Norumbega

Eine verschollene Wikinger-Siedlung in Neuengland?

Abb. 1 Ausschnitt einer Karte aus dem Atlas des Abraham Ortelius von 1570, in dem "Norvmbega" neben einer Reihe anderer mehr oder weniger sagenhaft-legendären Örtlichkeiten sowie mehreren so genannten 'Phantominseln' eingezeichnet ist.

(red) Norumbega (auch: Norumbègue, Nurumbega, Norombega, Anorabegra, Anorumbega, Bega usw.) ist der Name einer sagenhaft-legendären Siedlung im nordöstlichen Nordamerika. Die moderne Suche nach ihren Überresten ist eng verknüpft mit der Diskussion um umstrittene Historizität von Amerikafahrten und Siedlungsversuchen europäischer Nordleute, speziell im Gebiet des heutigen Neuengland.

Das Wort "Norumbega" wurde anfangs offenbar Oranbega geschrieben. So ist es jedenfalls auf Giovanni da Verrazzanos (Abb. 2) Karte Amerikas aus dem Jahr 1529 verzeichnet. Ursprünglich soll es aus den Algonkin-Sprachen stammen, die zu Beginn der modernen europäischen Kolonisierung von den Ureinwohnern Neuenglands gesprochen wurden. Seine Bedeutung wird häufig mit "ruhiger Ort zwischen den Stromschnellen" oder "ruhige Wasserstrecke" angegeben. [1]

Abb. 2 Der italienische Seefahrer und Entdecker Giovanni Verrazano (1485-1528) gehörte zu den ersten, die Norumbega auf einer Karte Amerikas einzeichneten.

Ein weiterer früher Verweis auf Norumbega findet sich in einem Bericht des französischen Seefahrers und Korsaren Jean Allefonsce aus dem Jahr 1542. Darin heißt es, er sei südlich von Neufundland gelandet und habe dort einen großen Fluss entdeckt: "Der Fluss ist an seinem zugang mehr als 40 Leugen breit und behält dann eine Breite von etwa dreißig oder vierzig Leugen. Er ist voll von Inseln, welche sich etwa zehn oder zwölf Leugen in die See hinein erstrecken. [...] Fünfzehn Leugen im Inneren dieses Flusses gibt es eine Norombega genannte Stadt mit gescheiten Bewohnern, die mit Pelzen aller Art Handel treiben; die Leute in der Stadt sind in Pelze gekleidet, und sie tragen Zobel. ... Die Leute verwenden viele Wörter, die wie Latein klingen. Sie beten die Sonne an. Sie sind groß und wohlgeformt. Das Land von Norombega ist hoch- und wohlgelegen." [2]

Die meisten Historiker haben später das Gebiet des Penobscot River als Allefonsces Quelle für seine Lokalisierung von Norumbega akzeptiert [3], aber trotzdem war diese Frage gerade im 19. Jahrhundert Gegenstand heftiger Dispute, wobei diverse Altertumsforscher auch ganz andere Vorstellungen verfochten. So plädierte z.B. der Historiker John Fiske (1842-1901) nachdrücklich für den Hudson River als (Fluss) Norumbega. [4] Zum selben Ergebnis gelangte 1884 auch Arthur James Weise. [5]

Im Zeitalter der Entdeckungen wurde Nurumbega jedenfalls noch häufig auf europäischen Karten Nordamerikas als Stadt eingezeichnet, und zwar im Süden Akadiens, d.h. in etwa im Gebiet des späteren Neuengland. Allgemein hielt man Norumbega damals für eine große und reiche Siedlung der dortigen Ureinwohner, deren Einflussgebiet sich auch auf die umgebende Region erstreckte.

Abb. 3 Samuel de Champlain (1574-1635) suchte 1004 am Penobscot River vergeblich nach der Stadt Norumbega.

In der Vorstellung vieler damaliger Zeitgenossen wurde das sagenhafte Nurumbega sogar zu einer Art 'El Dorado' des amerikanischen Nordens. So machte etwa die Geschichte von David Ingram die Runde, einem schiffbrüchigen englischen Seemann, der 1586 vom Golf von Mexiko bis hinauf nach Neuengland gewandert sein soll. Über seine dortigen Erlebnisse hieß es: "Er sah Könige, die mit sechs Zoll langen Rubinen geschmückt waren; und sie wurden auf Stühlen aus Silber und Kristall getragen, verziert mit Edelsteinen. Er sah Perlen [die dort] so gewöhnlich wie Kieselsteine [waren], und die Einheimischen trugen schwer an ihren Schmuckstücken aus Gold und Silber. Die Stadt Bega war eine Dreiviertelmeile lang, und es gab dort viele Straßen, die breiter als jene in London waren. Einige Häuser hatten massive Säulen aus Kristall und Silber." [6]

Vermutlich von derartigen Gerüchten getrieben, begab sich der französische Forschungsreisende und Kolonisator Samuel de Champlain (Abb. 3) im Jahr 1604 auf die Suche nach Norumbega. Schon er glaubte, den von Jean Allefonsce beschriebenen Fluss in Form des Penobscot River wiederentdeckt zu haben, welchen er den "großen Fluss von Norumbega" nannte. Er segelte den Penobscot hinauf bis zu den Stromschnellen beim heutigen Bangor in Maine, doch er stieß unterwegs lediglich auf Dörfer. Auf seiner und anderen später gezeichnezen Karten finden sich dann auch keine Einträge von Norumbega als Stadt, Region oder Fluss mehr. [7]

Abb. 4 Eben Norton Horsford

Die Stadt Bangor aber griff die Legende von Norumbega im 19. Jahrhundert dankbar auf und benannte ihre im griechisch-klassizistischen Stil errichtete Stadthalle "Norumbega Hall". Das Gebäude im Stadtzentrum fiel schließlich dem Großen Brand von 1911 zum Opfer. An seiner Stelle befindet sich heute ein Park namens "Norumbega Mall", und ein benachbartes Gebäude, das die Kunstgalerie der University of Maine beherbergt, trägt den Namen "Norumbega Hall". Im 19.Jahrhundert gab es in Bangor auch eine "Norumbega Bank". 1886 errichtete Joseph Barker Stearns, der Erfinder des Duplex-Systems für Telegraphie, ein Herrenhaus mit Blick auf die Penobscot Bay, das er "Norumbega Castle" taufte. Es steht noch heute an der US Route 1 in Camden, Maine. [8]

Eine Verbindung von Norumbega mit den frühen Amerkafahrten der Wikinger bzw. Grænlendingar und den Siedlungsversuchen Leif Eriksons und anderer in der Neuen Welt scheint ebenfalls erst im 19. Jahrhundert hergestellt worden zu sein. Zu den wichtigen Vertretern der Annahme, Norumbega sei von europäischen Nordleuten des frühen 2. Jahrtausends n.Chr. gegründet worden, gehörten der französische Historiker Paul Gaffarel (1843-1920) [9] und der US-amerikanische Naturwissenschaftler Eben Norton Horsford (Abb. 4). [10]

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Abb. 5 Alte Postkarte (ca. 1905) mit einer Abbildung des 'Norumbega Tower'

Horsford verband den Namen und die Legende von Norumbega mit Örtlichkeiten im Gebiet von Cambridge in Massachusetts, und er errichtete am Zusammenfluss von Stony Brook und Charles River in Weston, Massachusetts, wo sich seiner Meinung nach die befestigte Stadt Norumbega befunden hatte, den so genannten Norumbega Tower (Abb. 5). Zum Dank für Horsfords großzügige Spenden an das Wellesley College wurde dort 1886 ein Gebäude unter dem Namen "Norumbega Hall" eingeweiht. [11]


Externa

Abb. 6 Teig Tyrson: The Vikings of Maine, 2013


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag beruht auf dem Lemma Nurumbega bei Wikipedia - The Free Encyclopedia (Stand: 09. juni 2015). Übersetzung ins Deutsche und umfassende redaktionelle Bearbeitung durch Atlantisforschung.de.

Fußnoten:

  1. Siehe: Emerson W. Baker, "American Beginnings: Exploration, Culture, and Cartography in the Land of Norumbega", University of Nebraska Press, 1994, S. 87
  2. Siehe: B.F. DeCosta, "Ancient Norumbega, or the voyages of Simon Ferdinando and John Walker to the Penobscot River, 1579-1580", Joel Munsell's Sons, Albany, NY, 1890, S. 99
  3. Siehe: John Fiske, "The Dutch and Quaker Colonies in America", New York 1899, S. 70
  4. Siehe: John Fiske, op. cit.
  5. Siehe: Arthur James Weise, "The Discoveries of America to the year 1525", London (Richard Bentley & Son), 1884
  6. Quelle: Andy Woodruff, "Norumbega, New England’s lost city of riches and Vikings", 24. Mai 2010, bei: Andy Woodruff - Cartographer | Blog (abgerufen: 9. Juni 2015; Übersetzung ins Deutsche durch Atlantisforschung.de)
  7. Siehe: Susan Danforth, "The Land of Norumbega: Maine in the Age of Exploration and Settlement", Portland, Me.: Portland Museum of Art, 1988, S. 54
  8. Siehe: Sarah Schweitzer, "Camden inn maintains grand old aspirations", in: Boston Globe, 28. Jan. 2007 (abgerufen: 09. Juni 2015)
  9. Siehe: Paul Gaffarel, "Le Vinland et la Norombega", Dijon (Imp. Darantiere) ca. 1890
  10. Siehe: Eben Norton Horsford, "The Discovery of the Ancient City of Norumbega", Houghton, Mifflin, 1890; sowie: Ders., "The Landfall of Leif Erikson, A.D. 1000: And the Site of His Houses in Vineland", Damrell and Upham, 1892
  11. Siehe: John Greenleaf, "The writings of John Greenleaf Whittier", Houghton, Mifflin and company, 1894

Bild-Quellen:

1) Gabagool bei Wikimedia Commons, unter: File:NorthEastAmericaOrtelius1570.jpg
2) Per Honor et Gloria bei Wikimedia Commons, unter: File:GiovanniVerrazano.jpg
3) Connormah bei Wikimedia Commons, unter: File:Samuel-de-champlain-s.jpg
4) Materialscientist bei Wikimedia Commons, unter: File:Eben Norton Horsford.jpg
5) Macrakis bei Wikipedia - The Free Encyclopedia, unter: File:Norumbega-postcard.jpg
6) Bild-Archiv Atlantisforschung.de