„Parawissenschaften“?

von unserem Gastautor Dr. Horst Friedrich

Abb. 1 Dr. Horst Friedrichs in diesem Artikel wiedergegebene Kritik am organisierten Skeptiker- beziehungsweise Pseudoskeptikertum, speziell an der GWUP und ihrem kruden Wissenschaftsverständnis, stammt aus dem Jahr 1997, ist aber von ungebrochener Aktualität.

In diesem Jahr (1997) wird die GESELLSCHAFT ZUR WISSENSCHAFTLICHEN UNTERSUCHUNG VON PARAWISSENSCHAFTEN e.V. (GWUP) zehn Jahre alt. Vermutlich werden die meisten Leserinnen und Leser von ihr noch nie gehört haben. Alle diejenigen, die nonkonformistischen und außenseiterischen Forschungen nachgehen, sollten aber zumindest von der Existenz dieser Gesellschaft wissen.

Was will die GWUP, welche Ziele verfolgt sie? Wer auf den ,,Originalton” Wert legt, möge einfach die Selbstdarstellungsbroschüre der GWUP anfordern [1]. Als Extrakt daraus lässt sich zusammenfassen, dass die GWUP ihr verdächtige „Parawissenschaften“ hinterfragen und der Ausbreitung von ,,Pseudowissenschaften” - wir kommen darauf ausführlich zurück! -, oder dessen, was sie dafür hält, entgegenwirken will.

Insbesondere will sie auch einschlägige unsinnige, unhaltbare Behauptungen widerlegen, pseudowissenschaftlich verbrämten Betrug und Scharlatanerie aufdecken, und etwas gegen Aberglauben und Okkultismus tun. Das klingt zunächst in der Theorie nicht übel und recht verdienstvoll. Also ,,Wohltäter der Menschheit”? Hm! In dieser Hinsicht einerseits zweifellos.

Studiert man andererseits jene Selbstdarstellungsbroschüre - oder Nummern der von der GWUP herausgegebenen Zeitschrift SKEPTIKER [2] - genauer, so wird man doch recht nachdenklich. Unter den ,,Pseudowissenschaften”, gegen die man etwas tun will, taucht da nämlich neben der Astrologie und der Radiästhesie (Rutengehen, Pendeln), UFOs und der Präastronautik [3] beispielsweise auch die Homöopathie (!) auf, zu der schon längst Vorlesungen an unseren Universitäten gehalten werden. Allein in Deutschland sind tausende von zugelassenen Ärzten ganz offiziell Homöopathen!

Der GWUP muss klar sein, dass man da stutzig wird. Wird ein Muster erkennbar? Soll die Homöopathie deswegen zur ,,Parawissenschaft” degradiert werden, weil sie stört [4]? Unwillkürlich taucht die Frage auf: Ist das Entlarven von pseudowissenschaftlich verbrämtem Unsinn und Betrug (Scharlatanerie) etc. am Ende vielleicht nur vorgeschobene Nebensache, der GWUP ganz sekundär, ein ,,Deckmäntelchen”, um andere Motive und Absichten zu verschleiern?

Ist das wahre Hauptziel nicht vielleicht vielmehr weltanschauliches ,,Missionieren”? Will man dem Publikum, ohne dies offen auszusprechen, vor allem ein bestimmtes Weltbild - nämlich ein materialistisches - ,,verkaufen”? Dazu würde das In-Frage-Stellen der Homöopathie nämlich passen, oder des Rutengehens [5].

Warum richtet man den Scheinwerfer kritisch-hinterfragender Aufmerksamkeit nur auf die Außenseiter und alternativen Forschungsrichtungen? Warum nicht ebenso auf die orthodoxen Schulwissenschaften mit ihren zahllosen Fragwürdigkeiten und ,,Windigkeiten”? Betrachtet die GWUP sich als ,,Verkaufsförderung” für gerade ,,getragene” Lehrmeinungen? Es scheint so, betrachtet man etwa die GWUP-Polemik gegen den großen ,,New-Age”-Physiker Fritjof Capra [6] oder die Ausführungen zweier professoraler GWUP-„Champions” im SKEPTIKER [7]!

In der GWUP-Selbstdarstellungsbroschüre heißt es zwar: ,,Ein Skeptiker in unserem Verständnis nimmt so wenig wie möglich als gegeben hin, sondern ist bereit, jede Aussage zu hinterfragen und zu prüfen“ [8]. Die Worte lese ich wohl. Aber man soll ja die Menschen nach ihren Taten beurteilen! Wo bleibt das kritische Hinterfragen der schulwissenschaftlichen Lehrmeinungen durch den SKEPTIKER?

Warum wird in der Geologie nicht zugunsten des Neo-Katastrophismus gegen die ,,pseudowissenschaftliche” lyellistische Ideologie (!) Partei ergriffen? Warum wird nicht der Darwinismus (ebenfalls mehr Ideologie als Wissenschaft!) hinterfragt? Warum nicht das ,,Große Paradigma” der Anthropologie, die Vorstellung von angeblich existierenden ,,Rassen” der Menschheit als wissenschaftlich unhaltbarer Unsinn entlarvt? Misst man mit zweierlei Maß?

Auf diese Fragen würde die GWUP vermutlich antworten, dass sie ja nicht GESELLSCHAFT ZUR WISSENSCHAFTLICHEN UNTERSUCHUNG VON SCHULWISSENSCHAFTEN heiße. Aber so geht es ja nun auch nicht! Man kann nicht gut bei anderen auf Fragwürdigkeiten hinweisen, und bei sich selbst beide Augen fest zumachen. Das wäre ungefähr so, als wollte jemand, der ständig große Steuerhinterziehungen begeht, darauf drängen, dass die Steuererklärungen der anderen Steuerpflichtigen kritisch hinterfragt werden.

Mir persönlich ist die GWUP jedenfalls viel zu schulwissenschaftsgläubig! Ja, leider muss es gesagt sein, fast habe ich sogar den Verdacht, dass sie kein offenes Spiel treibt, nicht mit offenem Visier kämpft.

Mir kommt es fast so vor, als sei der Text der GWUP-Selbstdarstellungsbroschüre darauf berechnet, Objektivität nur vorzutäuschen. Aus wissenschaftsphilosophischer und wissenschaftsgeschichtlicher Sicht hinterfragt, erscheint nämlich die Argumentation darin oft so auffällig naiv, dass der Kenner der Materie aufmerksam wird. Fast wie darauf berechnet, Anfänger im logischen Denken und junge Wissenschaftler, die keine Kenner der Wissenschaftsphilosophie und Wissenschaftsgeschichte sind, zu ,,missionieren”. So heißt es etwa:

,,Eine wissenschaftliche Theorie muss ... mit dem bekannten Hintergrundwissen im Einklang stehen[9]. Über eine solche Formulierung kann der Kenner der Materie nicht einmal mehr lächeln, er muss laut lachen!

Offensichtlich ist nämlich hier ,,Hintergrundwissen” im Sinne von ,,gesichertem Wissen” gemeint. Es gibt ja aber kaum absolut gesichertes Wissen! Zu ,,Wissen” folgt in Kürze Näheres. Aus dieser Formulierung müsste man also schlussfolgern, dass bei der GWUP völlig das Verständnis dafür fehlt, wie außerordentlich vorläufig unsere schulwissenschaftlichen Lehrmeinungen sind. Andererseits wird wieder das ,,Lippenbekenntnis“ (?) abgegeben: ,,Es ist gerade eine wesentliche Eigenschaft und ein erheblicher Vorteil wissenschaftlicher Aussagen, dass sie durch neue Erkenntnisse modifiziert und korrigiert werden können - im Unterschied zum Dogmatismus[10]. Verwirrend!

Abb. 2 "Man gewinnt den Eindruck, als würde bei der GWUP ein gefährliches, explosives Gebräu aus wissenschaftsphilosophischem Halbwissen und schulwissenschaftlich-ideologischem ,,Missionierungs”-Drang existieren. " (Dr. Horst Friedrich, 1997)

Man gewinnt den Eindruck, als würde bei der GWUP ein gefährliches, explosives Gebräu aus wissenschaftsphilosophischem Halbwissen und schulwissenschaftlich-ideologischem ,,Missionierungs”-Drang existieren.

Eine solche aufgeladene Atmosphäre pflegt sich gerne in Privat-„Kreuzzügen” zu entladen! Mit ihrer Zeitschrift SKEPTIKER und (nach eigener Angabe) rund 400 Mitgliedern, darunter etliche nicht ganz unbekannte Professoren, ist die GWUP heute definitiv keine ,,Quantié négligeable” mehr. Auch nach eigenem Bekunden will sie ja eben Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen! Da einer ihrer professoralen ,,Champions” die Esoterik [11] als ,,irrationale Unternehmung” abqualifiziert [12], wird sie also beispielsweise vielleicht bald vor ,,Esoterik-Tagen” Flugblätter verteilen.

Wir haben also allen Anlass, unsererseits kritisch zu hinterfragen, wie es um die Gesichertheit des von der GWUP verbreiteten Weltbildes zu vermeintlich "Pseudowissenschaftlichem” und ,,Parawissenschaften” bestellt ist. Dazu müssen wir zunächst einmal wissen, was man unter "Wissenschaft” versteht, und wo deren Abgrenzung gegenüber den Begriffen "pseudowissenschaftlich” und "Parawissenschaften” liegt.

Einer der professoralen ,,Champions” der GWUP trifft die salomonische Feststellung: ,,Es stellt sich heraus, dass der Begriff ,Wissenschaft’ in unterschiedlicher Weise gebraucht wird[13].

Befragen wir dazu zwei verbreitete Wörterbücher: den deutschen DUDEN [14] und den englischen COLLINS [15]! Nach dem DUDEN ist Wissenschaft ,,argumentativ gestütztes Wissen hervorbringende forschende Tätigkeit in einem bestimmten Bereich”. Das trifft die Sache nicht übel. Man beachte, dass bei dieser Definition nicht von ,,gesichertem Wissen”, sondern lediglich von ,,argumentativ gestütztem Wissen” gesprochen wird! Allzu oft wird uns nämlich etwas, das genau genommen nur Spekulation, These oder ,,majority opinion” ist, als wissenschaftlich erwiesene Tatsache ,,verkauf [16]t“. Beispielsweise der Darwinismus [17] oder die Lehre vom ,,Großen Eiszeitalter“ [18]. Es ist dringend notwendig, dass wir uns gegen dieses - voreilig ,,Weltbilder” zementierende - ,,Gewerbe” zur Wehr setzen!

Beim COLLINS ist die Lage etwas anders, weil das englische ,,science” sowohl das deutsche ,,Wissenschaft” im allgemeinen, als auch speziell die Naturwissenschaften bedeuten kann. Wir entnehmen daher dem COLLINS folgende zwei Definitionen (Übers. v. Verf.):

a) Das systematische Studium von Natur und Verhalten des materiellphysikalischen Universums, beruhend auf Beobachtung und messendem Experiment, respektive das so erhaltene Wissen;

b) jeglicher Korpus auf systematische Weise organisierten Wissens.

Wobei wiederum ,,Wissen” (,,knowledge“) vom COLLINS, nicht unzutreffend, als ,,Gelehrtheit” (,,erudition or informed learning”) definiert wird. Gelehrtheit braucht jedoch, wie wir alle wissen, nicht notwendigerweise in ,,gesichertem Wissen” bestehen! Gelehrte haben sich schon oft geirrt, sind schon oft, über längere Zeit hinweg, einem vermeintlich gesicherten, später aber als falsch erkannten ,,Paradigma“ [19] nachgelaufen.

Entgegen der von der GWUP ,,offiziell”, in ihrer Selbstdarstellungsbroschüre verbreiteten Meinung erscheint es also - unter Berücksichtigung solcher ,,Wissen”-Definition - sowohl nach dem DUDEN, als auch nach der COLLINS-Definition b), durchaus legitim, beispielsweise Homöopathie oder Astrologie als Wissenschaften zu bezeichnen!

Allerdings ist die Astrologie, obwohl sie einen ,,exakten” mathematisierten und einen - umstrittenen! - empirischen Teil besitzt, keine ,,exakte Naturwissenschaft” im heute so verstandenen Sinne. Deshalb geht auch eine im SKEPTIKER an ihr geäußerte Kritik [20] teilweise daneben. Viel mehr Verbindung hat sie zur - ebenfalls noch stark umstrittenen - Psychologie. Allen ihren offenkundigen Schwachstellen zum Trotz ist aber der Status der Psychologie als einer universitären Wissenschaft heute unbestritten.

Damit man mich bei der GWUP nicht missverstehen möge: ich habe nichts dagegen, dass die derzeitige Astrologie, Homöopathie, Pendeln und Rutengehen, Präastronautik und sonstige von der GWUP als ,,parawissenschaftlich” eingestufte außeruniversitäre Forschungsgebiete kritisch hinterfragt werden. Das dient der Sache. Ich muss aber darauf hinweisen - dessen ist sich nämlich die große Mehrheit unserer studierten Wissenschaftler nicht bewusst! -, dass die Frage, was noch ,,wissenschaftlich” ist, respektive ab wo man bereits von „parawissenschaftlich” oder ,,pseudowissenschaftlich” sprechen sollte, das große Problem der Wissenschaftsphilosophie par excellence darstellt.

Mit einer Unterscheidung zwischen an den Universitäten etablierten Wissenschaften und außeruniversitären Forschungsgebieten kommen wir auch nicht weiter. Auch ist das von Land zu Land verschieden. Zu Freuds Zeiten wurde die Psychologie vermutlich von den meisten Professoren als Pseudowissenschaft betrachtet, heute gibt es Lehrstühle für sie. Raumfahrt-Technologie, bis zum 2. Weltkrieg als phantastischer Unsinn verlacht, ist heute ein normales Studienfach an unseren Technischen Universitäten. Der Katastrophismus des großen Cuvier - eine der Vatergestalten der Geologie! - kehrt erst heute wieder an unsere Universitäten zurück, von denen er 150 Jahre lang, unter dem Einfluss des lyellschen ,,Aktualismus” (mehr Ideologie als Wissenschaft) verbannt war. Die Alchemie könnte ein Parallelfall werden.

Aber, hört man oft, die Methoden der Wissenschaft sind doch ganz andere, als die der ,,Parawissenschaften” (um bei diesem Begriff zu bleiben)! Diejenigen, die so denken, sind ganz offensichtlich von den ,,exakten Naturwissenschaften”, speziell der Physik, geprägt. Es werden an unseren Universitäten aber nicht nur die ,,exakten Naturwissenschaften” gelehrt, sondern auch Dinge wie Geologie, Vorgeschichte, Linguistik, Paläontologie, Volkswirtschaftslehre, Psychologie und Anthropologie. Was etwa ein Physiker von deren Methoden teilweise halten wird, lässt sich ahnen! Man denke etwa an die zahllosen ,,Rassen”-Theoretiker der Anthropologie. Jeder dieser Gelehrten behauptet etwas anderes, unterscheidet nach anderen Kriterien soundso viele, vermeintliche ,,Rassen” der Menschheit. Ist das nicht auch ,,Scharlatanerie”? Trotzdem sind das alles universitäre Wissenschaften!

Abb. 3 Der kanadisch-amerikanische 'Zauberkünstler' James Randi, eine 'Ikone' der Pseudoskeptiker-Szene, führt seinem Publikum 'übersinnliche Chirurgie' als Taschenspieler-Trick vor. Mit einer ernshaften Abgrenzung zwischen außenseiterischer Wissenschaft und Scharlatanerie haben solche Kunststücke nichts zu tun.

Wo ist die Abgrenzung zwischen Wissenschaft und Scharlatanerie? Nach dem DUDEN ist Scharlatanerie das Hinters-Licht-Führen anderer, indem man bestimmte Fähigkeiten vortäuscht. Nach dem COLLINS, indem man bestimmtes Wissen vortäuscht. Wir alle wissen, welches Unheil es angerichtet hat, dass ideologieverblendete Gelehrte behauptet haben, sie hätten das Wissen und die Fähigkeit, verschiedene ,,Rassen” der Menschheit nach wissenschaftlichen Kriterien streng zu unterscheiden. Dieses Riesen-Unheil ging von der Schulwissenschaft aus! Damit verglichen sind die von der GWUP zu Recht angeprangerten Vertreiber unwirksamer ,,Erdstrahlen-Entstörgeräte” etc. wahrlich ,,kleine Fische”.

Nun zu ,,pseudowissenschaftlich” (,,pseudoscientific”)! Was genau besagt das Wort? Der DUDEN definiert es als ,,nur dem Anschein nach wissenschaftlich”.

Der COLLINS-Definition der Vorsilbe ,,pseudo-” zufolge bedeutet es ,,unwissenschaftlich”, ,,vorgeblich wissenschaftlich”.

Umgangssprachlich mag man ja solche Kategorien ruhig benutzen. Aber es vernebelt und verwirrt mehr, als es hilft! Für Zwecke einer wissenschaftsphilosophisch haltbaren Betrachtung sind das leere ,,Worthülsen”, mit denen man allenfalls Anfänger im logischen Denken übertölpelt. Jeder Kenner der Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftsphilosophie kann dergleichen nur mitleidig belächeln.

Es gibt im ,,Establishment” genügend gestandene, hochqualifizierte Wissenschaftler innerhalb der betreffenden Disziplinen, die beispielsweise die heute gerne ,,getragene” Urknall-These (d.h. die ,,Expansion des Weltalls”), den meist zu einer ,,wissenschaftlich erwiesenen Tatsache” hochstilisierten Darwinismus, oder die Menschen-„Rassen” der Anthropologie als unwissenschaftliche, Ideologien geschuldete Spekulationen ablehnen, als Pseudowissenschaft betrachten, auch wenn sie vielleicht nicht offen so sagen. Selbstredend wird zwar deswegen niemand die betreffenden Wissenschaften als - verglichen mit den ,,exakten Naturwissenschaften” - Wissenschaften zweiter Klasse abwerten. Aber hier wird die vermeintliche ,,Kluft” zwischen universitären Wissenschaften und ,,Parawissenschaften” oder ,,Pseudowissenschaftlichem” doch schon merklich weniger klaffend!

Doch nun zum Lieblingsbegriff der GWUP, den sie ja auch in ihren Namen aufgenommen hat, den vorgeblichen ,,Parawissenschaften”! Was soll das sein? In vier Jahrzehnten einschlägiger Studien ist mir das Wort noch nie begegnet. Die großen, verbreiteten englisch- und deutschsprachigen Enzyklopädien - beispielsweise die ENCYCLOPAEDIA BRITANNICA - und Lexika kennen es nicht. Wohl findet man aber dort den Begriff ,,pseudowissenschaftlich”. Eine Rückfrage bei einem Ordinarius für die Geschichte der Naturwissenschaften bestätigte mir diesen Sachverhalt auch ganz aktuell. Die GWUP selbst definiert eine ,,Parawissenschaft” wie folgt [21]:

,,Mit diesem Begriff bezeichnet man Aussagesysteme, bei denen der mehr oder minder starke Verdacht besteht, dass es sich um eine Pseudowissenschaft handelt. Der Verdacht kann sich als richtig oder falsch herausstellen, d.h. es ist auch möglich, dass es sich bei einzelnen Parawissenschaften um Protowissenschaften handelt, also um erst im Entstehen begriffene neue Wissenschaftsdisziplinen”.

Wer ist ,,man”? Wie gesagt, niemand scheint je von dem Wort oder Begriff gehört zu haben. Der Redaktionsleiter des SKEPTIKER, Edgar Wunder, teilte mir dazu mit: ,,Es stimmt aber, dass der (ursprünglich aus dem Englischen stammende) Begriff der ,Parawissenschaften’ sehr jungen Datums ist und sich in der deutschen Sprache erst in den 80er Jahren etabliert hat[22]. Aber zum ,,etabliert”: wie gesagt, niemand kennt ihn! Und so vermute ich mal, dass das Wort, aus Gründen der Polemik-Strategie, von der großen amerikanischen Mutter-Organisation der GWUP, der CSICOP [23], geprägt und von der GWUP übernommen wurde. Deren Ziel es nun ist, das Wort und den zugehörigen Begriff zu verbreiten.

Die GWUP-Definition von ,,Parawissenschaften” ist für wissenschaftliche Zwecke unbrauchbar! Und zwar wegen ihrer Abhängigkeit von dem, wie wir gesehen haben, verschwommenen Begriff der ,,Pseudowissenschaften”, der nur eine leere ,,Worthülse” ist. ,,Doch ein Begriff muss bei dem Worte sein”, mahnt der fahrende Student in Goethes FAUST an!

Der COLLINS verrät uns, dass die Vorsilbe ,,Para-” erstens ,,beyond” (= jenseits, über ... hinaus) bedeuten kann, wozu als Beispiel - entgegen dem GWUP-Verständnis! - ,,Parapsychologie” (= über die Psychologie hinaus) angeführt wird, zweitens aber auch ,,defective” (= fehlerhaft, unvollkommen). Nach dem DUDEN kann drittens ,,Para-” auch ,,gegen” (Paralogie = Vernunftwidrigkeit), ja viertens sogar auch ,,neben” (etwa in Paranthropus, Parasit, Parasympathikus) bedeuten.

Sollen Leserinnen und Leser des GWUP-Materials unter ,,Parawissenschaften” also nun Wissenschaften verstehen, die a) über die üblichen Wissenschaften hinausgehen, b) quasi unvollkommene Vorformen von Wissenschaft sind, c) eine Art ,,Anti-Wissenschaft” darstellen oder d) die ,,offizielle” Wissenschaft als ,,Neben-Wissenschaften” ergänzen (wie paramilitärische Einheiten die regulären Truppen)? Oder alles gleichzeitig?

Besser wäre es vielleicht gewesen, den Begriff von ,,Quasiwissenschaften” einzuführen. Nach dem DUDEN drückt nämlich die Vorsilbe ,,Quasi-” aus, dass eine Sache etwas nahezu, beinahe, in gewissem Sinne, aber nicht ganz wirklich so, ist.

Man sieht: für einen wissenschaftlich denkenden Geist sind dergleichen Wortbegriffe letztlich alle unbrauchbar! Die Abgrenzung des einen vom anderen ist viel zu sehr persönlicher Meinung und Willkür, auch der jeweiligen Weltbild-Ideologie, unterworfen. Es sind keine ,,harten” Kriterien fassbar! Wo geht ein Grießbrei in einen Grießpudding über? Was ist der unterschied zwischen Wolken und Nebel? Hat jenes Objekt eine Kometen- oder eine Planetoiden-Bahn?

Man mag sich drehen und winden wie man will: es scheint in der Tat keine ,,harten”, konkret greifbaren Kriterien zu geben, nach denen man - nicht willkürlich, sondern nachvollziehbar! - ,,Wissenschaften” von ,,Parawissenschaften” oder ,,Pseudowissenschaftlichem” unterscheiden könnte. Ich jedenfalls sehe keine solchen!

Dergleichen Abgrenzungen scheinen mir vielmehr reine Vereinbarungs- oder Anordnungs-Sache (etwa per Ministerialerlass) zu sein. Wenn eine Regierung oder Universitätsleitung morgen einen Lehrstuhl für „Radiästhesie”, ,,Präastronautik” oder „Alchemie“ einrichtet, so sind diese zu universitären Wissenschaften geworden. So einfach ist das!

Man kann also der GWUP nur den guten Rat geben, dass sie von ihrem „Privat-Kreuzzug” und Rundumschlag gegen alles, was sie - wissenschaftlich nicht nachvollziehbar! - für ,,Parawissenschaften”, ,,Pseudowissenschaften” und ,,Scharlatanerie” hält, ablässt und sich erinnert, dass sie ja nicht GESELLSCHAFT ZUR VERBREITUNG EINES BESTIMMTEN WELTBILDES heißt. Sie möge sich darauf beschränken, Fälle von tatsächlichem, ,,wissenschaftlich” bemänteltem Betrug etc. aufzudecken.

Eine andere Möglichkeit wäre es freilich, dass sie ihr skeptisch-kritisches Hinterfragen auch auf die etablierten Schulwissenschaften ausdehnt! Dann wäre sie nämlich hundertprozentig in die Kategorie ,,Wohltäter der Menschheit” einzuordnen. Ob wir darauf aber wohl realistisch hoffen dürfen?

Niemand ist nämlich eine größere Bremse für die Ausweitung des menschlichen Wissens als die verbeamtete, bequem und doktrinär gewordene Schulwissenschaft! ,,Nur ja nicht am Weltbild rütteln!” ist da das oberste Glaubensbekenntnis. Wobei die Sache noch dadurch verkompliziert wird, dass manche Mitglieder des ,,Establishments” wohl nicht mit offenem Visier kämpfen, Objektivität nur vortäuschen, während sie in Wirklichkeit ,,geheime Ziele” verfolgen, nämlich die Verbreitung eines bestimmten Weltbildes. Etwa eines materialistischen [24], oder alternativ eines bibelfundamentalistischen. Besonders aber auch eines ganz bestimmten ,,Szenarios” für die Vorgeschichte der Menschheit! Stichworte dazu: ,,Affenabstammung” und erst späte Menschwerdung während des behaupteten ,,Großen Eiszeitalters” [25].

Aber zum Glück sorgt das Leben dafür, dass man auch in diesen Kreisen gelegentlich unsanft wachgerüttelt wird. Wie beispielsweise soeben mit der Entdeckung einer im Meer versunkenen, uralten Hochkultur mit - an Alt-Südamerika erinnernden! - Stufenpyramiden in südjapanischen Gewässern, nahe Taiwan [26]. Der Schulwissenschaft scheint es darob die Sprache verschlagen zu haben! Scheint es doch, als würde plötzlich ein jahrzehntelang als zur ,,Spinner”-Szene gehörig diffamierter Außenseiter-Gelehrter [27] rehabilitiert.

Abschließend kann interessierten Leserinnen und Lesern durchaus empfohlen sein, einmal einen Blick in die GWUP-Zeitschrift SKEPTIKER in Erwägung zu ziehen. Es kann keinesfalls schaden, die darin sich manifestierende, ganz eigene Gedankenwelt kennen zu lernen. Parallel dazu sollte man aber gleich das enorme Opus des großen Erz-Bespöttelers unserer zeitgenössischen Schulwissenschaft, Charles Fort [28] studieren!


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von Dr. Horst Friedrich © wurde erstmals veröffentlicht in EFODON-SYNESIS Nr. 23/1997. Bei Atlantisforschung.de erscheint er in einer redaktionell bearbeiteten Online-Fassung nach: http://efodon.de/html/archiv/wissenschaft/friedrich/parawissenschaft.htm

Fußnoten:

  1. Anschrift: GWUP e.V., Postfach 1222, D-64374 Roßdorf (Telefon: 06154-695021, Fax: 06154-695022). Der Titel ist: ,,GWUP - Wir stellen uns vor” (Roßdorf 1996).
  2. Bestelladresse wie oben.
  3. Darunter wird eine außeruniversitäre - durchaus nicht unsinnige! - Forschungsrichtung verstanden, die sich mit der Frage einstiger Kontakte zwischen der Erde-Menschheit und extraterrestrischen ,,Götterrassen” beschäftigt. Der ,,Grand Old Man” der Präastronautik ist Erich von Däniken (etwa: ,,Auf den Spuren der Allmächtigen”, München 1993).
  4. Materialistische Schul-Naturwissenschaft und Schulmedizin sind sich darin einig, dass homöopathische Hochpotenzen völlig unwirksam seien, da sich beispielsweise keine Materie der Arnika mehr nachweisen lasse. Allen Einsichtigen ist aber schon längst klar, dass die Wirkung per Information über den ,,feinstofflichen” Energiekörper des Menschen erfolgen muss.
  5. Soeben hat ein Außenseiter mittels rein radiästhetischer (!) Methoden im südlichen Niedersachsen 23 ,,Keltenschanzen” gefunden (Joachim Jünemann: ,,Wo einst der Druide stand...”, Dransfeld 1995). Im Weltbild der GWUP hätte das nie funktionieren können!
  6. ,,GWUP - Wir stellen uns vor”, S. 16
  7. Martin Lambeck: ,,Wissenschaft und Parawissenschaften - Versuch einer Standortbestimmung”, in: SKEPTIKER Nr. 3/1994 (S. 70-76). Gerhard Vollmer: ,,Wozu Pseudowissenschaften gut sind”, in: SKEPTIKER Nr. 4/1994 (S. 94-101).
  8. ,,GWUP - Wir stellen uns vor”, S. 26
  9. ebenda
  10. ebenda, S.24
  11. Zugegebenermaßen ein niemals überzeugend definiertes Gebiet. Dennoch werden unter diesem Etikett hochinteressante Forschungen betrieben!
  12. Vollmer: op.cit., S. 98
  13. Lambeck: op.cit., S. 71
  14. DUDEN Deutsches Universalwörterbuch, 2., völlig neu bearbeitete und erweiterte Ausgabe, Mannheim/Wien/Zürich 1989.
  15. COLLINS Dictionary of the English Language, London/Glasgow 1985.
  16. Hierzu etwa Max Thürkauf: ,,Zum Werk von Joachim Illies”, in: Joachim Illies: ,,Der Jahrhundert-Irrtum”, Frankfurt a. Main 1983.
  17. Hierzu etwa Oskar Kuhn: ,,Die Abstammungslehre. Tatsachen und Deutungen”, Krailling b. München 1965.
  18. Hierzu etwa die auf den Seiten von EFODON SYNESIS (Nr. 14-18/1996) geführte Eiszeit-Diskussion; ebenso von C. G. S. Sandberg: ,,Ist die Annahme von Eiszeiten berechtigt?”, Leiden 1937.
  19. Hierzu vor allem Thomas S. Kuhn: ,,Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen”, Frankfurt a. Main 1967.
  20. Joachim Herrmann: ,,Argumente gegen die Astrologie”, in: SKEPTIKER 2/1995 (S. 45-50). Herrmann ist ein alter Kämpfer gegen die Astrologie. Ich gewann aber den Eindruck, dass sein Verständnis der Astrologie durchaus noch verbesserungsfähig ist! Sein Hinterfragen der Astrologie ist zwar durchaus legitim. Er scheint jedoch mehr die theoretische Polemik zu bevorzugen, keine praktische Erfahrung auf diesem Gebiet zu haben.
  21. ,,GWUP - Wir stellen uns vor”, S. 26
  22. Briefliche Mitteilung v. 23.6.1997
  23. Eine quasi elitäre Organisation! Die Mitgliedschaft steht nicht jedermann offen, sondern die Mitglieder werden hinzugewählt. Näheres bei Murray Gell-Mann: ,,Das Quark und der Jaguar”, München 1994, S. 393-406.
  24. Ein typischer Versuch dieser Art aus letzter Zeit etwa Gell-Mann: op.cit.
  25. Dieser ganze Vorstellungs-Komplex wurde inzwischen widerlegt durch das enorme, höchsten akademischen Anforderungen gerecht werdende Magnum opus von Michael Cremo & Richard Thompson: ,,Forbidden Archeology”, San Diego 1993.
  26. Hierzu etwa von Frank Joseph: ,,Underwater City discovered in Japanese Waters”, in: ANCIENT AMERICAN, No. 17, 1997. Eine deutschsprachige Version (nebst den spektakulären Abbildungen!) findet sich in EFODON SYNESIS Nr. 22/1997.
  27. James Churchward: ,,The Lost Continent of Mu”, London 1959.
  28. Charles Fort: ,,The Books of Charles Fort”, New York 1957.

Bild-Quellen:

1) Bild-Archiv Atlantisforschung.de
2) Kuebi = Armin Kübelbeck (Urheber), bei Wikimedia Commons, unter: File:GWUP 01.jpg (keine Veränderungen) (Lizenz: Creative-CommonsNamensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“)
3) Open Media Ltd (Urheber) bei Wikimedia Commons, unter: File:James Randi demonstrating 'psychic surgery' on ITV series "James Randi, Psychic Investigator".jpg (Lizenz: Creative-Commons, „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international“.)