Die Entdeckung von Platos Atlantis I

von unserem Gastautor Radek Brychta


1. Platon und Solon

Platon schrieb seine Dialoge "Timaios" und den unvollendeten "Kritias" irgendwann nach 362 v. Chr., nach dem blutigsten Konflikt der griechischen Geschichte, der Schlacht von Mantinea zwischen der Koalition von Sparta und Athen mit der Armee Thebens. In den, der Schlacht von Mantinea folgenden, Jahren wurde in Athen begonnen, über Änderungen der Staatsverfassung zu diskutieren, vielleicht auch unter dem Druck der äußeren Bedrohung durch die Makedonier. Die Staatsverfassung von Athen, abgeleitet von Solons erster Verfassung von 593 v. Chr., und reformiert von dem Alkmenier Kleisthenes um 509-507 v. Chr., wurde als einer der Gründe für den Rückgang der Vormachtstellung von Athen in Griechenland betrachtet. Isokrates beispielsweise, der populärste Redner Athens, schlug den Athenern vor, zu der Verfassung der Vorväter zurückzukehren und idealisierte die ursprünglichen Verfassungen von Solon und Kleisthenes in seiner Ansprache "Areopaggitikos" um 554 v. Chr.

Abb. 1: Platon stellte in seinen Dialogen "Timaios" und "Kritias" zwei gegensätzliche Nationen mit verschiedenen Verfassungen in einem kriegerischen Konflikt vor.

Entsprechend seiner Überzeugung, "wir können die Gefahren der Zukunft nur abwenden und die Katastrophen der Gegenwart verhindern, wenn wir bereit sind, die Demokratie wiederherzustellen, die von Solon, dem größten Wohltäter (démotikótatos) eingeführt und später von Kleisthenes wiedereingesetzt wurde, nachdem er die Tyrannen enteignete und die Gemeinde zurückbrachte." Er stand damit im Gegensatz zu Platon, der sein ganzes Leben lang versuchte, einen vollkommenen Staat mit einer vollkommenen Verfassung, geführt von den Philosophen und geschützt von Wächtern, zu beschreiben und einzurichten, in dem nur die Klasse der Schaffenden persönlichen Besitz haben konnte. Trotzdem gelang es ihm nie, seine Vision eines idealen Staates in Athen und Syrakus einzurichten.

In seinen Dialogen "Timaios" und "Kritias" stellte Platon deshalb zwei gegensätzliche Nationen mit verschiedenen Verfassungen in einem kriegerischen Konflikt vor. Eine Seite wurde durch die Atlanter vertreten, die mit einer Verfassung ausgestattet waren und deren Institution bei Platon auf einigen Grundsätzen der Verfassung von Solon und Kleisthenes basierte. Die atlantische Gesellschaft war in zehn Volksstämme geteilt - dieselbe Teilung wurde von Kleisthenes in seinen Reformen eingeführt. Zehn Stammesrepräsentanten, die atlantischen Könige, hielten - gemäß dem Modell der Verfassung von Solon und Kleisthenes - regelmäßige Zusammenkünfte in einer aristokratischen Ratsversammlung (Areopag) im Poseidon-Tempel auf der Insel Atlantis ab. Kleisthenes gliederte die Volksstämme weiter auf in Gemeinden, vertreten durch die einzelnen Gebietsgemeinschaften und athenischen Distrikte. Die Volksstämme und die Gemeinden waren nach rein geographischer Grundlage und der Bevölkerungsgruppen desselben Gebietes eingerichtet.

Sehr ähnlich der oben erwähnten und aufgeführten Unterteilung der Volksstämme von Kleisthenes in Gemeinden, beruht die Unterteilung der Insel von Atlantis in Lose und Eigentümerschaft der Einzelnen in der Parzelle entsprechend ihres Wohnsitzes und Dorfes auf geographischen Grundlagen. Das im Kritias-Dialog erwähnte Modell des Militärdienstes und die interne Struktur der atlantischen Armee folgt ebenfalls der Verfassung von Solon und Kleisthenes.

Abb.2: "wir können die Gefahren der Zukunft nur abwenden und die Katastrophen der Gegenwart verhindern, wenn wir bereit sind, die Demokratie wiederherzustellen, die von Solon, dem größten Wohltäter (démotikótatos) eingeführt und später wiedereingesetzt von Kleisthenes wurde..." (Platon)

Der immensen militärischen Macht der Atlanter, im Gegensatz zu den mediterranen Nationen, konnte sich schließlich nur das antiken Athen mit seinen Berufssoldaten (-wächtern) und seiner gemäß der besten Platon-Prinzipien ausgearbeiteten Verfassung - dargelegt in seinem Werk "Republik und Gesetze" - widersetzen. Und was war die vorherbestimmte Schlußfolgerung dieser Konfrontation zwischen zwei Staaten mit unterschiedlichen Staatsverfassungen in einem kriegerischen Konflikt wie von Platon erzählt? Die Athener, rechtschaffen sich selbst verteidigend und vertrauend auf ihre Berufsarmee von Wächtern, konnten nicht nur ihren großen Kampf gewinnen. Sie schlugen die Atlanter und bewiesen so im Krieg die Lebensfähigkeit der idealistischen Verfassung von Platon. Am Ende versank die Insel Atlantis - nach guter Erfüllung ihres Zweckes - ins Meer und die athenischen Wächter wurden in genau demselben Moment von der Erde begraben.

Die griechisch geschriebene Legende von Atlantis hat ihre Wurzeln in Ägypten, wo Solon, Platons Vorläufer, sie von Priestern in der Stadt Saïs erfuhr. Solon wird traditionell als einer der sieben griechischen Weisen betrachtet. Er wurde im Jahre 594 v. Chr. als 'Archon' mit dem Privileg eines Richters der Athener gewählt. Während seines einjährigen Amtes in der Position eines 'Archon' arbeitete Solon die erste Verfassung von Athen aus, die das bisherig geltende Gesetzbuch des Drakon ersetzte, er befreite die Bürger von Athen aus der Sklaverei, begründete ein vereinheitlichtes System von Maßen und Gewichten, und vielleicht führte er auch die ersten Münzen ein. In Ägypten besuchte Solon Saïs, den Sitz der Monarchen der 26. Dynastie, nach 593 v. Chr., in der Zeit der sogenannten Saïs-Renaissance unter der Herrschaft des Monarchen Psammetich II., dem Sohn von Necho II. Im kulturellen Leben im Nil-Delta wurde es schicklich, altägyptischen Traditionen zu folgen. Zeugnis darüber wurde auf alten Papyrus-Schriftrollen niedergelegt. Dies war die Zeit, als auch eine weitere einfache ägyptische Demotic-Handschrift entstand.

Abb. 3: Statuette des Gemnef-hor-bak (vermutl. 26. Dynastie, ca. 600 v. Chr.) aus der Stadt Saïs, wo Solon den Atlantisbericht kennenlernte.

Solon verwendete seine Dichtkunst für seine politischen und staatsmännischen Ambitionen und es machte ihm nichts aus, welche Werkzeuge er dafür benutzte: er provozierte die Attacke von Salamis, er warnte vor der Tyrannei von Peisistratos, oder teilte moralisierende Lektionen an das athenische Volk aus. Es ist möglich, dass er eigentlich Inspirationen für ein neues Heldenepos während seines Besuches in Ägypten suchte, in dem er seine erste Verfassung von Athen erklären und rechtfertigen wollte.

Unmittelbar nachdem Solon Athen im Jahre 593 v. Chr. verlassen hatte, begannen in Athen Ausschreitungen und die meisten Athener Staatsbürger waren ziemlich enttäuscht von der neuen Verfassung. Es gab somit einen Grund für Solon, sie zu verteidigen. Er konnte kein genehmeres Thema für seinen Pläne finden als eine alte ägyptische Erzählung über eine geheimnisvolle Insel mit einer fortgeschritten Zivilisation und ihre Vernichtung in ferner Vergangenheit. In dieser Hinsicht könnte Solon wirklich Notizen gefertigt haben, die schließlich in die Hände von Platon gelangten.

Als Ergebnis verbindet die Erzählung griechische und ägyptische Leitmotive, aber auch Leitmotive einer anderen Kultur, bei Platon Atlantis genannt. Platons [Kritias] Dialog ist mit großer Sicherheit griechischen Ursprungs. Ebenfalls ist ein großer Teil des Timaios-Dialoges, der den Ursprung der Menschen behandelt, geschrieben gemäß der besten Ideen Platons und der Pythagoräer, definitiv griechischen Ursprungs. Die Beschreibung der sozialen Einrichtungen der Insel Atlantis einschließlich der Zusammensetzung der atlantischen Kampftruppen, der sozialen Einrichtung des antiken Athen und der attischen Landschaft sind abgeleitet von griechischen Leitbildern.

Auch war das Leitmotiv der durch ein Erdbeben in der Erde verschwindenden prä-athenischen Soldaten Platon nicht fremd: um 464-463 v. Chr. ereignete sich ein gewaltiges Erdbeben in Sparta, während der, gemäß der Quellen der damaligen Zeit, mehr als die Hälfte der spartanischen Kampftruppe in der Erde verschwand. Der griechische Philosoph und Historiker Plutarchos bezeugt folgendes zu diesem Erdbebens: "[Im vierten Jahr der Herrschaft des Spartanerkönigs Archidamus versank das spartanische Land an viele Stellen infolge des größten Erdbebens, das jemals aufgezeichnet wurde. Zitternd zerriss manche Bergspitze des Tayphet-Gebirges, die Stadt selbst wurde vernichtet und alle Häuser mit Ausnahme von fünfen wurden zerstört...]"

Abb. 4: Der Stadtstaat Sparta lag in etwa im geographischen Zentrum der hellenischen Welt. Um 464-463 v. Chr. wurde er von einem gewaltigen Erdbeben verheert.

Andere Leitmotive können wirklich ägyptischen Ursprungs oder vielleicht aus der Mythologie anderer Zivilisationen entnommen sein. Das Leitmotive der zwischen den Göttern geteilten Herrschaft über die Welt ohne Krieg und Gewalt und das Attribut der die Insel von Atlantis durchziehenden Parzellen durch Poseidon und der von Athen durch Athene und Hephaistos wie in den Dialogen von Platon beschrieben, befindet sich unbestreitbar in vollständigem Widerspruch zu den ägyptischen und griechischen Sagen von der Herrschaft der Götter über die Welt und ihre blutigen Konflikte nach Macht. Andererseits beispielsweise war die Welt in sumerischen Sagen zwischen den Göttern gerecht geteilt.

Auch frühere Übersetzungen des Platonischen Kritias vom Griechischen ins Englische erklären korrekter, dass Götter ihre Herrschaft über die Welt durch gezogene Parzellen teilten und nicht durch Streit (siehe die Oxford Edition von Burnet oder die Übersetzung von Dr. Frantisek Novotny von 1919, Prag). Wenn man die offensichtlichen griechischen Elemente aus Platons Erzählung entfernt, können seine Dialoge als eine auf ägyptische oder andere Quellen beruhende Textsammlung verwendet werden, die Solon so von ägyptischen Priestern in Saïs gehört und niedergeschrieben haben kann. Ein bearbeiteter Text über Atlantis ist als Anhang beigefügt. Jeder Abschnitt ist gekennzeichnet mit dem Namen des Dialoges, aus welchem er genommen wurde. Der Text ist in chronologischer Reihenfolge geordnet.


Fortsetzung:

2. Teil: Datierung der Existenz von Atlantis



Bild-Quellen

(1) http://www.mek.iif.hu/porta/szint/tarsad/irodtud/vilagir/html/f14.htm

(2) http://www.accd.edu/sac/english/bailey/classics.htm

(3) http://www.khm.at/system2E.html?/staticE/page613.html (nicht mehr online)

(4) http://www.perseus.tufts.edu/~maria/pictures/sparta.gif (nicht mehr online)