Henry H. Bauer: Science or Pseudoscience... (Rezension)
Eine Buchbesprechung von Dr. Horst Friedrich (2004)
Wie im Kasperle-Theater, zur Freude der Kinder, der gute Kasperle auf den bösen Teufel eindrischt, so pflegen bekanntlich manche selbsternannten „Weltanschauungshüter“ unserer „Skeptiker“-Organisationen (CSICOP [1], GWUP) mit dem Knüppel „Pseudowissenschaft!“ auf all jene einzuschlagen, die nicht ihre szientistische Sicht teilen und stattdessen anomalistischen Forschungen Wert beimessen. Mancher selbst gebildete Laie, der ja normalerweise in der „Wissenschaft von der Wissenschaft“ keine eigene Kompetenz erwerben konnte, mag sich da oft schon gefragt haben, was es mit diesem Pseudowissenschafts-Vorwurf eigentlich für eine Bewandnis hat.
Für eben solche, dergleichen Auseinandersetzungen von außen beobachtende und anteil- nehmende Laien wird Henry Bauers klar geschriebenes Buch eine große Hilfe bei der eigenen Urteilsfindung sein. Aber nicht nur für sie. Das Buch gehört eigentlich in jede Institutsbibliothek. Denn auch unsere im „Establishment“ beschäftigten Wissenschaftler sind in ihrer großen Mehrheit – was den Außenstehenden überraschen mag – in der „Wissenschaft von der Wissenschaft“ normalerweise nicht gerade sattelfest. Sie dürften mehrheitlich der Meinung sein, dass der Begriff „Pseudowissenschaft“ einen klar beschreibbaren Gegenstand hat.
Diese Illusion wird im vorliegenden Buch von Henry H. Bauer gründlich zerstört. Der Autor, gebürtiger Österreicher, ist Professor emeritus of Chemistry and Science Studies und Dean emeritus of Arts and Sciences am Virginia Polytechnic Institute sowie Editor-in-Chief des Journal of Scientific Exploration. Besagter Illusion, die sich einem unrealistischen und aus wissenschaftsphilosophischer Sicht fragwürdigen Verständnis von Wissenschaft verdankt, nimmt Bauer sich bereits im ersten Kapitel „What gets called pseudoscience“ an. Er konstatiert, dass das, was er „Anomalistik“ nennt, von anderen als „Pseudowissenschaft“, „alternative Wissenschaft“ etc. bezeichnet wird, und wirft den CSICOP-„Skeptikern“ vor, dass sie einfach alle, die nicht ihre Schulwissenschaftsgläubigkeit teilen, als Befürworter von „Pseudowissenschaft“ diffamierten.
Bauer bemerkt dazu vollkommen zutreffend: “In point of literal fact, anomalists could call themselves 'skeptics' with just as much warrant as those who debunk pseudoscience, since anomalists are genuinely skeptical in relation to much of currently accepted scientific theory” (S. 16). In der Tat kommt nach Ansicht des Rezensenten die Usurpierung des Wortbegriffs „Skeptiker“ durch CSICOP/GWUP in gewisser Weise einem Etikettenschwindel nahe, denn jene Weltanschauungsfanatiker sind ja eben gerade nicht (was im Interesse der Weiterentwicklung unserer Wissenschaften das Wichtige wäre) skeptisch gegenüber den Lehrmeinungsgebäuden unserer Schulwissenschaft, sondern legen diesen gegenüber eine laienhaft-naive Gläubigkeit an den Tag und attackieren und diffamieren jene, die diese simplistische Gläubigkeit und das mit ihr oft verbundene reduktionistische Wissenschaftsverständnis nicht teilen. Es lässt sich mithin fragen: Auf welcher Seite liegt denn hier nun eigentlich die Unwissenschaftlichkeit?
Die „Skeptiker“ sollten also meines Erachtens mit dem Vorwurf „Pseudowissenschaft“ – oder gar „Pathologische Wissenschaft“ – sehr vorsichtig umgehen, auf dass sich dieser Vorwurf nicht gegen sie selbst kehre. Oder anders ausgedrückt, wie Bauer in seinem Buch schreibt: “As to philosophy of science, debunkers illustrate well the aphorism that having merely a little learning can be a dangerous thing” (S. 71). Ebendort hatte er zuvor bereits die Erz- und Ur-Sünde der heutigen organisierten „Skeptiker“ zutreffend mit den Worten kritisiert, dass „the disbelievers often rely on outdated notions about the nature of science“.
Im Verlauf der ungemein aufschlusseichen Tour d'horizon zum Problem „Wissenschaft versus Pseudowissenschaft“, die sein Buch darstellt, kommt Bauer wiederholt auf dieses Grundproblem unserer organisierten „Skeptiker“ zurück. Er skizziert beispielsweise die einflussreichen Ausführungen von Irving Langmuir (Nobelpreis 1932) aus dem Jahre 1953 zum Thema „pathologischer Wissenschaft“, muss aber am Ende das Fazit ziehen: „Langmuir's talk was timely and made interesting suggestions. However, those stand up no better as diagnostics than do other suggested criteria for distinguishing science from pseudoscience” (S. 117).
An anderer Stelle wird Bauer noch konkreter und expliziter, indem er verbreitete illusionäre Vorstellungen über „Wissenschaftlichkeit” zerstört: “There is a very high level of ignorance about how science works, how authoritative it can be, what makes something science. Not much about the history of science is widely known, nor about philosophy of science, which does not characterize science as 'using the scientific method' or a dealing only in falsifiable theories, as the two most popular misconceptions continue to assert” (S. 230, Hervorhebung im Original).
Es ist wichtig, diesen Punkt festzuhalten, da diese irreführenden Behauptungen im ideologischen Gerede unserer „Skeptiker“ ständig wiedergekäut werden: Es gibt keine klar definierte, generell anwendbare „wissenschaftliche Methode“, keine „Kriterien von Wissenschaftlichkeit“. Und dass man sich in den Wissenschaften generell nur mit falsifizierbaren Theorien beschäftige, trifft ebenfalls nicht zu. Es hilft alles nichts, man muss den Tatsachen ins Gesicht sehen: die Wortbegriffe „Pseudowissenschaft“ und „Pseudowissenschaftler“ sind und bleiben nun einmal leere Worthülsen, mit denen nichts Vernünftiges anzufangen ist. Wir sollten sie also allmählich aus unserem Wortschatz ersatzlos streichen. Wie übrigens m.E. auch den verwandten Begriff „Parawissenschaften“ [2], mit dem es nicht viel besser bestellt ist. [3] Ohnehin sind Verallgemeinerungen fragwürdig, man muss jeden Fall für sich betrachten.
Es scheint mir aufschlussreich, einige weitere Passagen aus Bauers exzellentem Werk zu zitieren und sie ggf. kurz zu kommentieren: „Perhaps the most common illusion“, schreibt Bauer auf S. 7, „is that science uses a 'scientific method' that guarantees objectivity“. Darüber sprachen wir soeben. Es erscheint aber wichtig, dass auch die angeblich durch Wissenschaft erreichbare Objektivität (etwa von Auffassungen über die Natur des Universums) hier von Bauer als Illusion gekennzeichnet wird. “To point out that science is not perfect nor all-powerful is surely not to denigrate it ... My ulterior motive is not to disparage science but to suggest that serious anomalistics be allowed a measure of respect, as an honest seeking of knowledge within mysteries more intractable even than those grappled with in the mainstream of natural science” (ebd.).
Bauer hebt hervor (S. 12 und 34), dass die Naturwissenschaft monolithisch angelegt sei, während die Sozialwissenschaften und die Anomalistik multiparadigmatisch seien und „encompass disparate schools of thought“. Dies erscheint dem Rezensenten als ein ganz wichtiger Punkt. Er hat keinen Zweifel, dass wir eine wahre Wissensexplosion erleben würden, könnten wir unsere Naturwissenschaft (und noch ein paar andere Disziplinen) ebenfalls multiparadigmatisch organisieren.
„The world is full of things for which science has no explanation”, betont Bauer (S. 79). Warum tun sich unsere Establishmentwissenschaftler nur so schwer, das zuzugeben. Warum muss immer so getan werden, als habe „die Wissenschaft“ schon überall den Durchblick, etwa wie das Universum entstand (als wären die Astrophysiker und Kosmologen dabei gewesen), wie der Jetztmensch aus affenähnlichen Vorfahren während des „Großen Eiszeitalters“ sich herausentwickelte, wie die Alten Ägypter die Gizeh-Pyramiden bauten und dergleichen mehr? Es ist dies genau genommen ein scharlatanesker Zug unserer Schulwissenschaft – zur Erinnerung: unter „Scharlatanerie“ versteht man das Vortäuschen eines bestimmten Wissens oder einer bestimmten Kompetenz.
Auf die Naturwissenschaften gemünzt, wird Bauer an anderer Stelle noch expliziter: “The world is full of natural phenomena of which most of us are quite ignorant, and many of which science is ignorant” (S. 80). Zum Thema Grenzgebietsthemen konstatiert der Autor vollkommen zutreffend: “Rather than insisting on a stark dichotomy between genuine science and pathological or pseudoscience, one must recognize that quite a number of pioneering studies straddle the fence” (S. 142). Der Rezensent hat anderenorts [4] darauf hingewiesen, dass selbstredend alle unsere Wissenschaftsgebiete überlappen (da ja die Schubfächer-Einteilung menschengemacht ist und nicht in der Natur liegt), und dass deswegen multidisziplinäre Studien in den Überlappungsgebieten besonders wichtig für die Fortentwicklung unserer Wissenschaften sind. “The border between mainstream and unorthodoxy is neither stable nor easily defined”, bemerkt Bauer (S. 182) – fast eine Binsenweisheit. Aber wer sie wirklich verstanden hat, wird vermeintliche „Pseudowissenschaften“ weitaus entspannter sehen als jene, die am derzeitigen Stand der Wissenschaft kleben bleiben.
Auch die exaltierten Warnungen der „Skeptiker“ vor angeblichen Gefahren, die von einer Beschäftigung mit „Pseudowissenschaft“ ausgehen, nimmt Bauer aufs Korn: „Yet loud voices warn us that paranormal beliefs do represent a serious threat to society ... I believe it important to resist not only religious superstition but also scientistic superstition, the notion that science and only science has all the answers. Some debunking of 'pseudoscience,' though, plays into the superstitions just as much as works like Worlds in Collision play into religious superstition” (S. 200).
“CSICOP desperately wants the whole society to believe as it does”, fährt Bauer fort (S. 204). In der Tat betreiben unsere „Skeptiker“ nach Ansicht des Rezensenten eher eine Art Rezensionen sektiererhaftes Missionierungsunternehmen. In eben diesem Sinne konstatiert Bauer auch weiter: “The crusaders against pseudoscience behave more like fanatical evangelists of a scientistic religion than as dedicated public educators” (S. 206). – “Beware those whose self-proclaimed mission is 'to educate the public', to induce scientific literacy in order to banish irrationality and the like” (S. 227). Schon einige Seiten zuvor hatte Bauer beobachtet: “One might also argue the case that seeing the world only through lenses provided by science is a form of escapism that avoids the real questions of human existence, which are about meaning and purpose” (S. 214).
“For science globally rather than in specific detail”, so lautet eine der Schlussfolgerungen aus Henry Bauers Buch, “anomalistics can be a needed balance to hubris to which science and scientists are tempted in the wake of science's magnificent progress over the last few centuries and the high societal status science has thereby gained” (S. 236).
Von einer Rezension erwartet man auch kritische Anmerkungen. Zweifellos hätte man das Buch auch anders strukturieren können, aber das ist weitgehend Geschmackssache. Nicht einig war der Rezensent mit dem Autor hinsichtlich dessen allzu kritischer Ablehnung des „Erz-Häretikers“ Velikovsky. Schließlich kann letzterer mit gutem Recht als Vater des Neo-Katastrophismus angesehen werden. Kein geringes Verdienst.
Anmerkungen und Quellen
Dieser Beitrag von Dr. Horst Friedrich wurde erstmals veröffentlicht in der Zeitschrift für Anomalistik, Band 4 (2004), S. 279-282. Bei Atlantisforschung.de erscheint er im Januar 2014 in einer redaktionell Bearbeiteten Fassung nach der Online-Version bei Anomalistik.de (PDF-Datei) im Dr. Horst Friedrich Archiv.
Fußnoten:
- ↑ Red. Anmerkung: Das vormalige "Committee for the Scientific Investigation of Claims of the Paranormal (CSICOP) hat sich zwischenzeitlich (2006) in "Committee for Skeptical Inquiry (CSI)" umbenannt.
- ↑ Siehe dazu auch: Dr. Horst Friedrich, „Parawissenschaften“? (1997)
- ↑ Red. Anmerkung: Diese Feststellung von Dr. Friedrich ist sicherlich zutreffend, sofern die ideologische Verwendung des Begriffs "Parawissenschaft" als 'Verbalkeule' zur Diskredtitierung von 'unorthodoxer' Forschung in Grenzbereichen des Wissens und des Erkenntnisprozesses gemeint ist. Wie auch in unserem Neitrag "Grenzwissenschaft" bemerkt, ist es jedoch - nicht nur - aus Sicht der Gesellschaft für Anomalistik e.V. notwendig, grenzwissenschaftliche Forschung typologisch zu spezifizieren und anhand einer einer systematischen Unterscheidung ihrer jeweiligen Forschungsgegenstände in zwei Hauptgruppen zu untergliedern, nämlich in 'Kryptowissenschaften' und 'Parawissenschaften': "Kryptowissenschaftliche Behauptungen beziehen sich auf außergewöhnliche Dinge oder Objekte (z.B. ein Yeti oder ein UFO), wogegen parawissenschaftliche Behauptungen sich auf außergewöhnliche Prozesse oder Beziehungen zwischen ansonsten ganz gewöhnlichen Dingen beziehen (z.B. Behauptungen zu >Gedankenübertragung< oder einer Beziehung zwischen der Stellung der Planeten und menschlichen Charaktereigenschaften)." (Quelle: Marcello Truzzi (1935-2003), "Was ist Anomalistik?" (1999); auf den Webseiten der Gesellschaft für Anomalistik e.V.; abgerufen: 18.01.2014)
- ↑ Red. Anmerkung: So etwa in: Horst Friedrich, "Einer neuen Wissenschaft den Weg bahnen! Die Schieflage unserer Schulwissenschaft und die Zukunft des Denkens" (3. Auflage, 2012), König Verlag, Erstausgabe 2006; siehe online auch: Ders., "Die Einheit aller Wissenschaften und ihre praktische Anwendbarkeit" (1997)