Kekrops I.

Abb. 1 Nachzeichnung einer Darstellung des Kekrôps auf einer antiken Vase in Palermo (aus: Meyers Konversationslexikon, 1885–90)

(red) Kekrôps I. - altgriech. Κέκροψ (der Geschwänzte), lat. Cecrops - ist eine Gestalt der griechischen Sagenwelt. Er gilt (nach seinem Schwiegervater Aktaios [1] - als zweiter legendärer König von Attika [2] (nach ihm früher auch, ebenso wie seine Königsburg, "Cecropia" genannt), Stammvater der Dynastie der Kekropiden sowie Begründer der Stadt Athen. Er wird allgemein als "authochton" ("der Erde entsprungen") bezeichnet [3] und als eine Art Zwitterwesen mit menschlichem Oberkörper und dem Unterleib eines Drachen dargestellt. (Abb. 1)

Durch die Heirat mit Aglauros, der Tochter des Aktaios (lat. Actaeus) auf den Thron gelangt, galt er als ein gerechter, ehr- und friedliebender Regent, welcher jedem, der sich mit seinen Sorgen an ihn wandte, freundlich Gehör schenkte. Sein Sinn für Gerechtigkeit war so ausgeprägt, dass selbst die Götter bisweilen seine Meinung zu strittigen Fragen einholten.

So heißt es bei Vollmer's Mythologie aller Völker: "Unter seiner Regierung gefiel es den Bewohnern des Olymp, sich Städte auszusuchen, in denen sie vorzugsweise ihre Verehrung beobachtet zu sehen wünschten. So kam denn Neptun zuerst nach Attica, erschütterte mit seinem mächtigen Dreizack den Boden auf der Burg, und siehe, es entstand eine Quelle, die Meerwasser enthielt und welche man die erechthe´sche nannte. Somit glaubte er Besitz von der Stadt genommen zu haben; allein Minerva kam, und es sprosste unter ihrem Fusstritt der Oelbaum auf; sie nahm Cecrops zum Zeugen, dass sie es gewesen, welche der Stadt zuerst eine Wohlthat erwiesen. Minerva] und Neptun, stritten also über den Besitz der Stadt, und auf C.´s Zeugniss ward sie der Minerva zuerkannt, welche sie nunmehr nach sich, nach ihrem griechischen Namen Athene, benannte." [4]

Abb. 2 Ein 'Portrait' des Kekrôps aus "Promptuarii Iconum Insigniorum" (1553) von Guillaume Rouille

Aus Kekrôps´ Ehe mit Agraulos gingen vier Kinder hervor: "Agraulos, Pandrosos und Herse, und ein Sohn Erysichthon. Auch verordnete er, dass man Jupiter als den höchsten Gott verehre, die Thieropfer abschaffe und nur Schaubrode auf den Altar lege; er milderte die Sitten des rohen Volkes, und führte manche fremde, zum Theil aus Aegypten stammende Gebräuche ein." [5] Ferner vereinte er die Urbevölkerung Attikas "und teilte sie auf zwölf Demen (Gemeinden) auf: Kekropia, Tetrapolis, Epakria, Dekelea, Eleusis, Aphidna, Thorikos, Brauron, Kytheros, Sphettos, Kephisia und Phaleron [6]. Er führte eine Volkszählung durch, bei der jeder Einwohner einen Stein mitbrachte. [...] Er führte die Ehe, die ersten staatlichen Einrichtungen und das Recht auf Eigentum ein. Kekrops schreibt man auch [...] die Erdbestattung der Toten zu." [7]

Kekrôps und die Atlantisforschung

Kekrôps I. ist auch in atlantologischer Hinsicht von Interesse, insbsondere hinsichtlich seines Bezugs zu Ägypten. Wie bereits oben bemerkt, soll er ja "zum Theil aus Aegypten stammende Gebräuche" in Attika eingeführt haben. Bei theoi.com heißt es darüber hinaus sogar: "Spätere griechische Autoren schreiben Cecrops zu, er sei mit einer Gruppe von Kolonisten aus Sais in Ägypten nach Griechenland eingewandert. [8] Doch diese Darstellung wurde von einigen der Alten verworfen." [9] Nun darf es zwar nicht verwundern, dass diese Immigrations-Annahme im alten Griechenland, wo der 'autochthone' Kekrôps - ähnlich wie der hellenisierte Herakles - den Status eines sagenhaften, identtätsstiftenden Volkshelden genoss, auf wenig Gegenliebe stieß; doch es gibt mindesten einen weiteren Grund, an seiner ägyptischen Herkunft zu zweifeln.

Abb. 3 Eine Skizze des mittleren Bruchstücks der Parischen Chronik, in der Kekrôps als historischer Herrscher erwähnt wird.

Halten wir aber zunächst fest, dass es keineswegs 'an den Haaren herbeigezogen' ist, Kekrôps nicht als mythischen (mithin: fiktionalen) Charakter, sondern als historische Persönlichkeit zu betrachten. So heißt es beispielsweise zu dieser euhemeristischen Sichtweise bei Tony O’Connell: "Eusebius von Caesarea platzierte seine Regierungszeit zwischen 1556 und 1506 v.Chr. [...] Die Existenz von Cecrops als reale Person, welche im 2. Jahrtausend v.Chr. Athen regierte, erhält weitere Unterstützung durch die Parische Chronik." [10] [11] Auf dieser griechischen, vermutlich 264 oder 263 v.Chr. erstellten, Marmor-Zeittafel, welche die Jahre 1582 bzw. 1581 v. Chr. bis 299 respektive 298 v. Chr. behandelt, wird Kekrôps gleich zu Beginn als erster König von Athen bezeichnet. Das heißt: Für den oder die Schöpfer dieser Chronik begann die Historie mit Kekrôps!

Nach diesem kurzen Exkurs können wir uns nun Platon und seinem Atlantisbericht zuwenden. Darin (im Kritias 110a/b) erählt Solon über seinen Besuch bei den Neith-Pristern in Saïs, sie "hätten über den damaligen Krieg dergestalt berichtet, daß sie jene alten Athener meistens mit allen denjenigen Namen benannten, – nämlich mit dem des Kekrôps, Erechtheus, Erichthonios, Erysichthon und den meisten anderen – wie ein jeder auch wirklich von den Vorgängern des Theseus im Umlauf ist..." [12]

Abb. 4 Die vermuteten Ruinen von Saïs auf einer Abbildung aus dem Jahr 1855. Stammte Kekrôps von dort und gelangte mit einer Gruppe ägyptischer Kolonisten nach Attika, wie bei Diodor und Plutarch angedeutet?

Die guten Kenntnisse der Neith-Priester, was das Griechische und die Geschichte der Hellenen betrifft, sind so erstaunlich nicht. Immerhin war Saïs seit den Zeiten des Pharaos Psammetich I. Hauptstadt des ägyptischen Reichs, und er und seine Nachfolger der 26. ('saïtischen') Dynastie stützten ihre Macht nicht zuletzt auf Söldner aus Griechenland und Karien. [13] Saïs war zu dieser Zeit aber auch das Zentrum der griechisch-ägyptischen Handelsbeziehungen, was diplomatische Missionen der Griechen eingeschlossen haben muss. Solon dürfte somit nicht der erste gebildete Hellene gewesen sein, mit dem die saïtischen Priester-Gelehrten zusammentrafen. Von daher erscheint es keineswegs unglaubwürdig, dass ihnen - laut Platons Bericht - legendäre Persönlichkeiten Griechenlands, wie eben Kekrôps, namentlich bekannt waren.

Auch was die Annahme der vormaligen Existenz altägyptischer Kolonien in anderen Ländern betrifft, so sollten wir sie nicht vorschnell von der Hand weisen. Immerhin schrieb schon der antike Mainstream-Historiker Diodorus Siculus in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. etwas borniert dazu: "Überhaupt, sagen die Ägypter, hätten ihre Vorfahren sehr viele Koloni[st]en ausgesandt, in alle Theile der Welt, sowohl vermöge der Uebermacht ihrer Könige als auch ihrer überflüßigen Volksmenge. Da sie aber hierfür keinen beträchtlichen Beweis führen können, noch irgendein gültiger Schriftsteller es bezeugt, so habe ich es nicht der Mühe werth gehalten, ihr Vorgeben aufzuschreiben." [14] Der letzte Satz widerspricht natürlich seiner Aussage über Kekrôps´ vermeintlich ägyptische Herkunft (siehe Fußnote 8).

Allerdings: Wäre Kekrôps tatsächlich ein aus Saïs stammender, ägyptischer Kolonist gewesen, so hätten die dortigen Priester der Neith dies sicher gewusst und wohl kaum gezögert, es dem Solon im Rahmen der Geschichtsvorlesung, oder auch 'historischen Standpauke' ("Ihr Griechen seid Kinder..."; Timaios 22b), die sie ihm hielten, unter die sprichwörtliche Nase zu reiben. Oder sollte Platon etwa diesbezügliche Informatinen aus Solons Geprächsnotizen unterschlagen haben, weil sie nicht in sein Konzept zur Darstellung Ur-Athens passten? Bei seiner Bewunderung der ägyptischen Kultur und ihrer Persistenz [15] erscheint dies wenig glaubhaft. Und damit ist die Annahme einer ägyptischen Herkunft des attischen Ur-Königs wohl kaum noch haltbar.

Abschließen wollen wir unsere Betrachtungen zu Kekrôps I. mit der Überlegung, dass - sollte er wirklich in personam existiert haben - seine Erwähnung bei Platon (Kritias 110a/b) im Kontext der vorliegenden Datierungen sowie der archäologisch bestätigten Beschreibung Ur-Athens (Kritias 111e-112e) quasi einen "Anker" (O’Connell, op cit.) zur chronologischen Einordnung des in der Atlantida erwähnten Krieges zwischen Athenern und Atlantiern (zumindest aber dessen Endphase) darstellen dürfte.


Anmerkungen und Quellen

Fußnoten:

  1. Anmerkung: So bei Pausanias, Reisen in Griechenland, 1, 2, 6.
  2. Anmerkung: Nach Apollodorus (iii. 14. § 1, &c.) soll er dagegen der erste König [Attika]]s gewesen sein.
  3. Anmerkung: ...was nach heutigem Verständnis bedeutet, dass er zu den Ureinwohnern des Landes (Attika) gehörte.
  4. Quelle: Vollmer's Mythologie aller Völker, Stuttgart 1874, unter: Cecrops - Griechische Mythologie
  5. Quelle: ebd.
  6. Siehe: Strabon, Geographica, 9, 1, 20.
  7. Quelle: Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, "Kekrops I." (Stand: 3. Dez. 2016)
  8. Siehe: Diodor, i. 29; Schol. ad Arist. Plutarch 773.
  9. Quelle: theoi.com, unter: "KEKROPS" (abgerufen: 3. Dez. 2016; Übersetzung ins Deutsche durch Atlantiforschung.de)
  10. Quelle: Tony O’Connell, "Cecrops", 6. Juni 2010, bei Atlantipedia.ie (abgerufen: 3. Dez. 2016; Übersetzung ins Deutsche durch Atlantiforschung.de)
  11. Anmerkung: Siehe zur Parischen Chronik in englischer Sprache auch: Tony O’Connell, "Parian Marble (m)", 30. Mai 2010, bei Atlantipedia.ie
  12. Quelle: Platon, "Kritias" (110a/b), in der Übersetzung von Franz Susemihl, online bei Atlantis-Scout
  13. Quelle: Wilhelm Wachsmuth, "Grundriss der allgemeinen Geschichte der Völker und Staaten", W. Engelmann, 1839, S. 24
  14. Quelle: Diodorus Siculus, Bibliotheca historica, Erstes Buch, Kap. XXX; nach: Friedrich Andreas Stroth, "Diodors von Sicilien Bibliothek der Geschichte - Erster Band", Frankfurt am Main (Johann Christian Hermann), 1782, S. 57
  15. Siehe z.B.: Platon, Dialog Nomoi (Die Gesetze), 656E ff.

Bild-Quellen:

1) Bibi Saint-Pol, bei Wikimedia Commons, unter: File:Cécrops Meyers.png (Bild-Bearbeitung durch Atlantisforschung.de)
2) Hannah~commonswiki, bei Wikimedia Commons, unter: File:Cecrops I.jpg
3) Tony O’Connell, "Cecrops", 6. Juni 2010, bei Atlantipedia.ie
4) Metilsteiner, bei Wikimedia Commons, unter: File:LOWTH(1855) - 1.006 RUINS OF SAIS IN THE DELTA.jpg (Bild-Bearbeitung durch Atlantisforschung.de)