertvoll: Die Phönizier haben zu keinem Zeitpunkt Stufenpyramiden als Sakralarchitektur genutzt. Als dieses Volk im späten 2. Jahrtausends v.Chr. begann, den Atlantik zu erkunden, war die Stufenpyramide als Bauform längst aus der Mode gekommen.

Abb. 3 Die pyramidale Anlage Monte D´Accoddi auf Sardinien repräsentiert eine protohistorische Bautradition, die im Mittlmeer-Raum in der Frühantike verschwand, während sie im Gebiet der ostatlantischen Inseln erhalten blieb.

Aus diesem Grund muss die Stufenpyramiden-Bauweise mindestens ein Jahrtausend vor den Phöniziern auf den Atlantik verbreitet worden sein. Nur aufgrund der geographischen Isolation sowohl der Kanaren als auch der Azoren blieb diese Architekturform für eine gewisse Zeit dort unbeeinflusst erhalten. Inseln gelten bei vielen Wissenschaftlern nicht ohne Grund als Rückzugsgebiete für Sprache, Kultur, Schrift und eben auch Architektur [1].

Während die stark isolierte Inselbevölkerung der Azoren nach dem Niedergang der antiken Kultur wieder ausstarb, konnten die weniger isoliert lebenden Guanchen ihre Kultur und Architektur bis zum Beginn der frühen Neuzeit auf den Kanaren bewahren [2]. Die Guanchen wurden somit zu einer Art „kulturellem Reliktendemiten“. Aufgrund der geschützten Insellage vor Afrika hielten sie auch die frühantiken Bautraditionen am Leben, während die Baukonzepte und die damit verbundenen Kulturtraditionen im Mittelmeerraum einem steten Wandel unterzogen waren und letztlich ausstarben. Ein Zeugnis liefert die Stufenpyramide auf Sardinien (Abb. 3), die am Beginn des 2. Jahrtausends v.Chr. aufgegeben wurde [3].

Abb. 4 Auch 'exotische' megalithische Strukturen wie diese auf der Insel Terceira weisen auf eine sehr frühe Besiedlung der Azoren hin. (Foto: Antonieta Costa / Ancient Wisdom)

Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass die Stufenpyramiden auf den Kanaren nicht zwangsläufig Jahrtausende alt sein müssen. Sie wurden möglicherweise noch bis vor wenigen Jahrhunderten durch die Guanchen errichtet. Ihre Architektur sowie andere kanarische Kulturtraditionen lassen sich jedoch auf eine über 5000-jährige Geschichte zurückführen, deren Wurzeln sowohl im östlichen Mittelmeer als auch in der „Westkultur“ alteuropäischer Völker zu suchen sind.

Die Entdeckung der Azoren-Pyramiden schlägt somit ein neues Kapitel der Atlantik-Archäologie auf. Mit einem Schlag werden weitere wichtige Befunde zusammengetragen und in einen kulturhistorischen Zusammenhang gebracht. Was vor wenigen Jahren in der Archäologie noch als undenkbar galt, wird quasi über Nacht zur wissenschaftlichen Gewissheit – protohistorische Besiedlungsspuren sehr alter Kulturträger mitten im Atlantik! Neben den bereits erwähnten karthagischen Heiligtümern auf Terceira wurden mittlerweile eine bronzezeitliche Höhlenmalerei, rätselhafte „Cart Ruts“ ('Räderspuren', Bild) wie auf Malta sowie megalithische Bauwerke (Abb. 4) zu Tage gefördert [4] [5]. Diese und weitere erstaunliche Funde befürworten die lange zuvor von Diffusionisten geäußerte Hypothese, dass der Kulturaustausch über den Atlantischen Ozean vermutlich viel intensiver und viel älter war, als in der Archäologie noch immer offiziell zugestanden wird. Trotz dieser Erfolge bleibt kritisch anzumerken, dass die APIA mit diesen Befunden erst vor wenigen Jahren an die Weltöffentlichkeit ging, während der Pyramiden-Park von Madelena (Abb. 1) bereits 2006 durch die Lokalregierung als Architekturdenkmal eröffnet wurde.



Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von Dr. Dominique Görlitz (©) wurde erstveröffentlicht in Magazin Mysteries 5/2014. Bei Atlantisforschung.de erscheint er im August 2017 mit freundlicher Genehmigung des Verfassers in einer redaktionell bearbeiteten Online-Fassung.

Fußnoten:

Bild-Quellen:

1) Torbenbrinker (Urheber) bei Wikimedia Commons, unter: File:MadalenaJardim.jpg
2) APIA, nach: paj.cm, "Carthaginian temples found – Azores", 09. Juli 2011, bei Portuguese American Journal
3) Bild-Archiv Dr. Dominique Görlitz
4) o.A., The Azores Islands: (Portuguese Colony), bei ANCIENT WISDOM