Die 'Schwarze Legende' neuzeitlicher Atlantisrezeption
(red) Die von dem deutschen Privatgelehrten und Fachbuchautor Thorwald C. Franke eingeführte [1] Begriffs-Kombination Schwarze Legende [2] der neuzeitlichen Atlantisrezeption bezeichnet einen Komplex irriger Ideen, deren Verfechtern "zufolge das Atlantis-Motiv zu nationalistischen und rassistischen Entwicklungen der Geistesgeschichte beigetragen habe". Er "kulminiert in der These, dass der deutsche Nationalsozialismus und Platons Atlantiserzählung eine besonders innige Beziehung zueinander hatten." Dies läuft, "mal mehr mal weniger klar formuliert", auf die These hinaus. "dass man den Nationalsozialismus aus Platons Atlantiserzählung heraus erklären kann." [3]
Zum Aufkommen dieser Schwarzen Legende im Rahmen der Betrachtung historischer Atlantisrezeption heißt es bei Franke unter anderem: "Anders als bei Antike und Mittelalter geht es bei der Geschichtschreibung der neuzeitlichen Atlantisrezeption nicht nur um die Frage, ob Atlantis für real oder für erfunden gehalten wurde - jetzt tritt vor allem die Frage in den Vordergrund, welche Folgen die Atlantisrezeption hatte, und ob negative Folgen womöglich in der Natur von Platons Atlantiserzählung liegen. In dieser Hinsicht malt die vorherrschende Geschichtsschreibung der Atlantisrezeption derart schwarz, dass auch für die Neuzeit der Titel >Schwarze Legende< vollauf gerechtfertigt ist.
Es wird nicht nur unterschlagen, dass Atlantis um das Jahr 1500 noch gemeinhin als ein realer Ort angesehen wurde, und dass der Meinungsumschwung hin zur Erfindungsthese sich erst im 19. Jahrhundert vollzog. Jetzt wird die Rezeption von Atlantis praktisch mit allen Übeln dieser Welt in Verbindung gebracht: Die Eroberung von Amerika soll sich auf Besitzansprüche aufgrund der Atlantiserzählung gestützt haben, die Unterdrückung der amerikanischen Ureinwohner soll mit Atlantis gerechtfertigt worden sein, die Ersetzung des biblischen Paradieses durch Atlantis wird als ein antisemitisches Projekt gedeutet, usw. Am Ende kulminiert diese Klimax des Übels im deutschen Nationalsozialismus, der sich angeblich maßgeblich auf Platons Atlantiserzählung gestützt haben soll - so jedenfalls die >Schwarze Legende< der neuzeitlichen Atlantisrezeption. [4]
Über die Protagonisten der 'Schwarzen Legende', insbesondere hinsichtlich vermeintlicher Querbezüge zwischen Atlantisbericht und rassistischem sowie nationalsozialistischem Gedankengut, lesen wir bei Franke: "Von wissenschaftlicher Seite wurde diese These vor allem von Pierre Vidal-Naquet vertreten, verklausuliert in seinem essayistischen Stil. Eines seiner zahlreichen Werke trägt den vielsagenden Namen 'Auschwitz et l'Atlantide' [5]. Aber auch viele andere Wissenschaftler und populärwissenschaftliche Autoren haben dazu beigetragen, dieses Bild zu verfestigen." [6] Zu nennen sind hier für den universitären Bezirk z.B. der Archäologe Buchard Brentjes [7] (er führte den manipulativen Bergriff "nachfaschistische Atlantisliteratur" ein) und - wenn auch nur in Form einer unreflektierten Randnotiz - der Altphilologe Reinhold Bichler [8]. Für den populärwissenschaftlichen und journalistischen Bereich seien hier angeführt: der Historiker und Sachbuchautor Franz Wegener [9], der Buchautor und Journalist Arn Strohmeyer [10], der US-amerikanische Blogger und Buchautor Jason Colavito [11] und - last but not least - der britische Autor und Dokumentarfilmer Christopher Hale (Zitat: "Der Mythos von Atlantis ist durch und durch rassistisch." [12]) [13]
Anmerkungen und Quellen
Fußnoten:
- ↑ Siehe:
Thorwald C. Franke, "Kritische Geschichte der Meinungen und Hypothesen zu Platons Atlantis - Von der Antike über das Mittelalter bis zur Moderne", BoD, 2016, S. 439-456 (Kap. 8: Die "Schwarze Legende" der neuzeitlichen Atlantisrezeption); sowie: S.457-531 (Kap. 9: Nazionalsozialismus und Atlantis?) - ↑ Anmerkung: Zur ursprünglichen Bedeutung bzw. Verwendung des Ausdrucks 'Schwarze Legende' siehe: Wikipedia -Die freie Enzyklopädie, unter: "Leyenda negra" (abgerufen: 18. August 2018)
- ↑ Quelle: Thorwald C. Franke (2016), S. 457
- ↑ Quelle: Thorwald C. Franke (2016), S. 439
- ↑ Siehe: Pierre Vidal-Naquet, "Auschwitz et l'Atlantide, note sur un récit de Georges Perec", Biffures et Amnésie, Sigila n° 2 (Oktober 1998), S. 17-28
- ↑ Quelle: Thorwald C. Franke (2016), S. 457
- ↑ Siehe: Buchard Brentjes, "Atlantis - Geschichte einer Utopie", Köln (DuMont), 1993
- ↑ Siehe: Reinhold Bichler, "Gab es Atlantis wirklich? (Essay), in: Isabella Ackerl, Johann Lehner und Johannes Sachslehner (Hrsg.), "Wissen! Antworten auf unsere großen Fragen", Styria-Verlag in der Verlag-Gruppe Styria, 2007
- ↑ Siehe: Franz Wegener, "Das atlantidische Weltbild: Nationalsozialismus und Neue Rechte auf der Suche nach der versunkenen Atlantis", KFVR-Kulturförderverein Ruhrgebiet, 2000, 158 Seiten; Neuauflage unter dem Titel: "Das atlantidische Weltbild und die integrale Tradition: Nationalsozialismus und Neue Rechte auf der Suche nach der versunkenen Atlantis", Kulturförderverein Ruhrg., 2014, 202 Seiten
- ↑ Siehe: Arn Strohmeyer, "Atlantis ist nicht Troja - Über den Umgang mit einem Mythos", Donat-Verlag, Bremen, 1997
- ↑ Siehe z.B.: Jason Colavito, "Lost Civilizations Uncovered - Atlantis, Mu and the Maya - Early theories attributing Mesoamerican civilization to lost civilizations continue to deprive Native Americans of their cultural legacy today", bei tripod.com. (abgerufen: 18. August 2016)
- ↑ Quelle: ZDF info, "Mythen-Jäger- Himmlers Suche nach Atlantis", Großbritannien 2013 (abgerufen: 18. August 2018)
- ↑ Siehe: Christopher Hale, "Himmler's Crusade - The true story of the 1938 Nazi expedition into Tibet", London (Bantam), 2003
Bild-Quellen:
- 1) Oben: Bundesarchiv (BArch) bei Wikimedia Commons, unter: File:Bundesarchiv Bild 119-11-19-12, Adolf Hitler bei Ortsgruppenfeier der NSDAP Rosenheim.jpg
- 1) Unten: Atlantis-Karte des Athanasius Kircher (1602-1680) / Bild-Archiv Atlantisforschung.de