Volney B. Cushing

Ein Vortragsredner gegen den Alkohol und für Atlantis

Einleitung

Abb. 1 Volney B. Cushing (1856-19??)

(red) Bei jeder Betrachtung der Geschichte der Atlantisforschung [1] und iher Protagonisten stehen zwangsläufig solche Personen im Mittelpunkt des Interesses, die schriftliche Zeugnisse ihrer Beschäftigung mit der 'Königin der Legenden', der platonischen Atlantiserzählung hinterlassen haben, zumal dann, wenn diese Zeugnisse - Bücher, Abhandlungen und Artikel - von anderen Forscher/innen oder in der Presse umfassend rezipiert wurden.

Diejenigen, die dagegen vor Beginn des Zeitalters elektronischer Medien nicht auf das geschriebene, sondern auf das gesprochene Wort zur Wissensvermittlung und -verbreitung in Sachen 'Atlantis' setzten, gerieten zumeist schnell wieder in Vergessenheit und finden heute in den atlantologischen Annalen kaum Beachtung. Einem dieser wortmächtigen und sein Publikum begeisternden, der Nachwelt aber kaum noch bekannten Atlantis-Experten der zweiten Hälfte des 19. und dem Beginn des 20. Jahrhunderts ist dieser Beitrag gewidmet.

Gemeint ist der US-amerikanische Politiker und Vortragsredner Volney Byron Cushing (Abb. 1) (1856-19??) [2], der seinerzeit mit seinen Vorlesungen offenbar nicht unwesentlich dazu beitrug, im Bildungsbürgertum der Vereinigten Staaten das Interesse an Platons Atlantisbericht und am Atlantis-Problem weiter zu fördern, das nach der Veröffentlichung von Ignatius L. Donnellys Werk "Atlantis - The Antediluvian World" im Jahr 1882 ein ganz enormes Ausmaß angenommen hatte.

Basisdaten zur Vita

Abb. 2 Kurzmeldung über eine Propaganda-Tour Cushings in Minnesota zur Einführung des Alkohol-Verbots, erschienen im St. Pauls Globe vom 26. April 1905

Über Volney B. Cushings Lebenslauf ist nur wenig bekannt. Geboren wurde er am 31. Januar 1856 in Frankfort, Maine, als Sohn von Peter Cushing und Eunice Colby Dorr. Volney Byron heiratete Nellie M. Pearson, mit der er ein Kind hatte, ihren Sohn Max Pearson Cushing (1886-1951). [3] Als Sproß einer wohlhabenden Familie aus Neuengland, deren Geschichte bis zum Revolutionskrieg gegen die Briten zurückreichte [4], war Cushing offenbar finanziell gut abgesichert. Er konnte sich also seinen Neigungen widmen, zu denen nicht zuletzt sein politisches Engagement für die Prohibition Party gehörte, die für ein allgemeines Alkohol-Verbot in den USA eintrat, und für die er 1888 bei einer Gouverneurs-Wahl kandidierte. [5] Auch bei den Wahlen zum US-Repräsentantenhaus von 1904 und 1914 war er Kandidat dieser Partei. [6] Zugute kam ihm in dieser Hinsicht sein außergewöhnliches Redner-Talent, dass er nicht zuletzt bei Veranstaltungen der Prohibitions-Anhänger ausspielte. [7] Ein weiteres Thema [8], mit dem er als Referent in der 2. Hälfte der 1890er Jahre und auch nach der Jahrhundertwende beachtliche Erfolge erzielte, war Platons Atlantis.

"The Lost Atlantis"

...war, soweit sich heute noch feststellen lässt, der Titel der meisten von Cushings Vorträgen zu Platons sagenhaftem Reich der Vorzeit, die sowohl seitens seines Publikums als auch von journalistischen Kritikern in den höchsten Tönen gelobt wurden. So bemerkte etwa ein Rezensent des St. John Globe: "Ein außerordentlicher intellktueller Leckerbissen wurde den Mäzenen des Mechanics Institute von Volney B. Cushing mit seiner Besprechung der wahrscheinlichen Existenz und dem Verbleib jener überlieferten Meeresinsel >Atlantis< geboten. Der Vortrag des Gentlemans war sowohl gelehrsam als auch beweiskräftig, und er wurde in so beeindruckender und eloquenter Weise übermittelt, dass er die Aufmerksamkeit seiner Hörer vom ersten Moment an fesselte." [9]

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Abb. 3 Der Kopf eines Werbefolders für Volney B. Cushings Vortragsredner-Tätigkeit in Sachen 'Atlantis'

Und Mary A. Livermore aus Melrose, Massachusetts stellte in einem Dankschreiben an ihn fest: "Den Damen der Melrose Union gefiel >The Lost Atlantis< ganz außerordentlich. Wir sind gute Lesungen gewöhnt, da wir nur fünf Meilen von Boston entfernt sind, und die besten bekommen. Doch kein Vortrag dieser Saison hat uns so vollständig zufriedengestellt wie Ihrer es tat, und die Herren waren ebenso begeistert wie die Damen. Sie haben ihre Atlantis betreffende Theorie mit einem solchen Aufgebot an Fakten und Argumenten gestützt, dass sie uns alle von ihr überzeugt haben, und unsere örtliche Bücherei wird nun nach weiteren Informationen zu diesem Thema durchforstet. Wir empfehlen >The Lost Atlantis< überall Frauenvereinigungen, Ligen und Clubs..." [10]

Abb. 4 Ein begeisterter Kommentar zu Cushings Vortrag "The Lost Atlantis" aus dem Central Record vom 13. Mai anno 1898

Tatsächlich betrachtete Cushing das Atlantis-Problem nicht abstrakt und ohne eigene Schlussfolgerungen, sondern er hatte im Vorfeld seiner Lesungen offenbar eine eigene Atlantis-Theorie entwickelt, über die sich im Detail allerdings nicht viel sagen lässt, da keine Manuskripte seiner Vorträge mehr zu existieren scheinen. Einen kleinen Einblick liefert immerhin die etwas ausführlichere Rezension, welche am 30. Januar 1902 in der Zeitung The Concord Monitor erschien. Sie lässt erkennen, dass Cushings Vorstellungen nicht weit von denen Donnellys und - etwas später - Termiers sowie Germains entfernt waren. Jedenfalls war er eindeutig ein Anhänger der damals gängigen Theorie einer vormaligen transatlantischen Landbrücke:

"Eine beträchtliche Zuhörerschaft versammelte sich gestern abend, um den Bericht über >Das verschollene Atlantis< zu hören, wie er von Volney B. Cushing im Opernhaus im Walker-Kursus erzählt wurde. Indem er griechische Geschichte anführte, berichtete er, wie in Platos Schriften verzeichnet ist, dass Solon Plato von einer Insel im Meer erzählte, wo eine mächtige und despotische Nation herrschte, und dass diese ganze Nation an einem einzigen Tag und einer Nacht weggeschschwemmt wurde.

Wie sehr wir auch geneigt sein mögen, dies zu bezweifeln, so müssen wir doch eingestehen, dass kürzliche Entdeckungen, sowohl in der Alten als auch in der Neuen Welt beweisen, dass es zweifellos eine gewisse Grundlage für Solons Geschichte gab. Es ist also sehr glaubhaft, dass es eine Landverbindung zwischen Amerika und Europa gab, da nachgewiesen wurde, dass viele in Amerika einheimische Tier- und Pflanzen-Spezies schon lange in Europa existierten, bevor Kolumbus Amerika entdeckte. [...]

Abb. 5 Volney B. Cushings Vorstellungen zu Atlantis ähneltn offenbar stark jenen, die Ignatius Loyola Donnelly einige Jahre zuvor popularisiert hatte.

Das amerikanische Schiff >Dolphin< und das englische Schiff >Chaldean< haben jüngst eine Studie des Atlantiks fertiggestellt und fanden ein großes, erhobenes Plateau, wie es Plato sagte, >im Westen der Säulen des Herakles< (Felsen von Gibraltar), und diese Insel war 1000 Meilen breit und 3000 Meilen lang, mit Bergen von enormer Größe, deren höchste Stellen das sind, was wir als Azoren kennen. Bei diesen Inseln tauchte innerhalb eines Jahrhunderts ein neues Eiland auf, dass dann allmählich wieder versank, und heute 1000 Faden unter Wasser liegt. Nahe Island erschien vor nicht langer Zeit eine Insel, und jetzt ist nichts mehr von ihr zu sehen. Zwischen Java und Sumatra wurde zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts eine ganze Insel weggeschwemmt, und ebenso zwei Städte auf Java und Sumatra. Von einem Augenzeugen wurde geschätzt, dass 200.000 Personen bei diesem Desaster ihr Leben verloren. Die Ostküste Englands verändert sich heute rapide, wie es auch bei jener des äußersten Nordens von Kanada der Fall ist.

Die >Dolphin< und die >Chaldean< fanden heraus, dass das [erwähnte] Plateau sich an die nordöstlichste Ecke Südamerikas und den südlichsten Teil Afrikas anfügt, was die Landverbindung komplett machen würde.

Plato ist nicht alleine mit seiner Aufzeichnung über >das verschollene Atlantis<, da auf der Halbinsel Yucatán Steintafeln gefunden wurden, auf welchen es heißt, dass das Land Mu, das im Osten jenes Ortes lag, innerhlb einer Nacht zerstört worden sei. Mr. Cushing brachte als Beweise zur Stützung seiner Argumente archäologische Entdeckungen in Ägypten und Peru, mythologische Ansichten von heute und modernste wissenschaftliche Forschung. Er glaubt, dass der Tag kommen werde, an dem man den Meeresboden genauso gut kennen wird wie heute die Erdoberfläche. Als Jules Verne über submarine Reisen schrieb, dachte niemand, dass sie noch im selben Jahrhundert Realität werden würden. Der Redner schloss mit einer eloquenten Zusammenfassung aller Fakten, die er während seines Vortrags vorgebracht hatte, und jedermann ging hochzufrieden und besser informiert über die Werke der Natur nach Hause." [11]


Anmerkungen und Quellen

Fußnoten:

  1. Siehe dazu bei Atlantisforschung.de: "Atlantologie-Historik - Beschäftigung mit der Geschichte der Atlantisforschung" (red)
  2. Anmerkung: Cushings Sterbedatum konnten wir bisher nicht ermitteln, aber augenscheinlich muss er mindestens 64 Jahre alt geworden sein, da er im US-Zensus des Jahres 1920 erwähnt wurde. Siehe: Mooseroots.com, unter: Find Volney Cushing U.S. Census Records (abgerufen: 06. Aug. 2015)
  3. Quelle: Ancestry.com, unter: Volney Byron Cushing (abgerufen: 06. Aug. 2015)
  4. Quelle: Darcy Richardson, "Others: Third Parties During the Populist Period", iUniverse, 2007, S. 354
  5. Quelle: Supreme Court, o.A., "Case on Appeal", USA, S. 8; sowie: Michael J. Dubin, "United States Gubernatorial Elections, 1861-1911: The Official Results by State and County", McFarland, 2010 (Candidate Index)
  6. Quelle: PoliticalGraveyard.com, unter: "Cushing" (abgerufen: 06. Aug. 2015)
  7. Siehe z.B.: "THE SALOON MUST GO! - VOLNEY B. CUSHING OF BANGOR, Speaks in the TOWN HALL, FARMINGDALE ON WEDNESDAY, MAY 6 – SUBJECT: THE LIQUOR POWER IN POLITICS" (ca. 1890), online als PDF-Datei bei Mainememory.net (abgerufen: 06. Aug. 2015) Eine Zusammenstellung von Presse-Notizen zu Cushings Vorträgen findet sich hier.
  8. Anmerkung: Es gab offenbar noch andere Themen, die Cushing bei seinen Vorträgen behandelte. So referierte er z.B. im März 1903 in Wichita, Kansas, zum Thema "citizenship", d.h. "Bürgersein" (Quelle). Es erscheint jedoch unwahrscheinlich, dass andere Gegenstände für ihn als Redner einen ähnlichen Stellenwert hatten, wie seine Gegnerschaft zum Alkoholkonsum und Atlantis.
  9. Quelle: N.B., St. John Globe, in: Exclusive Management of REDPATH LYCEUM BUREAU, Boston and Chicago, "Volney B. Cushing"; nach: THE UNIVERSITY OF IOWA LIBARIES - Iowa Digital Library, Volney B. Cushing, Page 2 (Übersetzung ins Deutsche durch Atlantisforschung.de)
  10. Quelle: Mary A. Livermore aus Melrose, Massachusetts, in: Exclusive Management of REDPATH LYCEUM BUREAU, Boston and Chicago, "Volney B. Cushing"; nach: THE UNIVERSITY OF IOWA LIBARIES - Iowa Digital Library, Volney B. Cushing, Page 2 (Übersetzung ins Deutsche durch Atlantisforschung.de)
  11. Quelle: N.H., The Monitor (Concord), 30. Januar 1902 in: Exclusive Management of REDPATH LYCEUM BUREAU, Boston and Chicago, "Volney B. Cushing"; nach: THE UNIVERSITY OF IOWA LIBARIES - Iowa Digital Library, Volney B. Cushing, Page 2 (Übersetzung ins Deutsche durch Atlantisforschung.de)

Bild-Quellen:

1) THE UNIVERSITY OF IOWA LIBARIES - Iowa Digital Library, unter: Volney B. Cushing, Page 1 (Bild-Bearbeitung durch Atlantisforschung.de)
2) CHRONICLING AMERICA - American Historic Newspapers, unter: The Saint Paul globe., April 26, 1905, Page 3, Image 3 (Bild-Bearbeitung durch Atlantisforschung.de)
3) THE UNIVERSITY OF IOWA LIBARIES - Iowa Digital Library, Volney B. Cushing, Page 2 (Bild-Bearbeitung durch Atlantisforschung.de)
4) CHRONICLING AMERICA - American Historic Newspapers, unter: The central record., May 13, 1898, Image 1 (Bild-Bearbeitung durch Atlantisforschung.de)
5) I. Donnelly, "Atlantis, the Antediluvian World", 1882 / Bild-Archiv Atlantisforschung.de