Das Eiland Spartel - die Collina-Girard These

Abb. 1 Der französische Anthropologe Dr. Jaques Collina-Girard sucht bei Gibraltar nach Atlantis

(bb) Für gewöhnlich handelt es sich bei schulwissenschaftlichen Atlantisforschern um konformistische 'Jungzeitler', die den historischen Ursprung der Atlantida in der Zeit der kretisch-minoischen Epoche oder der Ersten Völkerwanderung vermuten. Eine Ausahme von dieser Regel bildet der französische Anthropologe Dr. Jacques Collina-Girard (Abb. 1) von der Université de la Méditerranée in Aix-en-Provence. Collina-Girard, der zunächst lediglich das menschliche Wanderungsverhalten der Urzeit erforschen wollte, hatte sich die Frage gestellt, ob es Menschen zum der jüngsten Eiszeit, vor mehr als 20000 Jahren, möglich gewesen sei, von Europa nach Afrika zu migrieren.

Zu dieser Zeit entstand nämlich an der marokkanischen Küste eine prähistorische Kultur, die sich rasch entwickelte. Der Forscher nimmt an, dass ein Kulturaustausch durch Migrationsbewegungen dazu beitrug. "Die Küsten von Spanien und Marokko waren zu dieser Zeit bewohnt, sicher waren es die Inseln auch. Traditionell kam [die Kultur] aus dem Osten, aber warum nicht aus dem Norden?", erklärte er in einem Interview mit der Zeitschrift New Scientist.

Abb. 2 Collina-Girards Karte der Straße von Gibraltar macht deutlich, wie sehr sich die prädiluvialen Küstenlinien von den heutigen unterscheiden.

Dazu rekonstruierte der Anthropologe die eiszeitliche Küstenlinie rund um Gibraltar mit einem - mit dem heutigen Pegel verglichen - um 130 Meter abgesenkten Meeresspiegel. Auf dieser Karte zeichneten sich nun auch innerhalb der Straße von Gibraltar mehrere Inseln ab, die nach Collina-Girards Rekonstruktion zum damaligen Zeitpunkt noch oberhalb der Meeresoberfläche gelegen haben müssen. Das größte, westlich von Gibraltar gelegene, Eiland taufte er auf den Namen "Spartel". Es soll vor etwa 11000 Jahren, mit dem Abschmelzen der glazialen Gletscher, im Atlantik verschwunden sein.

Diese zeitliche Parallele mit den Angaben Platons genügte Collina-Girard letztendlich, um die verwegene These zu veröffentlichen, es könne sich bei Spartel um das legendäre Atlantis aus Platons Texten handeln, der als Position der Insel eine Gegend jenseits von Gibraltar angegeben habe. "Diese Texte sind der Ursprung vieler Spekulationen über Atlantis.", sagte er im Interview. "Es ist erstaunlich, dass niemand den sich am deutlichsten anbietenden Ort ernst genommen hat." Für atlantologisch versierte Forscher ergeben sich aus der Annahme des Anthropologen allerdings so krasse Widersprüche mit den Aussagen Platons, dass dies alles andere als erstaunlich erscheinen muss.

So weist die von Collina-Girard ausgemachte Hauptinsel des Archipels gerade 14 Kilometer Länge und 5 Kilometer Breite auf, während Platon von einer Insel spricht, die so groß wie Asien und Libyen zusammen gewesen sei. Der Anthropologe vermutet, dass die - aus seiner Sicht - falsche Größenangabe Platons durch Fehler bei der Umwandlung von ägyptischen auf griechische Längenmasse entstanden sein könnte. Vulkanische Aktivitäten - die in der Atlantida übrigens gar nicht als Ursache des Untergangs von Atlantis genannt werden - hält er für eine Ausschmückung Platons, da ein langsames Verschwinden der Insel schwerer erklärbar sei. Auch die Darstellungen einer entwickelten Zivilisation auf Atlantis bei Platon betrachtet Collina-Girard als Erfindungen des Philosophen, der auch seine politischen Utopien in die Atlantislegende einfließen ließ.

Seine Thesen hat Collina-Girard übrigens in der Zeitschrift "Comptes rendus de l'Académie des sciences - Série IIa - Sciences de la Terre et des planètes" (Volume 333 - Numéro 4 - pp: 233-240) publiziert. Er glaubt, dass Seeleute vor 19.000 Jahren mit einfachen Booten dieses Archipel genutzt haben, um sich Stück für Stück zwischen Europa und Afrika hin und her zu bewegen. Doch selbst, wenn sich diese Annahme belegen lassen sollte, steht die These des französischen Wissenschaftlers, Spartel sei mit Atlantis identisch, bisher auf mehr als schwachem Fundament.


Literatur

Collina Buch.jpg

Jacques Collina-Girard L'Atlantide retrouvée?

Siehe auch:


  • Jacques Collina-Girard, (2001).-L'Atlantide devant le Detroit de Gibraltar ? mythe et géologie. Comptes Rendus de l'Académie des Sciences de Paris, Sciences de la Terre et des Planètes. 333 (2001) 233-240
  • Derselbe, 2003. La géologie du Détroit de Gibraltar et le mythe de l’Atlantide. Bulletin de la Société Vaudoise de Sciences Naturelles, 88.3: 323-341
  • Derselbe, (2004) Atlantide réelle et imaginaire dans le Detroit de Gibraltar. Chapitre III : l'Atlantide face à la Science, pages 110-121 in Atlantides imaginaires, réécriture d'un mythe, Centre International de Cerisy la Salle, Editions Michel Houdiart, Paris.
  • Derselbe, (2004) Du vestige géologique au vestige litteraire, Gibraltar et l'Atlantide , LUKHNOS, Connaissance hellénique, n°100, Juillet 2004, Université de Provence, Aix-en-Provence, pp 9-21
  • Derselbe, La transgression finiglaciaire, l’archéologie et les textes (exemples de la grotte Cosquer et du mythe de l’Atlantide), in : Human records of recent geological evolution in the Mediterranean Basin-historical and archaeological evidence. CIESM Workshop Monographs, n° 24, 152 pages, Monaco, www.ciesm.org/publications/Santorini04.pdf, page 63-70
  • Derselbe, (2004). Atlantide réelle et imaginaire dans le Detroit de Gibraltar. Chapitre III : l'Atlantide face à la Science, pages 110-121 in Atlantides imaginaires, réécriture d'un mythe, Centre International de Cerisy la Salle, Editions Michel Houdiart, Paris.


Quellen

Verwendetes Material:

Bild-Quellen:

1) http://www.geolsoc.org.uk/template.cfm?name=Atlantis (nicht mehr online)
2) http://www.maroc-hebdo.press.ma/MHinternet/Archives_522/html_522/marocains.html (nicht mehr online)