Perseus und die Gorgonen
(bb) Eine der schillerndsten Persönlichkeiten altgriechischer Mythen über frühe Raubzüge und Eroberungen im fernen Westland war zweifellos Perseus. (Abb. 1) Als Sohn des Zeus / Jupiter und der Danaë war Perseus ein Halbgott, dem u.a. die Gründung der Stadt Mykenä zugeschrieben wird. Nach F.A. Brockhaus (1772-1823) war Danaë die "Tochter des Königs Akrisius von Argos, welchem vorhergesagt worden war, der Sohn der Danaë werde ihn tödten. Er hielt sie daher von allem Umgange mit Männern abgeschlossen in einem ehernen Thurme, wo sich [der Gott] aber dennoch durch eine Öffnung im Dache in Gestalt eines goldenen Regens nahte, d.h. durch Bestechung ihrer Hüter. Als Akrisius später die Geburt des P. vernahm, ließ er Mutter und Sohn in einem Kasten ins Meer werfen, welcher an der Insel Seriphos im Archipel antrieb, wo der König Polydektes die Verstoßenen aufnahm und den P. erziehen ließ.
Als ihm derselbe später bei seinen Bewerbungen um Danaë hinderlich war, veranlaßte er ihn fortzugehen, um das schlangenhaarige Haupt der Medusa (s.d.) zu holen, was ihm auch mit dem Beistande der Götter gelang, von welchen Pluto ihm einen unsichtbar machenden Helm, Mercur seine Flügelschuhe, Minerva ihren spiegelglatten Schild lieh. P. fand nämlich Medusa und ihre Schwestern schlafend, nahte sich ihnen mit abgewendetem Angesicht, denn ihr Anblick verwandelte Alles in Stein, sah aber in jenem Schild [nur] ihr Spiegelbild, hieb glücklich der Medusa den Kopf ab und steckte ihn in seine Reisetasche.
Auf der Rückreise verwandelte P. damit den König Atlas in Stein, der ihn nicht gastfreundlich aufnahm und befreite in Äthiopien die Andromeda, Tochter des Königs Cepheus und der Kassiopea [Cassiopeia], welche die Schönheit derselben über die der Nereiden (s. Nereus) gesetzt hatte. Diese baten deshalb den Neptun um Rache, der das Land von einer Überschwemmung und einem Meerungeheuer heimsuchen ließ, das zufolge eines Orakelspruchs nur dann weichen würde, wenn ihm Andromeda geopfert werde, die deshalb an einen Felsen gefesselt worden war.
P. erlegte das Meerungeheuer und erhielt die Hand der von ihm erretteten Andromache, mit der er zu seiner Mutter zurückkam, die sich vor den Gewalttätigkeiten des Polydektes an einen Altar der Minerva geflüchtet hatte. Hier verteidigte P. seine Mutter wider denselben und verwandelte den Polydekt und seine Leibwache durch das Medusenhaupt in Stein, welches er dann der Minerva übergab, die es auf ihren Schild setzte. Mit Danaë und und Andromache eilte P. nun zu seinem Großvater Akrisius, der aber vor ihm nach Thessalien floh, allein dennoch bei den Leichenspielen des Königs von Larissa durch einen von dem ihm gefolgten P. geschleu-derten Diskus unversehens getödtet wurde. Das ihm dadurch zufallende Königreich Argos verkaufte P. gegen das von Tirynth, nach seinem Tode aber ward er als Heros göttlich verehrt und häufig Gegenstand bildlicher Darstellungen, in denen er gewöhnlich mit einem Helm, mit einem krummen Schwerte und mit dem Medusenhaupte in der linken Hand erscheint." [1]
Beschäftigen wir uns nun noch etwas näher mit dem Zug des Perseus in den fernen Westen und seinen Hintergründen. König Polydektes, wir erinnern uns, hatte von dem Heroen verlangt, er solle ihm das Haupt der Medusa (Abb. 2) bringen, also der Königin eines kriegerischen und offenbar mächtigen Volkes, das im westlichen Libyen - aus seiner Sicht - am Ende der Welt lebte. Natürlich: Polydektes wollte den Perseus aus dem Weg haben und schickte ihn deshalb - im wahrsten Sinne des Wortes - bis ans 'Ende der Welt'. Aber warum verlangte es ihn nach dem Kopf der Gorgone?
In den Mythen wird sein Opfer Medusa als monströsen Ungeheuer dargestellt, doch das dürfte schlichtweg Propaganda der Hellenen gewesen sein. Bemühen wir noch einmal F. A. Brockhaus: "Medusa war der altgriech. Sage zufolge die schönste, aber auch allein sterbliche Schwester unter den drei Gorgonen [2] welche für Töchter des Meeresgotts Phorkys und der Meergöttin Ceto ausgegeben und sehr verschieden, meist aber als geflügelte, bösartige Jungfrauen mit ungeheuren Zähnen, ehernen Klauen und anstatt des Gürtels mit zwei Schlangen um den Leib geschildert werden. Neptun verliebte sich in M. welche sich nicht scheute, im Tempel der Minerva mit ihm zusammenzukommen, dafür aber von dieser in ein Scheusal mit Schlangenhaaren und Augen verwandelt wurde, von deren Anblick jedermann zu Stein erstarrte..." [3]
Der Konflikt zwischen der Geliebten des Poseidon / Neptun (eines Repräsentanten der alten, saturnischen Götter, der sich mit dem Regime der Olympier arrangiert hatte und in das neue Herrscherhaus der griechischen Götter aufgenommen wurde) und der sittenstrengen Athene / Minerva deutet den Grundkonflikt zwischen den Proto-Hellenen und den altgläubigen Völkern des Westens an, die offenbar untereinander zerstritten waren. Genau dies verdeutlicht Diodor, wenn er in seiner Historischen Bibliothek von den Kämpfen zwischen Gorgonen, Atlantioi und Amazonen berichtet, offenbar den wesentlichen Machtgruppen des afrikanischen Nord-Westens jener Zeit.
Den griechischen Eindringlingen, die nach den Reichtümern der Westlande gierten, dürfte klar gewesen sein, dass es unter diesen Umständen leichter sein musste, zunächst in Nordwest-Afrika einen 'Fuß in die Tür' zu bekommen als einen direkten Angriff auf die Iberische Halbinsel zu unternehmen. Immerhin dürfte ihnen bewusst gewesen sein, dass sie nicht die einzige ost-mediterrane Nation waren, die Ambitionen im 'Abendland' hatte, denn nach 1200 v.d.Z. erfolgten während der post-kataklysmischen, end- und nachbronzezeitlichen Migrationen (vergl.: Die end-bronzezeitliche Klimakatastrophe aus atlantologischer Sicht) überall im Mittelmeerraum auch Städte- und Stützpunkt-Gründungen "nach phönizischem Muster" (Lixus, Cadiz, Utica, Tyros, Sidon, Beirut). [4]
Den Griechen muss dieser Aufbau eines pan-mediterranen, phönizischen Netzwerks von Hafenstädten als massive Bedrohung eigener Interessen erschienen sein, denen sie mit der Gründung eigener Kolonien im Westen begegnen mussten. Möglicherweise setzte man auch auf ein Bündnis mit den iberischen Turdetanern, die sich unversehens im eigenen Land mit dem punischen Hegemonialstreben auseinanderzusetzen hatten: "Ab 1100 vor unserer Zeitrechnung setzten sich die Phönizier in Cadiz, genauer auf dem flachen Landstreifen vor dem Felsen, fest und begannen Handel mit den Turdetanern, die dabei nach Kräften übervorteilt wurden. Besonders die Verschiffung von Sklaven soll den Iberern mißfallen haben. Darum setzte sich einer ihrer Fürsten, Theron, zur Wehr. Mit seiner Flotte bekämpfte er die Phönizier, wobei er die Schiffe der Gegner mit einer Strahlenwaffe in Brand setzte." [5]
Die 'Medusa-Expedition' des Perseus könnte also durchaus eine Reminiszenz an jene Phase frühesten Engagements der Griechen im Westen, und des Vordringens achäischer oder kreto-mykenischer Griechen an die Küsten des Atlantik widerspiegeln, wo die Gorgonen (griech.: gorgones, "Starrblickende", frei übersetzt: "Die mit dem bösen Blick") lebten. Ihr Machtzentrum waren die Gorgaden-Inseln im äußersten Westen ("Abend") der Welt, vor der afrikanischen Küste. Laut Hesiod lagen diese Inseln allerdings in der Nähe der Hesperiden, jenseits des Okeanos, was den Schluss nahelegt, dass die Gorgonen eine von mehreren späten west-atlantischen Seemächten waren, welche die Kontrolle über die nordwestafrikanischen Küsten ausübten.
Diese Vormachtstellung der Gorgonen sollte Perseus offenbar dadurch schwächen oder brechen, dass er in einer 'hit and run'-Aktion ihre Anführerin tötete und damit der gesamten Heeresmacht dieser Atlantiker 'den Kopf abschlug'. Das Kommando-Unternehmen des "Helden" erfolgte bei Nacht und Nebel und es gelang Perseus angeblich, die Königin im Schlaf zu ermorden. Da das Köpfen schlafender Frauen aber auch bei den Hellenen keineswegs eine Ruhmestat war, wurde aus der gefährlichen und mächtigen - menschlichen - Gegnerin später ein dämonisches Monster gemacht, um diesen Meuchelmord glorifizieren zu können.
Auch der Fortgang des Unternehmens war wenig ruhmreich, wenn wir die Überlieferung betrachten: "Mit Hilfe der Tarnkappe und der Flugsandalen floh er und wurde von den Winden und Regenwolken mal hierhin, mal dorthin geschleudert. Als er sich endlich im Reich des Königs Atlas niedergesetzt hatte, um ihn um Obdach zu bitten, war dieser überhaupt nicht begeistert. König Atlas bangte um seine goldenen Früchte und anderen Besitztümern, welche er mit Hilfe eines Drachens hütete und schickte ihn deshalb fort. Das ergrimmt Perseus so sehr, dass er Atlas das Medusenhaupt zeigt, woraufhin dieser sofort zu dem Stein erstarrte, welcher heut zu Tage das Atlasgebirge darstellt. Man kann vielleicht auch sagen, dass Perseus hier sein wahres Gesicht zeigte. [...] Erwähnen sollte man aber auch, dass Mapsaura (>der Windstoß<) eine der Töchter des Titanen Atlas war, sodass der Grimm des Perseus mehrere Gründe gehabt haben mag." [6]
Ein wesentliches Erkennungsmerkmal der mysteriösen Gorgonen waren ihre "Schlangenhaare" - mithin eine offenbar mythisierte Darstellung, die aus 'Menschen wie Du und ich' unheimliche Fabelwesen machte. Während konventionelle Mythologen hier vermutlich die Schlangen-Symbolik hinterfragen oder nach einer allegorischen Bedeutung suchen werden, stellt sich der Euhemerist (siehe: Stichwort: Euhemerismus) zunächst die pragmatische Frage: Was könnten die proto-hellenischen Besucher der Gorgonen beobachtet haben, um zu einer solchen, phantasievollen Beschreibung inspiriert zu werden? Die Antwort darauf ist erstaunlich einfach: Die Gorgonen trugen offenbar eine Haartracht, die den Frisuren glich, wie sie auch heute noch z.B. von den Anhängern der Rastafari-Religion bevorzugt werden, nämlich Dreadlocks!
Wer das für weit hergeholt hält, der möge sich bitte einmal Video-Mitschnitte eines Bob Marley-Konzerts ansehen; mit Sicherheit wird sich kaum ein Betrachter des Eindrucks erwehren können, dass die dicken, langen Haarzöpfe des Künstlers bei seinen Bewegungen ein Eigenleben entwickelten und wie Schlangen hin und her zuckten. Dabei ist nicht unwesentlich, dass Dreadlocks "eine Art filzige Frisur" sind, die bei Menschen mit bestimmten Haartypen "automatisch zustande [kommen]", wenn das Haar sich selbst überlassen wird, und z.B. "die [Rastas] brauchen sie sich gar nicht erst zu machen." [7]
Interessant ist auch, dass diese unfrisierte Haartracht durchaus eine religiöse Bedeutung hat und in der bekannten Form schon vor Jahrtausenden getragen wurde. "Dreadlocks, kurz auch >Dreads< genannt, spielen eine wichtige Rolle in der Religion der Rastafaris, bezugnehmend auf das biblische 3. Buch Mose 21,5: >Sie sollen auch keine Platte machen auf ihrem Haupt noch ihren Bart abscheren und an ihrem Leib kein Mal stechen.<" [8], heißt es bei melifon.de, und ein religiös-asketisches Motiv dürfen wir auch den indischen Sadhus unterstellen, die häufig ebenfalls diese naturbelassene Haartracht tragen (Abb. 4).
Paul A. Barton, der von einem schwarzafrikanischen Einfluss auf die mittelamerikanische Olmeken-Nation ausgeht, schrieb schließlich über afrikanische Haartrachten diesseits und jenseits des Atlantik im Jahrtausend vor der Zeitenwende: "Einige dieser Ähnlichkeiten kann man an den Stein- und Terrakotta-Arbeiten der alten Schwarzen Amerikas erkennen. So ist beispielsweise die afrikanische Haartracht deutlich auf einigen Stein- und Terrakotta-Arbeiten zu sehen, wobei 'Cornrows', 'Afro-Look', flacher 'Mohawk-Stil', ähnlich wie der in Afrika vorkommende Typ, 'Dreadlocks', geflochtenes Haar und auch einfach krauses Haar vorkommen." [9]
Anmerkungen und Quellen
Dieser Beitrag von Bernhard Beier © wurde 2004 für Atlantisforschung.de verfasst.
- ↑ Quelle: F. A. Brockhaus, Bilder-Conversations-Lexikon für das deutsche Volk - ein Handbuch zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntniusse und zur Unterhaltung. Dritter Band, M-R, Leipzig 1839 (Autorisierte Faksimile-Ausgabe, ARTUS-Verlag, München, Sonderausgabe für Weltbild Bücherdienst, Augsburg), S. 446
- ↑ Anmerkung: Die drei (obersten) Gorgonen werden schon bei Homer erwähnt und Hesiod nennt sie mit Namen Sth´eno (Die Kraftvolle), Eur´yale (Die Umherstreifende) und Med´usa (Die Herrschende).
- ↑ Quelle: F. A. Brockhaus, Bilder-Conversations-Lexikon für das deutsche Volk - ein Handbuch zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntniusse und zur Unterhaltung. Dritter Band, M-R, Leipzig 1839 (Autorisierte Faksimile-Ausgabe, ARTUS-Verlag, München, Sonderausgabe für Weltbild Bücherdienst, Augsburg), S. 96
- ↑ Quelle: Uwe Topper, "Das Erbe der Giganten - Untergang und Rückkehr der Atlanter", 1977 im Walter-Verlag, Olten/Freiburg i.Br., 1977, S. 417
- ↑ Quelle: ebd., S. 117
- ↑ Quelle: Anonymus, "Griechische Antike und Mythologie", online unter http://www.griechische-antike.de/mythologie-perseus.php (nicht mehr online)
- ↑ Quelle: Duden, online unter http://home.arcor.de/eimerbauer/dreadlocks.html (nicht mehr online)
- ↑ Quelle: Anonymus, http://www.melifon.de/Dreadlocks (nicht mehr online)
- ↑ Quelle: Paul A. Barton, "BLACK CIVILIZATIONS OF ANCIENT AMERICA (MUU-LAN), MEXICO (XI) - Gigantic stone head of Negritic African during the Olmec (Xi) Civilization" bei http://www.raceandhistory.com/historicalviews/ancientamerica.htm --- Bei Atlantisforschung.de als deutschsprachige Erstveröffentlichung unter dem Titel: "Schwarze Zivilisationen Alt-Amerikas (Muu-Lan) und Mexikos (Xi)"
Bild-Quellen
(1) Bilquelle unbekannt
(2) http://myht.creative-work.de/html/gorgon.htm
(3) http://demo.interred.de/fachbeitraege/image/12328_6b35a538ae.jpeg
(4) http://www.karlgrobl.com/Nepal%20new/sadhu%206%20foot%20dreadlocks%20foot%20behing%20head%202.htm