Eine sensationelle Entzifferung

Vorbemerkungen zu Kurt Schildmanns Entzifferung der »Indus-Kultur«-Schrift als Sanskrit

von unserem Gastautor Dr. Horst Friedrich (1994)

Abb. 1 Eine Karte des Verbreitungsgebiets der uralten Industal-Kultur nach konservativ-schulwissenschaftlichen Vorstellungen.

Der Beitrag von Kurt Schildmann - seine sensationelle Entzifferung der Indus-Schrift als Sanskrit [siehe: K. Schildmann, "Die Indus-Schrift ist entziffert!", in EFODON-SYNESIS Nr. 5/1994] - macht ein paar Vorbemerkungen erforderlich.

Nicht jeder Leser ist auf den Gebieten alter Kulturen und der Linguistik bewandert. Und kaum jemand ist mit dem selbstevidenten Faktum vertraut, dass die "Weltbilder", Lehrmeinungen und Paradigmata (Dogmen) unserer Schulwissenschaft nun einmal, beim besten Willen, prinzipiell nichts anderes sein können, als vom Wandel des Zeitgeistes, der "Archetypen", abhängige ewig-provisorische Konstrukte. Mitunter handelt es sich sogar um ausgesprochen "windige" Konstrukte.

Der Verfasser dieser Vorbemerkungen meint, dass auch jenes Lehrmeinungs-Gedankengebäude, in das man die Ursprünge der Zivilisation und Religion Indiens glaubte widerspruchsfrei eingebettet zu haben, ein solches Konstrukt ist, liederlich errichtet, ohne festes Fundament, mit höchst wackeligen chronologischen Querverstrebungen, wiederholt unsachgemäß und ohne Blick fürs Ganze baulich verändert und im Laufe der Zeit baufällig geworden. Was Wunder, dass dann der Tag kommen muss, an dem ein plötzlicher kräftiger Windstoß das ganze Haus zum Einsturz bringt!

Dieser plötzliche, zum irreparablen Einsturz führende Windstoß ist, daran kann es nicht den geringsten Zweifel geben, für das schulwissenschaftlicherseits gelehrte "Induskultur"-Szenario Kurt Schildmanns Entdeckung, dass mit der Indus-Schrift Sanskrit geschrieben wurde. Der Schulwissenschaft bleibt jetzt nur das mea culpa und (hoffentlich!) der Vorsatz, hinfort nicht mehr also zu sündigen, d.h. nicht mehr gar so voreilig und liederlich scholastische Szenarien zusammenzuschustern. Denn man mag die Sache drehen und wenden, wie man will: Schildmanns Entdeckung scheint zunächst zwar zwei diametrale Erklärungsmöglichkeiten zu eröffnen, aber für die Schulwissenschaft sind beide Alternativen gleichermaßen scheußlich, weil bloßstellend. Jede von ihnen bedeutet nämlich das Ende des bisher betriebenen Etiketten- und Szenarien-Schwindels. Es soll nachstehend skizziert sein, wie diese beiden diametralen Deutungsmöglichkeiten (Alternativen A und B) für die Schildmannsche Entdeckung auszusehen hätten.

A. Prähistorische, un-"arische" Induskultur mit indogermanischer Sanskrit-Sprache In diesem Szenario ergeben sich zunächst einmal starke Zweifel am bisher gelehrten Charakter der ursprünglichen indischen Kultur. Über ihr Alter wissen wir nichts Sicheres, zumal unseren Lehrmeinungs-Chronologien mit höchstem Misstrauen begegnet werden muss, und die Ansichten der westlichen und der indischen Gelehrten divergieren hier völlig. Aber bisher hieß es immer, das ursprüngliche Indien - mit Yoga, Shakti-, Shiva- und Lingam-Verehrung - sei von drawidischen Völkern geprägt gewesen, die man sich von dunklerer Hautfarbe, wie die heutigen Südinder, vorstellte.

Diese Kultur, deren Überreste unsere Archäologen als "Induskultur" ausgegraben hätten, sei dann durch eine über die nordwestlichen Gebirgsketten kommende Invasion von "arischen" (d.h. indogermanischen) Völkern viel einfacherer materieller und spiritueller Kultur überlagert worden, aus welchem Amalgam das vedische Indien entstanden sei. Dieses ganze Szenario wirft Schildmanns Entdeckung - deutet man sie nach der Alternative A - völlig über den Haufen.

Eine vor-"arische", drawidische Induskultur, in der aber schon das indogermanische Sanskrit gesprochen wurde, würde einen möglicherweise sehr bedeutsamen Parallelfall darstellen zur Entdeckung (1952) durch M. Ventris und J. Chadwick, dass mit der kretisch-mykenischen Linearschrift B, die man einer vor-"arisch"-minoischen Kultur zugeordnet hatte, bereits das indogermanische Griechisch geschrieben wurde. Bereits 1978 hatte übrigens John Dayton in seinem für dergleichen Forschungen unentbehrlichen Magnum opus [1] eine von Kreta bis zum Indus reichende vor-"arische" Zivilisation postuliert, die er späterhin durch eine primitivere, kriegerische "arische" Kultur überlagert sah.

Ein Anhänger der Alternative A müsste unausweichlich schnurstracks auf das Fazit lossteuern, dass möglicherweise das von unserer "Indogermanen-Scholastik" gelehrte Szenario in weiten Teilen in die Kategorie "Mumpitz" eingeordnet werden müsse, dass man ein Opfer schulwissenschaftlicher Mythenbildung geworden sei. Er müsste das ganze Konzept einer - je nach Laune von Skandinavien, dem Pontus, "Atlantis" oder Innerasien ausgehenden - »indogermanischen Völkerwanderung«, einer indogermanischen "Sprachfamilie" und "Ursprache", stärkstens in Zweifel ziehen.

Wenn, wie im Falle Indus und Ägäis, zwei einander folgende Kulturen sich der gleichen indogermanischen Sprache bedienen, nota bene die zeitlich vorangehende in ihrer materiellen und spirituellen Kultur, im Sinne des bisher geglaubten Weltbildes, aber so un-"arisch" wie nur möglich erscheint, dann kann dies für den Anhänger der Alternative A nur bedeuten, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit alles ganz anders gewesen sein müsse, als im schulwissenschaftlicherseits gelehrten Szenario.

Im Zusammenhang dieser Betrachtungen wäre auch Schildmanns These zu berücksichtigen, es habe sich beim Sumerischen gleichfalls um eine indogermanische, nämlich alt-iranische, Sprache gehandelt. [2] Bekanntlich bestanden enge Kontakte und deutliche Affinitäten zwischen "Sumer" - nach Heinsohn: Chaldäa [3] - und der Induskultur. Der Verfasser dieser Vorbemerkungen möchte hier allerdings mahnend daran erinnern, dass der große Arnold Wadler [4] unser ganzes Konzept, die Sprachen in "Sprachfamilien" einzuordnen, für verfehlt und in die Irre führend erachtete.

B. "Induskultur" = indische Satrapie des Perserreiches

Diese These wird von dem großen, verdienten Nonkonformisten Gunnar Heinsohn vertreten [5]. Man darf gespannt sein, ob es der Schulwissenschaft gelingen wird, ihn zu widerlegen.

Sollte es sich in der Tat bei der "Induskultur" um den vom achämenidischen Perserreich um -480 eroberten Teil Indiens handeln, so wäre es mutmaßlich kein großes Wunder, wenn sich die achämenidisch einverleibten Inder weiterhin ihres Sanskrit (damals noch in "Indus-Schrift") bedient hätten. Schildmanns Entdeckung - deutet man sie nach der Alternative B - würde sich dann also als die natürlichste Sache von der Welt herausstellen.

Im übrigen scheint sogar das weit entfernte Polynesien zur Stützung von Heinsohns These herbeizueilen! Schon lange hatte die - nur von Blinden oder Verblendeten abzustreitende - Ähnlichkeit zwischen der Indus-Schrift und der polynesischen "Osterinsel-Schrift" Nonkonformisten zu beide verbindenden Spekulationen angeregt. Die Schulwissenschaft hatte allerdings derartige Versuche stets, mit scholastischer Sturheit, als "Phantasieprodukt" [6] diffamiert, respektive die Ähnlichkeit als - man glaubt seinen Augen nicht zu trauen, wenn man es liest! - "Spiel des Zufalls" [7] unter den Teppich gekehrt.

Sollte nun aber noch um -480 in Indien die Indus-Schrift in Gebrauch gewesen sein, so wäre es - angesichts des starken indisch-hinduistischen Einflusses bis ins östlichste Indonesien [8] - sehr leicht erklärlich, dass Varianten von ihr bis nach Polynesien, vielleicht sogar bis zu den Cuna-Indianern Panamas [9], gelangt sein könnten. Es gähnte dann kein riesiger zeitlicher Hiatus mehr zwischen Indien und dem Pazifik.


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von Dr. Horst Friedrich © wurde erstmals veröffentlicht in: EFODON-SYNESIS Nr. 5/1994. Bei Atlantisforschung.de erscheint er im Dr. Horst Friedrich Archiv in einer redaktionell bearbeiten Neufassung nach: http://www.efodon.de/html/archiv/vorgeschichte/friedrich/hf-indus.htm

  1. Siehe: John Dayton, "Minerals Metals Glazing & Man", London 1978, S. 425-433
  2. Anmerkung d. Verf.: Persönliche Mitteilung Kurt Schildmanns an den Verfasser
  3. Gunnar Heinsohn: "Die Sumerer gab es nicht", Frankfurt/Main 1988
  4. Arnold Wadler, "Der Turm von Babel, Urgemeinschaft der Sprachen", 2. Auflage Wiesbaden 1988; ders.: "Germanische Urzeit", Basel 1936, Nachdruck Wiesbaden o.J. (1980)
  5. Siehe: Gunnar Heinsohn, "Wer herrschte im Industal?", Gräfelfing 1993
  6. Anmerkung d. Verf.: Etwa bei Johannes Friedrich, "Entzifferung verschollener Schriften und Sprachen", Berlin/Göttingen/Heidelberg 1954, S. 138
  7. Siehe: J. Friedrich, op.cit., S. 140
  8. Anmerkung d. Verf.: Man denke an das noch heute hinduistische Bali! Vgl. im übrigen: Austin Coates "Islands of the South", London 1974, Kap. 16: Brahminical Hinduism in Indonesia, 3rd century BC to 15th century AD.
  9. Siehe: Thor Heyerdahl, "American Indians in the Pacific", London 1952, S. 628-632


Bild-Quellen

(1) Wikimedia Commons, unter: File:IVC Map.png