Tartessos & Atlantis in Südspanien
(bb) In Gerhard Gadow´s 1973 erschienenem Buch "Der Atlantis-Streit", das schwerpunktmäßig eine Schrift zur Verteidigung Jürgen Spanuths und seines Werkes darstellt, finden sich u.a. auch einige interessante Informationen zur Arbeit des Archäologen und 'Ibero-Atlantologen' Adolf Schulten (Abb. 1), der den größten Teil seiner beruflichen Laufbahn in Spanien verbrachte, wo er u.a. das Römerlager bei Numantia ausgrub. Im Zentrum von Schultens stand jedoch die Suche nach der legendären südspanischen Handelsstadt Tartessos, die er mit Platons 'Atlantis' identifizierte.
Dazu heißt es bei Gadow: "Tartessos wurde - nach Schulten - »um 1150 v. Chr.« [1] von den Etruskern gegründet und über 600 Jahre später von den Karthagern aus Handelsneid zerstört. [Zu Karthago siehe auch: Atlantis in Karthago - Die Lokalisierung des Victor Bérard; d. Red.] Das sind nun freilich Daten, die von den im Atlantisbericht genannten (8500 bzw. 9500 v. Chr.) ganz erheblich abweichen. Schulten hat jedoch gezeigt, daß die Zahlenangaben Platons mit seiner Behauptung, auf Atlantis habe es Metalle, darunter Eisen, Streitwagen und hochseetüchtige Schiffe gegeben, unvereinbar sind. Eisengewinnung und Streitwagen sind tatsächlich erst seit dem zweiten Jahrtausend v. Chr. bekannt.
Die Lokalisation von Atlantis in Südspanien rechtfertigte Schulten u.a. mit dem Hinweis, Atlantis habe nach Platon vor der Meerenge von Gibraltar gelegen und der Zwillingsbruder des Atlas, Gadeiros habe bei Gades (heute: Cadiz) in Südspanien geherrscht: »Man darf also wohl sagen: Platon hat die Hauptstadt der Atlantis und ihr Gebiet nach Tartessos geschildert und damit zugleich ein dichterisch verklärtes Bild des reichen und glücklichen Tartessos an der Mündung des Guadalquivir gegeben.«" [2]
Im Gegensatz zu den allermeisten anderen zeitgenössischen Atlantisforschern, fand Schulten als 'respektabler' Profi-Wissenschaftler auch in Fachkreisen - bei anderen Archäologen und Altphilologen - mit seiner Hypothese einigen Anklang: "Schultens 1922 erstmalig aufgestellte Tartessos-These hat in Kreisen der Wissenschaft große Zustimmung gefunden und galt lange Zeit als einzige vernünftige Atlantis-Theorie. Professor Jessen (»Eigentlich ist Schultens Gleichung Atlantis = Tartessos das Ei des Kolumbus!« [3]) fertigte Karten über die vermutliche Lage von Tartessos im Mündungsgebiet des Guadalquivir an (Abb. 3). Gemeinsam mit Schulten unternahm er Versuche, auf einer allmählich verlandeten Insel die Ruinen von Tartessos wiederzufinden.
Professor Richard Hennig, eine anerkannte Koryphäe auf dem Gebiet der antiken Geographie, meinte über Schultens These: »Die [von Schulten aufgezeigten] Übereinstimmungen [zwischen Atlantis und Tartessos] sind aber noch sehr viel zahlreicher, derart zahlreich, daß man geradezu behaupten kann: wenn in Platons Bericht der Name Atlantis durch Tartessos ersetzt wird, so braucht kaum ein Wort daran geändert zu werden.« [4] Hennig erschloß der Atlantisforschung auch eine zweite große Quelle neben Platons Atlantisbericht: das Epos von den Fahrten des Odysseus, das Homer zugeschrieben wird. Homer läßt Odysseus auf seiner Irrfahrt zu einer Insel gelangen, die viele Parallelen zur Königsinsel der Atlanter aufweist, so viele, daß sie mit dieser identisch sein dürfte, auch wenn Homer den Namen Atlantis nicht nennt.
Homer und Platon berichten über eine reiche Königsinsel außerhalb des Mittelmeerraumes mit ausgedehnten Burg- und Hafenanlagen. Als oberster Gott und Stammvater der Inselbewohner gilt in beiden Fällen der Meeresgott Poseidon, dem auf der Insel Stieropfer dargebracht werden. Der Tempel des Poseidon ist bei Homer genau wie bei Platon mit goldenen Statuen geschmückt, beide Autoren heben hervor, daß in der Nähe dieses Heiligtums zwei Quellen entspringen. Die Könige dieser Insel gebieten über eine Anzahl Unterkönige (bei Platon neun, bei Homer zwölf) und eine mächtige Flotte.
R. Hennig hat mit der Aufzählung weiterer Parallelen (z.B. in der Schilderung des milden Klimas auf dieser Insel durch Platon und Homer) eine lange Liste gefüllt. Andere Atlantisforscher sind ihm darin gefolgt und haben teilweise noch detailliertere Tabellen mit Übereinstimmungen im großen und kleinen zwischen den Berichten Platons und Homers zusammengestellt. Allgemein wird heute nicht mehr geleugnet, daß beide Erzählungen dieselbe bronzezeitliche Inselkultur beschreiben."
Warum Schultens iberische Atlantis-Lokalisierung trotz zahlteicher Übereinstimmungen der Gegebenheiten in Südspanien mit den Schilderungen im Atlantisbericht sich nicht dauerhaft etablieren konnte, beschreibt Gerhard Gadow aus seinem Blickwinkel folgendermaßen: "Adolf Schulten hat sich bemüht zu zeigen, daß Atlantis mit dieser reichen Inselstadt identisch gewesen sein kann. Tatsächlich verfügt Spanien über große Erzvorkommen an Blei, Kupfer, Gold und vor allem Silber, die bereits im Altertum ausgebeutet und vom Süden des Landes aus in viele Gegenden verhandelt wurden. Auch hat Schulten bewiesen, daß die Trockengebiete, die heute für viele Teile Spaniens typisch sind, im Altertum noch nicht die Iberische Halbinsel kennzeichneten. In der Antike gab es dort fruchtbarere Böden und sehr viel größere Wälder, die neben Wildschweinen und Hirschen vielleicht sogar noch Wisente beherbergten. Schultens Tartessos-Gründer haben demnach noch im 12. Jahrhundert v. Chr. ein mit Naturschätzen aller Art gesegnetes Land vorgefunden.
Trotzdem ist die Tartessos-Theorie mit der Zeit immer weniger nachdrücklich vertreten worden. Dies aus einer Anzahl von Gründen. Einmal haben die Tartessier sicherlich nicht die Kriege gegen Griechenland und Ägypten geführt, von denen Platon soviel schreibt. Sie wären dazu auch gar nicht in der Lage gewesen. Die Bewohner des westlichen Nordafrika, die Platon als Verbündete der Atlanter kennt, waren Feinde der Tartessier. Schultens Versuch, alle Teile des Atlantisberichtes, die seiner Theorie im Wege stehen als »in den Wolken schwebend« oder »reine Phantasie« bzw. »poetische Ausschmückung« [5] Platons abzutun, überzeugt nicht recht.
Außerdem kann man Schulten entgegenhalten, daß sich Platon bei seinem Bericht auf seinen Vorfahren Solon (gest. 559 v. Chr.) beruft, der die Kunde vom Untergang von Atlantis aus Ägypten mitgebracht haben soll. Tartessos dagegen soll nicht in einer Phase kriegerischer Expansion durch Naturkatastrophen zerstört worden, sondern Jahrzehnte nach dem Tod Solons durch die Karthager erobert worden sein. Schulten hat diesen Widerspruch nicht entschärft, sondern unbekümmert zugunsten seiner These in einer Liste der angeblich wichtigsten Übereinstimmungen [6] zwischen Atlantis und Tartessos angeführt: »Die Insel Atlantis ist nach langer Blüte plötzlich durch Erdbeben im Meer versunken. Das könnte ein mythischer Ausdruck sein für die Tatsache, daß Tartessos durch die karthagische Zerstörung plötzlich vom Boden verschwand und daß durch die Sperre der Meerenge seine Stätte unbekannt wurde, so daß man es mit Gades und Carteia verwechselte.«" [7]
Des weiteren führt Gadow gegen Schultens These ins Feld: "Was die Ähnlichkeiten zwischen Platons Atlantiserzählung und Teilen von Homers Epos der Irrfahrten des Odysseus anbelangt, so sprechen diese eher gegen als für Schultens Theorie. Die Odyssee schildert nämlich Gegenden und Orte, die in der Blüte der griechischen Bronzezeit von Bedeutung waren. Diese Blüte endete abrupt vor 1200 v. Chr. Tartessos aber soll erst 1150 v. Chr. überhaupt gegründet worden sein. Im übrigen gibt es zwar offenkundige Parallelen zwischen Atlantisbericht und den Schilderungen der Odyssee aber - wie Schulten selbst zugegeben hat [8] - kaum Ähnlichkeit zwischen Odyssee und den Verhältnissen in Südspanien.
Schultens jahrzehntelange Suche nach Tartessos blieb erfolglos. Er selbst schildert des Ergebnis seiner Bemühungen folgendermaßen: »Meine Grabungen führten zur Entdeckung eines römischen Fischerdorfes aus der Zeit um 300 n. Chr. auf einer altalluvialen Insel zwischen den beiden Armen des Guadalquivir, also da, wo nach den antiken Berichten Tartessos lag. Man darf aber auch aus anderen Gründen diese Siedlung mit Tartessos in Verbindung bringen, denn in ihr ist gefunden worden ein kupferner Ring mit archaischer westgriechischer Inschrift etwa des 6. Jahrh. v. Chr., also aus der Zeit der griechischen Fahrten nach Tartessos, und die Steine der griechischen Siedlung scheinen aus den Trümmern von Tartessos zu stammen.« [9]
Andere Forscher sind Schulten in dieser Deutung nur zögernd gefolgt. Besonders R. Hennig, der ursprünglich so vehement für die Gleichung Atlantis = Tartessos eintrat, hat in seiner letzten Veröffentlichung zu dem Thema die verwirrende Vielfalt der Tartessostheorien zusammengestellt. [10] Diese Theorien reichen von allen möglichen Lokalisationsversuchen bis hin zu der Ansicht, Tartessos sei nicht die Bezeichnung für eine bestimmte Stadt, sondern ein Name für einen ganzen Landstrich in Südspanien gewesen.
Schulten selbst hat - schon etwas resignierend - erklärt, es sei nicht wichtig, »wo« sondern »daß« Tartessos gefunden werde. [11] Gefunden hat man Tartessos jedoch bis heute nicht. So bleibt am wahrscheinlichsten, was schon im Altertum behauptet wurde, daß nämlich Tartessos und Gades identisch waren. von Gades wird berichtet, es sei um 1100 v. Chr. gegründet und später von den Karthagern erobert worden, von Tartessos hat Schulten dies nur behauptet. Ist aber die Identifizierung (Schulten: »Verwechslung«), die die meisten antiken Autoren zwischen Gades und Tartessos vorgenommen haben, korrekt, dann entfällt die Voraussetzung für Schultens These. Atlantis und das Gebiet um Gades werden ja im Atlantisbericht als zwei getrennte Gebiete aufgeführt, und das eine kann nicht dort gelegen haben, wo das andere war, wie es ein Kritiker Schultens einmal formuliert hat."
Anmerkungen und Quellen
Alle Zitate von Gerhard Gadow wurde seinem Buch "Der Atlantis-Streit" entnommen (S. 23-29), das im Juli 1973 im Fischer Taschenbuch Verlag veröffentlicht wurde.
- ↑ Quelle: Adolf Schulten, "Tartessos", Hamburg, 1950, S. 18 (nach G. Gadow, 1973)
- ↑ Quelle: Adolf Schulten, "Atlantis", Berlin, 1930, S. 342 (nach G. Gadow,, op. cit.)
- ↑ Quelle: Otto Jessen, "Atlantis", in: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin, Nr. 5/6, Berlin 1925, S. 185 (nach G. Gadow, op. cit.)
- ↑ Quelle: Richard Hennig, "Von rätselhaften Ländern", München, 1925, S. 27 (nach G. Gadow, op. cit.)
- ↑ Quelle: A. Schulten, 1930, S. 343 (nach G. Gadow, op. cit.)
- ↑ Quelle: ebd., S. 334 (nach G. Gadow, op. cit.)
- ↑ Quelle: ebd., S. 341 (nach G. Gadow, op. cit.)
- ↑ Quelle: ebd., S. 344 (nach G. Gadow, op. cit.)
- ↑ Quelle: ebd., S. 332 (nach G. Gadow, op. cit.)
- ↑ Red. Anmerkung: Hennig 'konvertierte' später offenbar zur Helgoland-Lokalisierung des friesischen Pastors Jürgen Spanuth, der dazu mit Genugtuung bemerkte: "Nachdem Hennig meine Arbeiten kennen gelernt hatte, schrieb er, daß er seine Meinung völlig geändert habe und meinen Ansichten >voll und ganz< zustimme. So ist denn auch Hennig zu der Überzeugung gekommen, daß die Basileia des Atlantisberichts identisch ist mit der Basileia der Phäakie und der Basileia des Pytheasberichtes, die in der Mündung der Eider diesseits von Helgoland lag." (Quelle: Jürgen Spanuth, "Die Atlanter - Volk aus dem Bernsteinland", Tübingen, 1976, S. 364)
- ↑ Quelle: Schulten, zitiert nach Hennig, "Terrae incognitae" (Bd. 1), Leiden, 1944, S. 54 (nach G. Gadow, op. cit.)
Bild-Quellen=
(1) Universität Valencia, unter http://www.uv.es/~alabau/Image39.jpg
(2) Bildarchiv Atlantisforschung.de
(3) G. Gadow, "Der Atlantis-Steit, Fischer-Taschenbuch-Verlag, 1973