Die Argonauten - Eine Weltkulturgeschichte des Altertums
Einführung
von unserer Gastautorin Dr. Christine Pellech, Wien
Nachdem die Autorin die nautischen und geographischen Angaben in der Odyssee über die Phönizier auf die Ägypter zurückführen hatte können [1], stellte sich die Frage, ob eine solche Zuweisung auch bei den Argonauten möglich wäre. Dies war leicht durchzuführen. Apollonios von Rhodos, der Dichter dieses Epos, wurde in der Alexandrinischen Bibliothek in Ägypten erzogen. Er schrieb die erste Fassung seines Werkes noch in Ägypten. Wenn nun sein Wissen aus Ägypten stammte, war dann das Goldene Vlies ein echtes Tierfell oder war es ein Synonym für ein verschlüsseltes mythologisches Motiv?
Nach langen Recherchen konnte folgender Schluss gezogen werden: In der Auffassung der altägyptischen Mystik ist das Fell ein Symbol für das Zwischenstadium zwischen Tod und Wiedergeburt. Der Widder stellt Ba, die geistige Kraft, dar. Die goldene Farbe des Fells ist ein weiterer Hinweis auf die Sonne.
Da das Bestreben der Alten Ägypter dahin ausgerichtet war, im Jenseits weiterzuleben, d.h. im Jenseits wiedergeboren zu werden, erlangten die Argonauten im Verständnis der Ägypter durch den Diebstahl des Goldenen Vlieses, welches die tägliche Wiedergeburt des Sonnengottes symbolisiert, das ewige Leben. Weil aber das goldene Widderfell nichts Reales, sondern ein verschlüsseltes Motiv altägyptischen Denkens darstellt, konnte das Vlies in Wirklichkeit nicht geraubt werden. Welche Aussage liegt daher dieser Fahrt zugrunde?
Die Reise der Argonauten ist für den griechischen Dichter bloß eine übergeordnete Rahmenhandlung. Die gesamte Weltkulturgeschichte des Altertums sollte auf diese Weise zusammenhängend dargestellt werden: Das über Jahrhunderte und sogar Jahrtausende gesammelte Wissen über die verschiedenen Kontinente mit ihren Ländern und Völkern genauso wie über die verschiedenen Ozeane und über die seefahrtstechnischen Möglichkeiten einer Überquerung.
Die Voraussetzung für diese Art der Darstellung des Goldenen Vlieses ist die Kenntnis der Kugelgestalt der Erde, jenes ältere Weltbild, das den Ägyptern sehr wohl geläufig war. Das jüngere Weltbild der Erdscheibe, nach dem die Griechen jedoch die Interpretation des Goldenen Vlieses auslegten, lässt folgenden Schluss zu: "Im Lande Kolchis, einer Landschaft am Ostende des Schwarzen Meeres, liegt an den Ufern des Phasis, eines Flusses, der nach Berichten griechischer Seefahrer vom Kaukasus ins Schwarze Meer mündet, das Land und die Stadt Aia. ... In der ältesten Überlieferung hatte Aia mit Kolchis nichts zu tun. Aia ist im Grunde eine Art jenseitiges, mythisches Land, das man sich fern im Osten, irgendwo an den Ufern des Schwarzen Meeres, vorgestellt hatte" [2]. "Nach den griechischen Quellen und offenbar auch nach etruskischer Vorstellung ist das Vlies eines besonderen Widders oder Schafes für seinen Besitzer ein heilkräftiger - Glück und Fruchtbarkeit garantierender - Fetisch, der die Herrschaft, bzw. das Königtum gewährleistet. Nach dem Telepinu-Mythos ist das Vlies eines Widders ein heilsgeladener, vergöttlichter Gegenstand, der wie ein Vegetationsgott verstanden werden kann, und dessen Fruchtbarkeitskräfte das Königtum gewährleisten" [3] "Übertragen wir die Bedeutung des Widderfells für das hattische Königtum auf das Goldene Vlies in Aia, so wird Aietes' Weigerung, das Vlies zu vergeben, verständlich, wäre dies doch einer Aufgabe seines Königtums gleichgekommen" [4]
Der Schlüssel für den Ausgangspunkt der Argonautenfahrt liegt in der Odyssee. Im Kapitel über die Nymphe Kalypso, deren Wohnsitz die Autorin in Südarabien festlegen konnte, gibt Homer den entscheidenden Hinweis, indem er diese Halbinsel als den 'Nabel des Meeres' bezeichnet. In der ägyptischen Mystik bedeutet der Nabel den Uranfang des Menschen. Der 'Nabel des Meeres' stellt daher den Beginn der Kontakte des Menschen mit dem Meer dar, demnach den Beginn der Seefahrt. Da die Argonautensage Weltkulturgeschichte ist, beginnt die Fahrt der Argo in jener Gegend, wo nach Ansicht der Ägypter das Seefahrtswesen seinen Ausgang nahm. Apollonios von Rhodos weist darauf hin, daß Jason im Fluss einen Schuh verliert und die Argonauten durch eine Meerenge fahren. Da die Autorin den Fluss als Euphrat oder Tigris und die Meerenge als die Straße von Hormus identifizieren konnte, liegt der Beginn der Argonautenfahrt in Mesopotamien. Aus dem Zwischenstromland sind uns auch die ältesten Beschreibungen der Seefahrt erhalten.
An dieser Stelle sei besonders betont, daß Apollonios von Rhodos drei verschiedene Reisen zur Fahrt der Argonauten zusammengesetzt hat. Die erste Reise ist eine Weltumsegelung nach Osten, die zweite eine Weltumsegelung nach Westen, wie sie bereits Homer in seiner Odyssee aufgezeichnet hat. Die dritte Reise stellt eine dürftig geschilderte Umsegelung Afrikas dar. Diesen Fahrtabschnitt finden wir auch in einer Beschreibung von Herodot wieder: Die Phönizier umrunden Afrika im Auftrag des Pharao Necho. Die Reise nach Westen ist identisch mit der Odyssee und wurde bereits oben erläutert. Daher soll im folgenden der erste Abschnitt der Argonautenfahrt ausführlich behandelt werden, nämlich die Weltumsegelung in östlicher Richtung.
Wie bereits gesagt, liegt der Ausgangspunkt dieser Reise in Mesopotamien. Die Fahrt führt durch den Persischen Golf zu einer Meerenge, der Straße von Hormus. Nachdem die Argonauten den Indischen Ozean erreicht haben, segeln sie die asiatische Küste entlang nach Indien. Dies ist wohl einer der ältesten Handelswege der Menschheit. Dieser Fahrtabschnitt ist durch viele Ortsnamen und Küstenangaben beschrieben. Die Route war sicherlich in alten Karten eingezeichnet, ist aber heute nicht mehr nachvollziehbar. In einem späteren Textabschnitt erwähnt Apollonios die "durchrauschten Wasserschluchten des Ossa und Olympos". Durch diese Beschreibung kann auf die Zuflüsse des Indus aus dem Himalaya geschlossen werden. Frühe Handelsbeziehungen zwischen Mesopotamien und der Industalkultur sind durch Siegelfunde archäologisch nachgewiesen. [5]
Auf der nächsten Station, der Insel Lemnos, können die Schiffer die Spitzen des Thrakischen Athos sehen, worunter der Himalaya zu verstehen ist. Herodot berichtet von Thrakien, dem Land der Skythen, daß es im Westen von Vorderindien begrenzt und im Süden und Osten von der See umgeben ist. Die Argonauten müssen, um weiter nach Osten zu gelangen, Vorderindien umrunden. Dabei treffen sie auf die heilige Insel der Elektra. [6] Hier handelt es sich um ein am Äquatorkanal gelegenes Eiland der Malediven-Gruppe, denn die dort blühenden Hochkulturen verehrten die Sonne und hielten mit Sicherheit den Bereich des Äquators für besonders heilig. Die Argonauten segelten deswegen vom Industal zu den Malediven, weil zwischen beiden Regionen seit altersher Handelsbeziehungen bestanden, wie Thor Heyerdahl nachweisen konnte. Er fand im Museum von Lothal eine große Zahl von Kaurimuscheln, woraus mit Sicherheit zu schließen ist, daß Seefahrtsbeziehungen zwischen der Industalkultur und den Malediven bestanden haben. Und warum? Die Kaurimuschel kommt nur auf den Malediven vor und kann nur von dort verhandelt worden sein. Außerdem fand Thor Heyerdahl auf den Malediven unter Wasser Scherben von jungsteinzeitlicher Töpferware, die aus dem Gebiet des Südchinesischen Meeres, der Malaiischen Halbinsel und der Philippinen stammt und in die Zeit vor 2000 v.Chr. datiert wird.
Diesen alten Handelswegen folgend fahren die Argonauten von Indien nach Osten und erreichen die Chersones, die Herodot als ein Gebirge beschrieben hat, das von der Südostecke Asiens ins Meer vorspringt und daher der Malaiischen Halbinsel gleichzusetzen ist. Diese Fahrt gelang trotz großer Schwierigkeiten.
Die nächste Station, welche die Argoschiffer anlaufen, ist die vor Phrygien gelegene Insel der Dolionen. Diese Insel entspricht dem heutigen Formosa, das China vorgelagert ist. Herodot beschreibt in seinen Büchern die Wanderung der Phryger, die sich zuvor Briger nannten und von Europa quer durch Asien bis nach China vordrangen.
Von dort gelangen die Argonauten zu den Bebrykern, worunter die Bewohner Japans zu verstehen sind. Im Konjiki, der ältesten japanischen Reichsgeschichte, kann sogar die Kampfsitte wiedergefunden werden, die auch im Epos der Argonauten beschrieben wird: Jeder, der seinen Fuß auf das Land der Bebryker setzte, musste sich mit dem König im Kampfe messen. Aus diesen Kämpfen läßt sich wahrscheinlich das traditionelle Sumo-Ringen ableiten. Im Gegensatz zum Konjiki wird in der Argonautensage der König der Bebryker im Kampfe getötet.
In der Folge überqueren die Argonauten eine Meerenge, welche im Epos als Bosporos bezeichnet wird. Wie die Autorin in ihrem Buch nachweisen konnte, ist damit die zwischen Asien und Amerika gelegene Beringstraße gemeint. Ihr nächstes Ziel ist der Seher Phineus. Sein Wohnsitz ist genau geschildert. Phineus lebt am Meer vor einem Gebirge, das steil in den Himmel ragt. Auf diesem wohnen die Harpyien, jene Vögel, die Phineus stets seines Essens berauben. Die Argonauten befreien ihn von dieser Plage. Zum Dank dafür sagt er ihnen ihre weitere Fahrt voraus. Besonders interessant ist die Aussage, daß das Volk, bei dem Phineus lebt, dem Sirius opfert. Damit kann die Heimat des Phineus lokalisiert werden: Das hohe Gebirge mit den Harpyien sind die Anden mit den großen Greifvogelkolonien. Der Stern, dem das Volk opfert, ist der Sirius. Dieser ist von der Erde aus gesehen der hellste Stern und wurde auch von den Ägyptern verehrt. Er steht auf dem 22. Grad südlicher Breite genau im Zenit.
Phineus weist die Argonauten an, ihre Fahrt durch die Symplegaden, die Klappfelsen, fortzusetzen. Die Symplegaden der Argonauten entsprechen den Plankten der Odyssee - der Straße von Feuerland, auch Magellanstraße genannt. Nach der Umsegelung von Südamerika gelangen die Argonauten mit der Westwind-Drift an die Westküste Afrikas. Gemäß der Anweisung des Phineus "das Festland muß rechts sein" segeln sie diese Küste entlang nach Norden und erreichen bei Nordafrika die südliche Passat-Drift. Diese führt sie nach Brasilien, wo sie einen gebührenden Abstand von den der Küste vorgelagerten Riffen einhalten, vor denen sie Phineus eindringlich gewarnt hatte. Dieser Abschnitt der brasilianischen Küste ist identisch mit dem Land der Sirenen in der Odyssee. Die Argonauten segeln die Küste Amerikas entlang nach Norden und treffen im St. Lorenz-Stromtal auf die Mariandyner. In diesem Gebiet wiederum liegt der in der Odyssee geschilderte Eingang in die Unterwelt.
Der weitere Weg führt die Helden wieder nach dem Süden die amerikanische Küste entlang zum Thermodon - dem Amazonas. "Dem Thermodon ist kein Fluss vergleichbar, denn keiner sendet aus sich verteilt ins Land so viele Gewässer". Da in diesem Flusssystem unter anderen drei Amazonenstämme mit mutterrechtlicher Kultur leben, wird dieses Gebiet im Epos auch das amazonische genannt. Die Fahrt geht weiter an die Küste des heutigen Argentinien zum Rio de la Plata und von dort zum Rio Paraná. Hier liegt Kolchis, wo sie das Goldene Vlies rauben.
Sie fliehen zunächst nach Süden und segeln wieder mit der Westwind-Drift nach Afrika. Diesmal umschiffen sie das Kap der Guten Hoffnung und gelangen durch den Indischen Ozean zur Straße von Hormus am Persischen Golf. Dort endet die Weltumsegelung in östlicher Richtung.
Da aber Jason und Medea nach dem Brudermord noch Sühne schulden, müssen die Argonauten entsprechend einem göttlichen Befehl Kirke aufsuchen, welche auf den Lofoten nördlich des Polarkreises vor Norwegen wohnt. Sie umsegeln daher Afrika, folgen der europäischen Westküste nach Norden und erreichen die Zauberin Kirke. Hier liegt ein weiterer Berührungspunkt mit der Odyssee, einer Weltumsegelung in westlicher Richtung, die beim Phäakenkönig Alkinoos in Ägypten endet. Von den Ägyptern ist uns durch Herodot eine kurze Beschreibung einer Umsegelung Afrikas überliefert.
Aus dem oben Gesagten folgt, dass sowohl das Epos der Argonauten wie auch die Odyssee das gesammelte Wissen des Altertums über die verschiedenen Kontinente mit ihren Ländern und Völkern sowie über die verschiedenen Ozeane enthalten. Die Griechen haben uns dieses Wissen zwar übermittelt, konnten es aber nicht verstehen. Das Hintergrundwissen, das die Autorin hier offenlegen konnte, zeigt uns ein über Jahrtausende zusammengetragenes Mosaikbild der alten Ägypter von der Erde.
Die genauen Ausführungen der Fahrt der Argonauten finden Sie in meinem Buch "Die Argonauten – Eine Weltkulturgeschichte des Altertums". [7]
Weitere Bücher der Autorin, die dieses Thema betreffen:
- „Die Odyssee – Eine antike Weltumsegelung“, Verlag König (2011)
- „Die Entdeckung von Amerika: Der Kulturdiffusionismus in neuer Sicht“, Band 1 und Band 2, Verlag König, 2013 (Im Druck - demnächst erhältlich)
Anmerkungen und Quellen
Einzelverweise:
- ↑ Red. Anmerkung: Siehe dazu bei Atlantisforschung.de: "Die Odyssee - Eine antike Weltumsegelung (Einführung)" von Dr. Christine Pellech
- ↑ Quelle: Volkert Haas, "Geschichte der hethitschen Religion", in: Handbuch der Orientalistik, 15. Band, Köln 1994, S. 243
- ↑ Quelle: ebd., S. 247
- ↑ Quelle: ebd., S. 249
- ↑ Red. Anmerkung: Zu den alten Handelsbeziehungen zwischen Indien, Mesopotamien und Ägypten siehe bei Atlantisforschung.de: Sushama Londhe, "Ägypten und das alte Indus-Empire"
- ↑ Red. Anmerkung: Bei dieser Elektra - nicht identisch mit der bekannteren, mykenischen Elektra - handelte es sich nach Hesiod um eine Tochter des Atlas und der Okeanide Pleïone, also um eine der Atlantiden. In der Argonautika (1,916) bezeichnet Apollonios von Rhodos ihre Insel konsequenter Weise auch als die "Insel der Elektra Atlantis" (Quelle)
- ↑ Siehe:
Christine Pellech, „Die Argonauten – Eine Weltkulturgeschichte des Altertums“, Verlag König (2011)
Bild-Quellen:
(1) Badseed bei Wikimedia Commons, unter: File:Constantine Volanakis Argo.jpg
(2) Magnus Manske bei Wikimedia Commons, unter: File:Middle East topographic map-blank 3000bc crop.svg (Bildbeabeitung durch Atlantisforschung.de)
(3) NASA / Head bei Wikimedia Commons, unter: File:Straße von Hormuz.jpg
(4) Sushama Londhe, atributetohinduism.com, unter: India_and_Egypt (nicht mehr online; siehe jetzt das Buch: A Tribute to Hinduism)
(5) Per Honor et Gloria bei Wikimedia Commons, unter: File:JomonStatue.JPG
(6) [] bei Wikimedia Commons, unter: File:Calaïs et Zétès délivrent Phinée des Harpies.jpg (7) Marie-Lan Nguyen bei Wikimedia Commons, unter: File:Jason Pelias Louvre K127.jpg