Michel de Montaigne
Historisches Forscher- und Autorenportrait
Einer der ersten, der in der neuen Ära [1] dem Atlantis-Thema wiederbegegnete, war der während des 16. Jahrhunderts um und in Bordeaux lebende Michel de Montaigne (Abb. 1), ein Mann, der wegen seines wunderbaren Eigen-Sinns nie einer Philosophenrichtung zugeordnet werden konnte. Montaigne war der erste in seiner Zeit, der Platons Atlantisbericht korrekturlos, d.h. ohne Umdeutung, audnahm und wiedergab. Montaigne verstand den Platonischen Text in der Weise, daß Atlantis bis zur Zeit der Großen Flut als eine bis in die Nähe von Gibraltar reichende Insel im Atlantik existierter und eine Weltmacht war:
- »...daß ehedem und zwar noch vor der Sintflut eine große Insel namens Atlantis vorhanden gewesen, gerade gegenüber der Mündung von der Meerenge von Gibraltar, ... und daß die Könige dieses Landes ... es unternommen, alle Nationen zu unterjochen, von den Ufern des mittelländischen Meeres an bis zum Schwarzen Meer...« [2]
Montaigne, der mit größtem Interesse die Zeitgenössischen Entdeckungen in Amerika verfolgte, hielt nichts von einer Gleichsetzung von Atlantis mit Amerika, die manche seiner Zeigenossen vertraten [3] Die Versuchung zu einer solchen Gleichsetzung ist verständlich: Atlantis - dies war ja auch das Problem der Aristoteliker gewesen - ist zunächst einmal nicht faßbar; für Europäer des 16. Jahrhunderts, die es auf Anhieb faßbar haben wollten, bot sich das im Bewußtsein neu entstandene und geade faßbar gewordene Amerika an. Der unbestechliche Monteigne allerdins vertraute der Platonischen Überlieferung, in welcher der amerikanische Kontinent einen ganz anderen Stellenwert hat.
Der französische Philosoph konnte Platons Text zu Atlantis aber nicht nur nachvollziehen, sondern gab mit sicherem Instinkt auch noch kleine, wertvolle Ergänzungen. Montaigne war in der antiken Literatur zu Hause und verfügte von daher über ein großes Gespür, welche Veränderungen mit der Großen Flut eingetreten sein konnten.
- »Es ist sehr wahrscheinlich, daß siese außerordentliche Verheerung des Wassers ganz sonderbare Veränderung unter den Wohnorten auf dieser Erde angerichtet habe: wie man denn der Meinung ist (Montaigne bezieht sich auf Vergils Aeneis, III), daß das Meer Sizilien von Italien, Cypern von Syrien und die Insel Negropont (Montaigne benutzt offenbar einen ursprünglichen Namen Euböas) vom festen Land abgerissen haben soll.« [4]
Montaigne hat seine feinen Bemerkungen zu Atlantis einer sehr kritischen Betrachtung damals gängiger europäischer Ansichten über die indianischen Bewohner Amerikas - die »Menschenfresser« - gemacht; er hat das einfältige Gerede über die Indianer, und ebenso über Atlantis, zurechtgerückt. Darüber hinaus hat er sich mit dem Atlantis-Thema, soweit dies aus den Essays ersichtlich ist, nicht befasst.
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Anmerkungen und Quellen
Dieser Beitrag von Martin Freksa (©) wurde seinem Buch Das verlorene Atlantis (Abb. 2) entnommen (S. 109-110), das 1999 in 2. Ausgabe bei Zweitausendeins in Frakfurt, Main publiziert wurde. Die Wiederveröffentlichung des Textes bei Atlantisforschung.de erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.
Fußnoten:
Bild-Quellen:
- 1) FlightTime (Uploader) / Ww2censor (Bearbeiter) bei Wikimedia Commons, unter: File:Portrait of Michel de Montaigne, circa unknown.jpg
- 2) Zweitausendeins / Bild-Archiv Atlantisforschung.de