Woher kamen die Ureinwohner der Kanarischen Inseln?
Die Geschichte und Herkunft der verallgemeinernd Guanchen genannten Ureinwohner der Kanaren ist eines der noch ungelösten Rätsel der modernen Archäologie. Die Theorien über deren Ursprung füllen ganze Bibliotheken. Die vormalige kulturelle Vielfalt der einzelnen Inseln und der Sachverhalt, dass die Menschen dort ihre Sprache und ihre materielle Kultur bis zur Ankunft der Spanier beibehielten, machen die Kanaren als „Freilichtmuseum“ im afro-europäischen Teil der Alten Welt einzigartig. Dieser Kurzartikel soll auf das „Kanarier-Problem“ aufmerksam machen und zeigen, wie viel Forschung hier eigentlich noch zu leisten ist, um die Herkunft der Ureinwohner des Archipels zu erleuchten.
Historiker können das Dilemma der kanarischen Archäologie im Grunde genommen auf drei Problemfelder zurückführen: „1. Das Fehlen schichtenkundlicher Studien, die das Beobachten einer Kulturabfolge für das vorspanische Teneriffa gestattet hätten. 2. Das Fehlen einer absoluten und relativen Chronologie. 3. Die Schwierigkeit, Beziehungen zwischen den Altkulturen Teneriffas und der übrigen Kanarischen Inseln sowie die gleichzeitigen Kulturen der nahen Teile des afrikanischen Festlandes zu ermitteln und das Verhältnis der anthropologisch überschaubaren Menschengruppen zu den einzelnen Altkulturen zu klären“. Diese Schwierigkeiten werden noch dadurch verstärkt, dass viele Wissenschaftler immer noch die Kanaren als einen Teil Europas, und nicht Nordafrikas mit den entsprechenden Kulturen ansehen.
Vor etwa 20 Jahren habe ich dazu mit Thor Heyerdahl und Harald Brehm sowie mit anderen Forschern, auch von der Universität La Laguna auf Teneriffa, eine Menge Arbeit investiert. Im Zuge von ABORA I (1999) habe ich die Ergebnisse auch in dem Buch „Segeln gegen den Wind im Mittelmeer“ [1] veröffentlicht. Bis heute hat sich die wissenschaftliche Situation nicht wesentlich gebessert. So werden die Pyramiden von Teneriffa und auf La Palma (Abb. 1) noch immer vielfach spanischen Bauern zugeschrieben, obwohl die frühesten Chronisten ihre Errichtung der Urbevölkerung zuschrieben (das Gleiche trifft übrigens auf die Azoren-Pyramiden von Pico zu!).
Ein weiteres Problem für die Klärung des Ursprungs stellen die beiden Floßfahrten mit RA I & II von Thor Heyerdahl dar. Aufgrund der schlechten Segeleigenschaften beider Papyrusboote, die nur direkt, also 180° vor dem Wind segelten, gehen die meisten Archäologen davon aus, dass die Erstbesiedler nur sehr weit nördlich gestartet sein können oder dass sie passiv, zum Beispiel von den Phöniziern, auf die Kanaren verschleppt wurden. Der Kanarenexperte Bruno Schmidt, der ebenfalls eng in Kontakt mit Thor Heyerdahl stand, hat als erster anhand der Segeldaten von RA II versucht, den südlichsten möglichen Startort einer Paläo-Besiedlung zu rekonstruieren. Leider kannte er damals noch nicht das ABORA-Projekt, dessen Schilfboote sogar leicht gegen den Wind mit der Strömung aufkreuzen können. So sind wir auf unserer letzten Expedition mit ABORA IV von Rhodos sowohl quer zum Wind als auch quer zu einer mäßig starken Strömung ohne Probleme halb am Wind gesegelt. Mit derart gut aufgetakelten Flößen wäre also nach meinen neueren Berechnungen ein Übersetzen auf die Kanaren selbst südlich von Safi möglich gewesen. Außerdem hätten jene Entdecker auch zwischen den Inseln segeln, und so kulturelle Errungenschaften austauschen können. Die Pyramiden von La Palma oder Teneriffa sowie die spiralförmigen Felsbilder von La Zarma (Abb. 2) auf La Palma demonstrieren die Vielzahl der möglichen Herkunftsorte - von der Bretagne bis ins Mittelmeer - der Ureinwohner der Kanaren.
Anmerkungen und Quellen
Dieser Beitrag von Dr. Dominique Görlitz (©) wurde von ihm am 28. / 29. März 2020 erstellt.
Fußnote:
- ↑ Siehe: Dominique Görlitz, „Segeln gegen den Wind im Mittelmeer“, Hamburg (DSV Verlag), 2000
Bild-Quellen:
- 1) Bild-Archiv ABORA.eu / Dr. Dominique Görlitz
- 2) ebd.