Interwiew mit Dominique Görlitz nach seiner Rückkehr von der ABORA IV-Expedition

Ein erstes Fazit, Hintergrund-Informationen und Ausblicke

Abb. 1 Die absolvierte Fahrstrecke der ABORA IV-Expedition von Varna in Bulgarien bis nach Kaş im Süden der Türkei

Atlantisforschung.de: Herzlich willkommen zurück in der Heimat, Dominique! Was für ein Gefühl ist es, wenn ein solches Mammut-Projekt wie ABORA IV nach jahrelangen Vorbereitungen, ca. 14 Wochen Bootsbau-Phase in Bulgarien und gut einem Monat effektiver Fahrtzeit 'gelaufen' ist?

Dominique Görlitz: Ein phantastisches Gefühl! Vor allem in der Rückschau auf die geleistete Arbeit und die tollen Kurse durch die Ägäis wird meine Freude über den erfolgreichen Verlauf der Expedition wohl nicht so schnell nachlassen. Dabei muss man ja auch bedenken, dass es in Bulgarien „Null“ Vorbereitung gab, ebenso wenig in der Türkei und Griechenland! Unter solchen Umständen braucht es halt viel Improvisationstalent und und auch das nötige Quäntchen Glück.

Atlantisforschung.de: Eigentlich war ja Zypern als Reiseziel vorgesehen, wo sich vormals auch ein altägyptischer Handelshafen und Waren-Umschlagplatz befand. Warum habt Ihr euch letztlich dafür entschieden, stattdessen Kaş in der Türkei anzulaufen?

Dominique Görlitz: Sowohl dieses Reiseziel als auch ursprünglich geplante Besuche einiger Ägäischer Inseln fielen unserer verspäteten Abfahrt zum Opfer. Diese hatte viele Ursachen: 1.) Der späte Wechsel des Startplatzes von Sotschi nach Varna im März 2.) Aus diesem Grund konnten wir erst 7 Wochen später in Bulgarien anfangen, alle Materialien dorthin umzuleiten und dann mit dem Schiffsbau zu beginnen 3.) Der Mangel an geeignetem Bauholz in Bulgarien, denn wir hatten beim bolivianischen Zoll das gesamte Aufbautenholz zurücklassen müssen und 4.) ungewöhnlich schlechtes Wetter in Bulgarien. So viel Regen in Mai und Juni hatten die Bulgaren in den letzten Jahrzehnten nicht erlebt!

Abb. 2 Dr. Dominique Görlitz: "Aus meiner Sicht hat die Seereise der ABORA IV unsere Erwartungen mehr als erfüllt."

All diese Faktoren führten schließlich zu einer zweimonatigen Verspätung, so dass wir erst am 16. August 2019 in Varna ablegen konnten. Schon zu diesem Zeitpunkt stand fest, dass wir nicht mehr alle angedachten geographische Ziele – und schon gar nicht das Niltal – abfahren können. Dies hatte nichts mit unserem Floßfahrzeug zu tun, welches mindestens 1,5 Jahre schwimmfähig bleibt, sondern in erster Linie mit der Urlaubsplanung unserer Crew, deren Mitglieder ab Ende September wieder ihre reguläre Berufstätigkeit aufnehmen müssen. Als uns dann während der Expedition noch das unglaubliche Angebot erreichte, unser Expeditionsschiff in Patara bei Kaş ausstellen zu können, war mir die Entscheidung leicht gemacht: Zurück nach Norden, um in der Türkei eine Heimstatt für unsere tapfere ABORA IV zu finden.

Atlantisforschung.de: Ist es übertrieben, die Fahrt der ABORA IV trotz der nötig gewordenen Modifikationen von Start- und Zielort als vollen Erfolg zu bezeichnen? Habt Ihr Deiner Meinung nach den Nachweis erbringen können, dass die von Herodot erwähnten - gegebenenfalls auf dem Seeweg erfolgten - Kontakte zwischen Altägypten und Kulturen des Schwarzmeer-Raums technologisch gesehen bzw. in nautischer Hinsicht machbar waren?

Dominique Görlitz: Aus meiner Sicht hat die Seereise der ABORA IV unsere Erwartungen mehr als erfüllt. Wir konnten entlang der vorgegebenen Route segeln und alle Orte ansteuern. Insbesondere die Anfahrt in den Naturhafen von Poliochni an der Ostküste von Limnos ist als eine der beeindruckendsten Leistungen der Expedition anzusehen. Gleiches gilt für die Durchfahrung der Caldera von Santorin (Abb. 3), die wir ganz aus eigener Kraft durchsegelten, um dann an der Südküste wieder zurück nach Nordosten in Richtung Kaş abzudrehen. (Die Fahrt nach Zypern wäre übrigens navigatorisch viel leichter gewesen.) Insofern können wir heute mit Bestimmtheit die Ausführungen von Herodot untermauern und bestätigen, dass seine Überlieferungen sicher keine „Phantasiegeschichten“ sind.

Abb. 3 Die ABORA VI bei ihrer Durchfahrung der Caldera von Santorin

Atlantisforschung.de: In seefahrerischer Hinsicht waren solche Fahrten weder in der fernen Vergangenheit ein 'Zuckerschlecken', noch sind sie es heute. Das habt auch Ihr auf der ABORA IV zu spüren bekommen, wie Euren Meldungen zu entnehmen ist. Obwohl Du als Skipper offenbar alles getan hast, um auf 'Nummer sicher' zu gehen, habt Ihr ja erleben können, dass letzlich stets Winde und Strömungen bestimmen, ob und wie ein Segelschiff vorankommt - und nicht der Mensch. Was waren in dieser Hinsicht die problematischsten Situationen, die Ihr unterwegs erlebt habt?

Dominique Görlitz: Nun ja, vielleicht war es einst in mancher Hinsicht sogar leichter, auf dem Seeweg von Varna nach Kaş zu gelangen. Da gab es viele Hindernisse noch nicht, mit denen wir es zu tun hatten. Ich spreche hier an erster Stelle von der Zunahme der bürokratischen Anforderungen. Aber auch der ausufernde moderne Seeverkehr war immer eine der größten Gefahren für Schiff und Mannschaft der ABORA IV-Expedition. Damit mussten sich altägypische und andere altertümliche Seeleute noch nicht herumplagen.

Und weil Du speziell die Naturkräfte ansprichst, die für ein (motorloses) Segelfahrzeug damals wie heute eine besondere Herausforderung waren und sind: Die schwierigste Befahrung war das letzte Stück von Rhodos nach Kaş, wo die Expedition in starke Südströmungen und einen aggressiven Nordwind geriet. Über zwei Tage lang mühten wir uns mit Leibeskräften, um aus diesem Strömungsband herauszukommen. Erst als wir mehr als 35 Seemeilen von diesem Band weg waren, konnten wir endlich Kurs in Richtung Norden aufnehmen. Danach hatten wir die Situation wieder voll im Griff.

Atlantisforschung.de: Die Berichtestattung in den türkischen Medien zugrunde legend, fielen gerade die Reaktionen dortiger ArchäologInnen auf Eure Expedition begeistert aus. Welchen Nutzen kann z.B. die Troja-Forschung, oder auch die Erforschung der allgemein kaum bekannten uralten Hafenstadt Patara aus den Ergebnissen des ABORA IV-Unternehmens ziehen?

Abb. 4 Die Crew der ABORA IV mit türkischen VIPs beim feierlichen Emmpfang der Expeditions-Teilehmer in Kaş am 19. September

Dominique Görlitz: Das müssen die Partner selber einschätzen. Jedenfalls bekam ich in der Tat viel Zustimmung durch die verantwortlichen Archäologen auf der Strecke, die unser Ansinnen in den höchsten Tönen lobten und für ihre Arbeit als wichtig einschätzten. Erst gestern erhielt ich von dem Leiter der Troja-Ausgrabungen, Prof. Dr. Rüstem Aslan, eine Einladung zu seiner neuen Präsentation in Deutschland übernächste Woche. Prof. Aslan war im besonderen Maße von ABORA IV begeistert, weil die Fahrdaten ihm helfen, antike Überlieferungen besser einzuordnen bzw. zu verstehen. Das gleiche gilt für die Archäologen von Patara oder Varna in Bulgarien.

Atlantisforschung.de: Kommen wir noch einmal zurück zum Thema 'Bürokratie'.In einem vorausgekangenen Gespräch hast Du den seit den Zeiten von ABORA III geadezu 'explosionsartig' angewachsenen bürokratischen Hemmnisse beklagt, welche die Planung und Durchführung entsprechender experimental-archäologischer Unternehmungen immer stärker behindern. Wenn man zudem die ständig ansteigenden Kosten für alle Teilbereiche eines solchen Projekts in Betracht zieht, scheint die Frage angebracht: Werden Privatforscher wie Du künftig überhaupt noch solche anspruchsvollen Forschungsfahrten durchführen können, oder stehen derartige Experimente 'im Kielwasser Thor Heyerdahls' vor dem 'Aus'?

Dominique Görlitz: Wie ich schon sagte, der Aufwand und die Hürden wurden in den letzten Jahren immer größer. Gar nicht zu reden von den Kosten für eine solche Unternehmung. Auch die Spendenbereitschaft hat arg nachgelassen, wenn man nicht gerade „Gretchen“ heißt!!! Auf der anderen Seite würde ich auch nicht gleich von einem ‚Aus‘ sprechen, zumindest was die Mission ABORA betrifft. Immerhin haben wir immer noch unser Experimentalfloß DILMUN S und die künftigen ABORA-Ausstellungen in Deutschland und der Türkei.

Atlantisforschung.de: Abschließend würde ich gerne noch kurz auf Deine weiteren Pläne für die Zukunft zu sprechen kommen. Wird es - neben den oben angesprochenen Kooperationen mit türkischen Archäologen - weitere Folge-Aktivitäten zu ABORA IV geben, z.B. einen ausführlichen schriftlichen Expeditionsbericht oder eine DVD? Dürfen wir zudem davon ausgehen, dass Du Dich nun auch wieder verstärkt Deinen Forschungen zur Zinn-Gewinnung im prähistorischen Erzgebirge und den uralten Handelswegen von Mitteleuropa bis zum Schwarzen Meer widmen wirst?

Dominique Görlitz: Ja, ich werde in den nächsten Monaten alles daransetzen, unsere Geschichte in Buch und Film zu erzählen. Wir hatten z.T. zwei Kamerateams an Bord, und die haben mit sehr guten Kameras fotografiert, was das Zeug hält. Mit diesem Material können wir einmal mehr eine ausgezeichnete Geschichte erzählen. Außerdem organisiere ich dieses Jahr wieder im GALILEO-PARK Lennestadt einen Kongress. Dieses Jahr unter dem Motto >Pioniere der Meere<. Es kommen VIPs, wie der Sohn von Dr. Thor Heyerdahl oder die türkische Archäologin Prof. Dr. Havva Ishik aus Patara. In zwei Jahren werde ich dann das große ABORA Science Center im Areal Staleburc Hoheneck in Stollberg eröffnen. Dort werden wir auf fast 700 m² alles über ABORA, das Eisen der Pharaonen und die Zinnbronzen aus dem Erzgebirge erzählen.

Atlantisforschung.de: Wir bedanken uns für dieses Interview und wünschen Dir viel Erfolg bei Deinen künftigen Projekten, die wir selbstverständlich auch weiterhin journalistisch begleiten werden.



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Anmerkungen und Quellen

Dieses Interview mit Dominique Görlitz wurde von Atlantisforschung.de-Redaktionnsleiter Bernard Beier am 26. und 27. September 2019 geführt. Das Copyright für diesen Beitrag liegt bei den beiden Interview-Partnern.

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