Die Säulen des Herakles und ein umstrittener Sarkophag
von unserem Gastautor Ferdinand Speidel
Die Säulen des Herakles werden üblicherweise mit den Felsen beiderseits der Straße von Gibraltar identifiziert. Allerdings wurden sie auf der Suche nach dem geheimnisvollen Atlantis aus Platons Bericht des Öfteren schon an andere Orte verlegt, am häufigsten wohl ins Mittelmeer, weil es dort Örtlichkeiten gibt, die gewisse Ähnlichkeiten mit Platons Atlantis haben.
Im Jahr 1940 erschien ein Buch, das zum Thema Atlantis sehr großes Intteresse erweckte, und es gilt auch heute noch als eines der Standardwerke. Der Titel des Buches lautet: „The Shadow of Atlantis“, geschrieben von Alexander Braghine, der 1878 in Moskau geboren wurde und nach der russischen Oktober-Revolution zunächst nach England, später nach Brasilien auswanderte. In seinem Buch publizierte er eine Reihe bis dato unbekannter oder unbeachteter Fakten.
Unter anderem befasste er sich auch mit den Säulen des Herakles und weist dabei auf geologische Veränderungen hin, die auch in Mythen Widerhall finden. Er geht davon aus, dass Afrika und Europa über eine lange, erdgeschichtliche Zeit miteinander verbunden waren, zwischen beiden Kontinenten erstreckte sich zu jener Zeit das nur von Flüssen gespeiste Mittelmeer. Dieses Szenario wird übrigens von René Malaise in seinem Buch „Atlantis, eine geologische Wirklichkeit“ [1] sehr ausführlich dargelegt. Nach Meinung Braghines geschah die Trennung beider Kontinente durch die Bildung der Straße von Gibraltar zu einer Zeit, als der Mensch bereits eine hohe Kulturstufe erreicht hatte, und der die Erinnerung daran in der Herakles-Sage von der Teilung der ihm zugeschriebenen Säulen hinterließ.
Braghine verweist darauf, dass sich die Straße von Gibraltar noch immer ausweiten würde und stützt sich dabei auf Aussagen der Antike. Noch im 5 Jahrhundert wurde demnach die Breite der Meerenge mit einer halben Meile angegeben, um 400 v.Chr. nannte der Schriftsteller Euton eine Breite von 4 Meilen; Turiano Greslio erwähnte um 300 v.Chr. 5 Meilen, Titus Livius gab sie um die Zeitenwende mit 7 Meilen an, Victor Vitensa um 400 n.Chr. mit 12 Meilen, die aktuelle Angabe (um 1940) liegt bei 15 Meilen.
Abb. 2 Herkules beim Öffnen der Straße von Gibraltar auf der Seite eines angeblich
gefälschten alten Sarkophags (Bild: Archaeological Institute of America)
Als weitere Bestätigung nennt Braghine ein Bild (Abb. 2), das die Teilung der Säulen durch Herakles zeigt und sagt dazu: „Ich betrachte das berühmte Bild in Tarragona als Beweis dieser Hypothese. Dieses Bild wurde im vorigen [dem 19.; F.S.] Jahrhundert an den Wänden eines sehr alten Mausoleums gefunden und von dem Archäologen Buenaventura Hernandez untersucht. Es stellt die Sternenkonstellation des Krebses zur Zeit der Sommersonnenwende dar und unter dem Zeichen des Krebses den König Herakles. Durch eine mächtige Bewegung seiner Arme teilt er die Felsen der Enge: Bei dem europäischen Felsen Calpe sind ein Hahn und ein Kaninchen abgebildet, die für Spanien charakteristisch sind, und bei dem gegenüber liegenden Felsen Abila, die Figuren des Ibis und des Skorpions, typisch für Marokko.“ [2]
Braghine zitiert einen spanischer Schriftsteller, Rafael Urbino, der ebenfalls das Bild von Tarragona untersucht hatte. Er sieht das Bild im Zusammenhang mit der Aufgabe Herakles´, die goldenen Äpfel der Hesperiden zu beschaffen. Nach alten iberischen Überlieferungen habe Herakles bei der Erledigung dieser Aufgabe zwei weitere große Taten vollbracht, er habe Europa von Afrika getrennt, und er habe den Lauf des strahlenden Sonnenwagens von Phoebus für eine Zeit angehalten.
Zu dem erwähnten Bildnis gibt es eine Veröffentlichung des „Archaeological Institute of America“ (2009) [3] Dort heißt es: „Der >Hercules Sarkophag< ist schnell entlarvt [sic; d.Red.], aber 60 Jahre taucht ein Fragment als in einer prominenten, akademischen Zeitschrift als authentisch auf. Am 9. März 1850 fanden Arbeiter beim Herausbrechen von Steinen für ein Hafenprojekt in Tarragona, Spanien, einen Marmorsarkophag mit seltsamen Gravierungen und Inschriften. Sie hatten den Sarkophag zerbrochen, bevor sie die Darstellungen darauf bemerkten. Aber der lokale Antiquar Don Buenaventura Hernández y Sanahuja sammelte und prüfte die übrig gebliebenen Stücke.
Auf einer großen Platte steht Herkules mit gespreizten Beinen über der Straße von Gibraltar, über seinem Kopf ist der Bogen eines Zodiaks. Rechts von ihm bewegen sich ein Zug von Kolonisten und ihre Tiere von Ägypten (identifizierbar durch ein Krokodil und Palmen) nach Spanien. Diese Bilder schienen gut mit den Sagen über Herkules übereinzustimmen.
In seiner zehnten Arbeit, bei der er die Rinder des dreiköpfigen Ungeheuers Geryon (Abb. 3) stiehlt, spaltete Herkules einen Berg beim Übergang von Afrika nach Europa entzwei und öffnete damit die Straße von Gibraltar und schuf die Säulen des Herakles.
Antike Autoren bewahren andere Überlieferungen, die den griechisch-römischen Helden mit dem phönizischen Gott Melquart als >ägyptischen Herkules< verschmelzen. Sie sagen, Herkules führte eine Armee nach Spanien und starb dort (nach Sallust), und seine Gebeine wurden in Gades, dem antiken Cadiz, beerdigt (Pomponius Mela).
Die Abbildungen des Sarkophags deuteten eine kulturelle Verbindung zu Herkules und dem Land der Pharaonen an, etwas, was die spanischen Patrioten des 19. Jahrhunderts erfreute. Hernández Sanahuja (Abb. 4) behauptete, die Hyksos seien nach Spanien gezogen, nachdem sie aus Ägypten vertrieben worden waren und erbauten die frühen Mauern von Tarragona. Die Ägypter verfolgten sie jedoch und verbündeten sich mit den Eingeborenen gegen die Hyksos. Das Grabmal wurde >hergestellt, um die Überreste des Führers, der die ägyptischen Kolonisten nach Spanien brachte, zu bewahren, oder vielleicht die eines seiner Nachkommen.< (zitiert aus: Padró i Parcerisa 1980) [4]
>Diese Theorie, die übereinstimmt mit spanischen Überlieferungen, mit der Theogonie und Mythen der Ägypter, mit den antiken Autoren und Geographen, und schließlich mit der allgemeinen Geschichte aller Völker der Mittelmeerküsten, und die durch diese Fragmente des Sarkophags ausdrücklich bestätigt wird, ist er nichtsdestotrotz [Zielscheibe] der modernen Kritiker, die uns um unseren Ruhm und den Rang der iberischen Zivilisation in Europa beneiden, sie versuchen durch Spitzfindigkeit eine Tatsache zu leugnen, die nicht bezweifelt werden kann, wie ich nachwies< (zitiert aus: Padró i Parcerisa, 1980).“ [5]
Patriotischer Eifer?
Unter diesem Zwischentitel [6] heißt es bei ARCHAEOLOGY weiter: "Gelehrte außerhalb Spaniens lehnten sie schnell als offenbaren [sic; d.Red.] Schwindel ab (E. Hübner, Die antiken Bildwerke in Madrid, 1862). Die einem Cartoon ähnelnden Gravuren sind am besten bei einem Fragment sichtbar, das einen Gott mit Elefantenkopf zeigt (Abb. 5), der einen Kilt trägt und eine Mumie im Rüssel hält, während er auf einem Boot mit einer Eule steht. Seltsam genug, erscheint ein Ushabti oder Diener-Figurine, die von Hernández Sanahuja veröffentlicht wurde, wie in einem ägyptischen Grab gefunden, als authentisch, >obwohl von wo weiß der Himmel hergebracht< (Padró i Parcerisa 1980)." [7]
War Hernández Sanahuja für den Sarkophag mit seinen grob ausgeführten Gravuren und Inschriften verantwortlich? Und legte möglicherweise ein echtes Ushabti dazu? Vielleicht nicht. Seine Schrift „Resumen historico-critico der Stadt Tarragona“ ist vergriffen, weil er jede Kopie, der er habhaft werden konnte, vernichtete (Moffit 1994).“ [8]
„Trotzdem genoss ein Stück des Sarkophags fast 60 Jahre später ein zweites Leben. 1916 publizierte A.L. Frothingham einen Artikel im 'American Journal of Archaeology' und verwendete dabei ein Endstück des Sarkophags als Beweis phönizischer Ikonographie. Die phönizische Tafel von Tarragona, wie er das Fragment nannte, zeigte zwei Figuren, Mann und Frau, die zwischen zwei Palmen standen und schlangenähnliche Figuren auf jeder Seite hatten. (>The Phoenician Tablet of Tarragona<).
Frothingham interpretierte die beiden Figuren als Baal und Tanit, zwei Gottheiten des phönizischen Pantheons und Quellen anderen Lebens, und behauptete, dass die spiralenförmige Masse zwischen beiden Figuren ein mit Feuer und Wasser von ihnen genährten Embryos sei. Und obwohl klar ist, dass er vom Ursprung des Stückes wusste (also: >aus Tarragona<), scheint es, dass er die genaue Herkunft nicht kannte, denn er beschreibt das Fragment als Teil eines kreisförmigen Artefakts und nicht als Teil des falschen Sarkophags. 1921 veröffentlichte Pierre Paris in der 'Revue archéologique' einen vernichtenden Kommentar, und bezeichnete den Sarkophag als nichts weiter als eine >kindliche Parodie< ägyptischer Kunst.
Der Sarkophag von Tarragona ist eindrucksvoll, aber nicht weil er technologisch komplex oder weil er lange Zeit für echt gehalten wurde. Er zeigt wie Nationalismus die Vergangenheit betrachten kann – oder sie sogar verfälschen kann [sic!; d. Red.] – auf der Suche nach kraftvollen Symbolen, in diesem Fall, um Spanien mit dem Ruhm des antiken Ägyptens zu verbinden.“ [9]
Leider gibt der Artikel keine nähere Auskunft über Ort und Umstände des Fundes, und ob die „grobe Ausführung der Gravuren und Inschriften“ der einzige Grund der ablehnenden Haltung durch die Wissenschaften war. Wurde er tatsächlich bei Steinabbauarbeiten gefunden, so stellt sich die Frage: Wäre es nicht ein erheblicher Aufwand für einen Fälscher, einen solchen Sarkophag herzustellen und zu vergraben, damit ihn Arbeiter dann wieder freilegen? Haben nicht viele andere Fundstücke ein ähnliches Schicksal erfahren?
Anmerkungen und Quellen
Dieser Beitrag von Ferdinand Speidel (©) wurde im November 2013 für Atlantisforschung.de erstellt.
Fußnoten:
- ↑ Im Original: Reneé Malaise, "Atlantis, en geologisk verklighet: jordskorpans rörelser, deras orsaker och verkningar. Nya rön och åsikter ...", Stockholm, 1951
- ↑ Quelle: Alexander Braghine, "The Shadow of Atlantis", Adventures Unlimited Press, 1997, S. 139
- ↑ Siehe: Brittany Jackson und Mark Rose, Tarragona Two-Step, bei: ARCHAEOLOGY - A publication of the Archaeological Institute of America (Archive), 2009
- ↑ Red. Anmerkung: Jackson und Rose liefern online kein Literaturverzeichnis zu ihrem Artikel, was eine Überprüfung ihrer Angaben nicht gerade erleichtert. Vermutlich beziehen sie sich in ihrem Zitat auf: Josep Padró i Parcerisa, "Egyptian-type documents from the Mediterranean littoral of the Iberian Peninsula before the Roman conquest", Leiden (Niederlande), offenbar zwei- oder mehrbändig; in mehreren Ausgaben erschienen von 1980 bis 1985 (1980: ISBN 9004061339)
- ↑ Quelle: Brittany Jackson und Mark Rose, op. cit. (2009); Übersetzung ins Deutsche durch F. Speidel; Red. Anmerkung: Josep Padró Parcerisa (PhD) ist ein spanischer (Kunst-)Historiker und Archäologe. Er hat Professuren mit dem Schwerpunkt Geschichte und Alte Geschichte an folgenden Universitäten vorzuweisen: Autonome Universität von Barcelon (UAB), Universität Barcelona, Universität Lissabon und an der Nationalen Fernuniversität Spaniens in Madrid. Josep Padró Parcerisa hat zahlreiche archäologische Ausgrabungen geleitet, z.B. in Oxyrhynchos sowie in Herakleopolis, und er ist Mitglied mehrerer ägyptologischer und altorientalistischer Institute und Gesellschaften. (Quelle: Wikipedia - La enciclopedia libre, unter: Josep Padró; abgerufen: 18.11.2013)
- ↑ Der dortige Zwischentitel lautet im Original: "??????????Patriotic fervor"; d. Red.
- ↑ Quelle: Brittany Jackson und Mark Rose, op. cit. (2009); Übersetzung ins Deutsche durch F. Speidel
- ↑ Red. Anmerkung: Eine für Pseudoskeptiker typische Spekulation, mit der misslibige Indizien (hier: der Beifund eines offenbar authentischen Uschtebi) eliminiert und Verfechter der Gegenposition (hier: Hernández Sanahuja, der durchaus geschickt - in Form einer Frage mit der vagen Antwort "vielleicht nicht" - als potentieller Betrüger ins Spiel gebracht wird) ins Zwielicht gestellt werden sollen.
- ↑ Quelle: Brittany Jackson und Mark Rose, op. cit. (2009) --- Red. Anmerkung: Der Bericht von Brittany Jackson und Mark Rose (zumindest Rose ist ein bekannter 'Debunker' und militanter Verfechter des archäologischen 'Status quo') zeigt dagegen einmal mehr die völlig einseitig ausgerichtete Betrachtungsweise archäologischer 'Problematica' durch den schulwissenschaftlichen Mainstream ihrer Zunft. Von einem wirklich wissenschaftlichen - unvoreingenommenen und ergebnisoffenen - Umgang mit dem Gegenstand des Berichts sind die beiden AutorInnen dieses tendentiösen Artikels bei ARCHAEOLOGY jedenfalls weit entfernt.
Bild-Quellen:
- 1) Rex bei Wikimedia Commons, unter: File:Strait of Gibraltar 5.53940W 35.97279N.jpg (Bildbearbeitung durch Atlntisforschung.de)
- 2) Brittany Jackson und Mark Rose, "Tarragona Two-Step", bei: ARCHAEOLOGY - A publication of the Archaeological Institute of America (Archive), 2009
- 3) Vassil bei Wikimedia Commons, unter: File:Musée des BA Lyon 260709 09 Géryon.jpg
- 5) Brittany Jackson und Mark Rose, op. cit. (2009)
- 6) ebd.