Jürgen Spanuths Umdeutung des platonischen Atlantis-Berichts

von unserem Gastautor Dr. Martin Freksa

Abb. 1 Dr. Martin Freksa stellte 1997 die hier vorliegenden Betrachtungen zu Dr. J. Spanuths Atlantis-These an.

Nach dem Zweiten Weltkrieg sind von Tauchern vor der Küste Schleswig-Holsteins Ruinen gefunden worden. Jürgen Spanuth, ein Pfarrer im hohen Norden Deutschlands, hat sich als Leiter jener Unterwasser-Forschungen Verdienste um die Archäologie seiner Heimat erworben. [1] Aber Spanuth wollte sehr viel mehr. In mehreren Schriften hat er sich als der Entschlüssler des Welträtsels Atlantis vorgestellt und hat - vor allem in Norddeutschland viele Anhänger seiner Weltsicht gefunden. Ihr zufolge sind seine Taucher auf die Königsinsel von Atlantis gestoßen, dem Zentrum des - seiner Meinung nach - rein Nordischen Atlantis.

Besonders stolz ist Spanuth auf einen methodischen Gedanken: da Platon seine Atlantis-Theorie aus Ägypten hat, müsse sie auch von dem ägyptischen Hintergrund her aufgeschlüsselt werden. Doch wie führte Spanuth diesen Gedanken durch? Spanuth knüpft an die Inschriften aus dem oberägyptischen Medinet Habu an, die aus der Zeit Ramses III. stammen und von den um 1200 v.Chr. geschlagenen Schlachten der Ägypter mit Seevölkern berichten. Diese Völker, so Spanuths Interpretation, seien zu Fuß und zu Schiff aus dem hohen Norden Europas gekommen. Ihr Angriff sei die Invasion der Atlanter gegen Ägypten gewesen (- und Griechenland?? -), wovon Platon im Atlantisbericht gesprochen habe

Von Spanuths Lokalisierung von Atlantis einmal ganz abgesehen, ist seine These von der nordischen Invasion zwar kaum zu halten, aber sie ist doch nicht völlig aus der Luft gegriffen. Die betreffende Zeit war eine Völkerwanderungszeit, in welcher der Gesamte Mittelmeerraum in Bewegung war. Und man kann nicht völlig ausschließen, daß die eine oder andere Völkerschaft auch aus nördlichen Regionen Europas unterwegs war. Spanuth führt zur Untermauerung seiner These die Funde des sogenannten germanischen Griffzungenschwerter entlang bestimmter Wanderwege in Europa (Abb. 2) an. Diese Funde zeigen nur, daß Europa in den betreffenden Zeiten (Jahrhunderten) ein Durchzugsgebiet war. Spanuths These von einer nordischen Invasion um 1200 v. Chr. hat diese eine Stütze, doch sie ist sehr schwach.

Abb. 2 Die Wege der 'Großen Wanderung' am Ende der Bronzezeit, die J. Spanuth als historischen Hintergrund für den von Platon beschriebenen Krieg der Atlanter gegen die Völker des östlichen Mittelmeer-Raums.

Spanuth muß den angeblich nordeuropäisch-ägyptischen Krieg so monströs wie möglich darstellen, weil er ihn mit dem (von Platon berichteten) Krieg des Atlantischen Reichs mit mediterranen Völkern gleichsetzt. Spanuth behauptet zudem, daß die von Platon beschriebene Insel zwischen Helgoland und Schleswig-Holstein untergegangene Insel sei; damit dies gelingt, muß er jedoch die von Platon beschriebene >heilige Insel< (Atlantis) auf einen Umfang reduzieren, wie ihn die von Kanälen umringte Königsburg der Hauptstadt von Atlantis (nach Platon) hatte. Im übrigen führt Spanuth zwischen der von ihm entdeckten Insel (falls es eine wirkliche Insel war) und der von Platon beschriebenen Insel an, z.B. die Farben des Gesteins. Die Unähnlichkeiten dagegen meidet Spanuth oder übersieht sie, z.B. die in Schleswig Holsteins Landschaft gar nicht so recht passenden Berge von Atlantis (wie bei Platon beschrieben).

Mit den Jahreszahlen bei Platon, nämlich der Gründung von Athen (rund 9000 Jahre vor Solon) und der Gründung [Die Ägypter - Erben eines uralten Wissens|Ägyptens]] (rund 8000 Jahre vor Solon) geht Spanuth folgendermaßen um: Er glaubt in Platons Atlantisbericht gelesen zu haben, daß der Krieg (- Ägyptens?? -) gegen Atlantis 9000 Jahre vor Solon stattgefunden habe, eine kleine und eine sehr große Ungenauigkeit, die man Spanuth wegen des mehrfach erwähnten Übersetzungsproblems (am Anfang des Kritias) beide verzeihen kann.

Dann aber kommt Spanuth mit der ebenfalls schon bekannten Umdeutung von Jahren in "Mondjahre" und erhält, mit zusätzlichem Zerren, die Zeit um 1200 v. Chr., die er für den behaupteten nordeuropäisch-ägyptischen Krieg braucht. Bei seiner Umdeutung ägyptischer Jahreszahlen beruft sich Spanuth übrigens zu Recht auf den großen Umdeuter Diodorus; völlig zu Unrecht aber auf den Ägypter Manetho (den er in seinem Literaturverzeichnis nicht aufführt und ohne Quellenangabe "zitiert"). [2]

Insgesamt versucht Spanuth den Eindruck zu erwecken, Platon habe etwas von einem nordisch-ägyptischen Krieg, dessen Ausgangspunkt eine verlorene norddeutsche Insel gewesen sei, vage gewußt und daraus seinen Atlantisbericht erstellt. Als Verdienst Spanuths bleibt, daß er, auch durch seine Auseinandersetzung mit anderweitigen Positionen, der Atlantisforschung nach dem Zweiten Weltkrieg eine starke Anregung gegeben hat.


Anmerkungen und Quellen

Das verlorene Atlantis.jpg
Dieser Beitrag von Martin Freksa © wurde seinem Buch "Das verlorene Atlantis" entnommen, das 1997 im Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen, veröffentlicht wurde. Bei Atlantisforschung.de erscheint er (2009) mit freundlicher Genehmigung des Autors in einer redaktionell bearbeiteten Online-Fassung.


Bild-Quellen

(1) Bild-Archiv Atlantisforschung.de

(2) L’ATLANTIDE BORÉENNE