Thera - Ursprung der Atlantis-Legende I

von Dr. Spyridon Marinatos


Die glückliche Insel der Ägypter

Ein weiterer Beitrag zu den mehr als zweitausend [1] Büchern und Zeitschriftenveröffentlichungen über Atlantis mag vielleicht überflüssig erscheinen; vom rein wissenschaftlichen Standpunkt könnte er vermessen wirken. Unter diesen Vorbehalten hat Robert L. Scranton, bekannt für seine Studien zu griechischen Befestigungen und einer der jüngsten Amerikaner in der Forschung nach Atlantis, eine neue Seite eingefügt. In einem Artikel stellte er die sehr originelle, wenn auch recht kühne Hypothese auf, daß die Legende von Atlantis auf der Zerstörung der großen Drainagewerke der Minoer beruhe, als die Ebene von Orchomenos von den Wassern des Sees Copais [2] überflutet wurde.

Abb. 1 Die heutigen Überreste der Vulkaninsel Thera (San Torin), die bei einem Ausbruch, etwa im Jahr 1500 v.Chr., völlig zerstört wurde.

Ich werde versuchen, mich mit ähnlichen Vorbehalten zu diesem Thema zu äußern, um so mehr, als mir eine umfassende Bibliothek nicht zur Verfügung steht. [3] Das ist vielleicht gar nicht so wichtig, weil ich beabsichtige, mich auf eine frühere Theorie zu stützen, für die allein ich verantwortlich bin. Diese Theorie bezieht sich auf den großen Ausbruch auf Thera (Abb. 1) um 1500 v. Chr., der zweifellos einen unauslöschlichen Eindruck auf die Geister der Bewohner des östlichen Mittelmeeres gemacht hat. Eine kurze Zusammenfassung von zwei in Athen gehaltenen Vorlesungen wurde veröffentlicht in Transactions of the Anthropological Society of Athens (1948, S. 50-55).

Eine Überprüfung des Gegenstandes vom geologischen Standpunkt aus wäre, wie ich glaube, wenig nützlich, und geht über mein Fachgebiet hinaus; deshalb werde ich nur meinen Kollegen dieses Gebietes zitieren, Professor J. Trikkalinos, der schreibt: "... kein Beweis kann erbracht werden, um die Hypothese eines großen Landgebiets im Atlantik, das ist Atlantis, zu rechtfertigen, das in historischer Zeit verschwunden sein könnte."

Ich schlage vor, die Legende von Atlantis in Einzelheiten zu überprüfen, denn das könnte zu konkreteren Schlüssen führen. Erst müssen wir klären, ob wir es mit einer Fabel oder einer historischen Legende zu tun haben. Ist letzteres der Fall, dann müssen wir alle Mythen, die einen historischen Kern haben, sorgfältig studieren, und danach müssen wir versuchen, die rein historischen Elemente von allen anderen zu trennen, um sie mit anderen zu kombinieren und so zu mehr oder weniger historischen Schlüssen zu gelangen.

Die Fabeln können wir, glaube ich, mit Sicherheit ausschließen. Platos Fantasie kann nicht gut einen so einmaligen Bericht, der in der klassischen Literatur auch nicht üblich war, nur erdichtet haben. Erst später erscheint diese Form des Schreibens. Aus diesem Grund wird der Der Bericht von Plato selbst als "Überlieferung" bezeichnet. Zu erwähnen wäre noch folgendes: Wenn der Bericht in einigen Teilen den Stempel der Fabel trägt, so muß dies den Ägyptern und nicht Plato zugeschrieben werden. Wir besitzen nämlich eine Geschichte aus der Zeit des Mittleren Königreichs (2000 - 1750 v. Chr.), die auf Papyrus erhalten und heute in Leningrad ist.

Das ist die berühmte Geschichte vom schiffbrüchigen Reisenden, in der ein Ägypter berichtete, wie er schiffbrüchig wurde, als er zu des Pharaos Minen reiste, womöglich nach Sina. Seine Vorsicht erwies sich als nutzlos, obwohl er ein Schiff von 120 Ellen Länge und 40 Ellen Breite gewählt hatte, das mit den besten ägyptischen Seeleuten bemannt war. Sie kannten den Himmel und die Erde, und ihre Herzen waren mutiger als die der Löwen. Sie konnten den Sturm vorhersagen, ehe er losbrach, und schlechtes Wetter, ehe es heranzog.

Abb. 2 Fresco aus einem Haus auf Thera, kretisch-minoisch, 15. Jahrhundert v. Chr.

Trotzdem brach ein furchtbarer Sturm los, und eine vom Wind getriebene Welle von acht Ellen Höhe zerschlug das Schiff, und alle kamen dabei um, bis auf unseren schiffbrüchigen Reisenden, der sich an einen Balken klammerte und auf eine Insel geworfen wurde. Dort lebte ein wundervoller Drachen von etwa dreißig Ellen Länge, dessen Körper ganz mit Gold bedeckt war. Sein Bart war mehr als zwei Ellen lang, die Augenbrauen bestanden aus reinem Lapislazuli. Er schnappte den Schiffbrüchigen mit seinen Kiefern und trug ihn zu seinem Lager. Doch er tat ihm nichts Böses, hörte seine Geschichte an und sagte zu ihm, er sei "auf einer Insel im Meer, und beide Küsten lägen in der Mitte von Wellen ... Das ist eine Insel gesegneter Wesen, wo alles gefunden werden kann, was das Herz begehrt, und große Reichtümer dazu." Seine Brüder mit all ihren Kindern, alles in allem 75 äußerst glückliche Drachen, lebten auf der Insel, aber einmal, als er abwesend war, fiel ein Stern vom Himmel und verbrannte sie alle zu Zunder. Er prophezeite, daß bald ein Ägypter von einem Schiff weggeholt werde, daß seinen Landsleuten gehöre, und er würde glücklich und zufrieden im Kreis seiner Familie sterben. Er überhäufte ihn mit Geschenken und sagte, er sei der Herr von Punt, und alle Wohlgerüche und Myrrhen gehörten ihm. Aber "niemals mehr wirst du diese Insel sehen, weil sie von den Wellen verschlungen wird." [4]

Die Geschichte von der glücklichen Insel mit den zufriedenen Bewohnern, die alle untergehen sollten, war dem Ägypter bekannt. Das ist die Geschichte, die der Priester von Saïs mit anderen Traditionen von Atlantis vermischte, weil sie sehr ähnlich waren. Und nun müssen wir einmal überprüfen, wie historische Legenden von einer Generation zur anderen und von Mund zu Mund weitergehen.


Zur Überlieferung historischer Legenden

Die Instinkte der Seelen eines Volkes sind in allen Zeitaltern und Zivilisationen gleich, und vermutlich deshalb enthalten alle historischen Legenden folgende Elemente: Namen werden umgeformt oder verstümmelt. Ereignisse, die wirklich stattgefunden haben, vermischen sich mit Fantasieerzählungen. Die Orte, wo verschiedene Ereignisse stattfanden, werden verwechselt oder mit anderen ausgetauscht, und die Zeit wird in eine unendliche Vergangenheit zurückverlegt. Verschiedene Zeitalter und Persönlichkeiten verschmelzen zu einer Periode, zu einer Figur. Einige Namen bleiben meistens erhalten, auch einige kulturelle Errungenschaften, die jedoch eng in die Geschichte verwoben werden. Die Tradition wird mit unbedeutenden Ereignissen angereichert und abgewandelt, solchen also, die der Fantasie des Menschen entgegenkommen, während historisch wichtige Vorfälle übergangen werden. Beispiele dafür, die jedoch in eine spätere Zeit gehören, sind Alexander der Große und Attila, der Hunnenkönig, der ja viele Namen hat.

Eduard Meyer, der berühmte Historiker, übergeht diesen Punkt nicht und bemerkt dazu: "Historische Ereignisse werden in die populäre Mythologie eingeschleust...Sie werden mit Material anderer Herkunft vermischt, daß teils aus aus Mythen, teils aus Geschichten stammt, und so unterliegen sie einer völligen Veränderung. Der Trojanische Krieg ist mit dem Mythos von Helena und Achilles verschmolzen und weitete sich aus zum Mythos des Odysseus. Der Mythos der Sieben von Theben erscheint in Verbindung mit dem Mythos von Ödipus und Teiresias, dies wiederum ist mit Amphiaraus verbunden, einem Gott in der Nähe von Oropos im Land der Graeaner. Ursprünglich waren diese Überlieferungen voneinander unabhängig, doch später wurden sie Teil der Mythen vom Krieg gegen Theben. Die Verwicklungen gehen aber noch immer weiter." [5]

Der historische Kern ist klar. Der berühmte Gelehrte der Vorgeschichte und Geschichte fährt weiter fort: "Wir können uns vorstellen, daß der Krieg der Sieben ein welterschütterndes Ereignis war, aber es ist bezeichnend - das geht auch aus den deutschen Heldensagen deutlich hervor -, daß der Stolz oft viel wichtiger ist als eine bedeutende historische Tatsache. Dinge wie römische Invasionen haben praktisch keine Spur im Gedächtnis der Völker hinterlassen." Eduard Meyer bezieht sich auch auf die weltbekannte Tatsache, daß das Nibelungenepos mit den Ereignissen in Burgund in Verbindung steht. Ein Analoges Beispiel aus einer ganz anderen Zeit ist die Rivalität zwischen zwei verarmten Dynastien, der von Larsa und von Isin - die Zivilisation der Sumerer - die so nachhaltig auf die Fantasie der Bevölkerung einwirkte, daß man den Beginn einer Liebesgeschichte eigens erwähnt, wirklich große Ereignisse jedoch wie die Gewinnung von Eannatum, den großen Lugal Zaggizi oder sogar Sargon den Großen von Akkad praktisch übergeht.

Ein sehr typisches Beispiel liefert auch Herodot (Abb. 3), dessen Informationen grundsätzlich aus dem Volk und dessen Geschichten kamen, noch mehr von den allgegenwärtigen Laienführern, die damals schon die gleiche Pest waren, wie ihre modernen Gegenstücke es heute sind. Die Leute glaubten, die aufsehenerregendsten Werke in Babylon seien zwei Königinnen zuzuschreiben, der Semiramis und der Nitocris, besonders letzterer; das wurde Herodot erzählt. Aber über Babylon hat keine Königin regiert. Semiramis war sicher eine historische Gestalt, jedoch mehr als Königinmutter von Assyrien und niemals als Königin, denn sie war allenfalls vier Jahre lang Regentin für ihren Sohn Adad Nirari IV. während der Zeit seiner Minderjährigkeit um 810 v. Chr. Nitocris schreibt man Werke einiger Könige zu, besonders die des Nebukadnezar II., aber es gab sie niemals.

Die Großtaten einer Reihe ägyptischer Herrscher wurden von den Leuten einem einzigen König, Sesostris, zugeschrieben; er war eine historische Gestalt und ein großer König der Zwölften Dynastie (1900 v. Chr.), aber die von ihm angeblich vollbrachten Taten verteilten sich auf einige Jahrhunderte. Sein Name ging den Leuten eben glatter von der Zunge. Der Ägyptologe Spiegelberg betont, daß Herodot sein Wissen von den Leuten bezog. Er erklärt auch, wie ein Laienführer Herodot erzählte, als dieser die Pyramiden besuchte, welche Unmengen von Zwiebeln und Knoblauch von den Arbeitern verbraucht wurden, die am Bau der Pyramiden mithalfen. [6]

Abb. 3 Der griechische Geschichtsschreiber Herodot. (484 - 424 v. Chr.) Bei seinen Bildungsreisen schaute er 'dem Volk auf´s Maul'.

Wir beschränken uns auf ein einziges Beispiel aus Griechenland, ein besonders bezeichnendes allerdings. Es sind die Mythen um Minos. Heute wissen wir, daß es auf Kreta viele Paläste gab, von denen jeder etwa fünf oder sechs Jahrhunderte lang existierte. Viele großartige Männer müssen ihren Geist in diesen Palästen verewigt und sie durch ihre brillanten Persönlichkeiten berühmt gemacht haben. Aber die menschliche Erinnerung an diese Zeit konzentriert sich auf einen einzigen Dynasten, Minos von Knossos, der manchmal 'aufgeteilt' wird in einen Minos den Älteren und einen Minos den Jüngeren, weil man einsah, daß ein Mensch unmöglich all dies geschaffen haben konnte. [7]


Eine Revision der Platonischen Zeitangaben

Nun prüfen wir die Mythen um Atlantis nach. Hier haben wir es nicht nur mit dem Problem von dessen Lage zu tun - Atlantischer Ozean - sondern vor allem mit der Zeit, den Ereignissen also, die mit Atlantis verbunden sind. Man nimmt an, sie hätten neuntausend Jahre vor ihrer Erzählung stattgefunden, und zu diesem Anachronismus müssen wir nun ein paar Worte sagen.

Wir sind heute in der Lage, mit sehr großer Gewißheit die großen Zivilisationen auf unserer Erde bis 4000 v. Chr. zurückzuverfolgen, daß heißt also sechstausend Jahre von heute aus gerechnet. Die Existenz des Menschen, so sagen die Fachleute, könne 600 000, vielleicht eine Million weit verfolgt werden, den Beweis von Leben haben wir über 800 Millionen Jahre! Dieses Wissen beeindruckt den Geist des Menschen ungemein. Die ältesten europäischen Nationen haben eine politische Geschichte, die kaum über tausend Jahre hinausreicht. Die älteste der historischen Nationen Europas, die Griechen, können auf nicht mehr als allerhöchstens dreieinhalb Jahrtausende zurückschauen, die Ägypter und Sumerer vielleicht auf fünftausend Jahre. Das Mittelalter gab sich damit zufrieden, den Beginn der Welt nach den Überlieferungen Israels etwa in das Jahr 4004 v. Chr. zu verlegen, und die Zeit fällt etwa zusammen mit den noch ins Dunkel getauchten allerfrühesten Anfängen der erwähnten Zivilisationen. [8]

Seither ist der Fortschritt gleichmäßig, ja spektakulär. Der Mensch entdeckt neue Kontinente, dann um schiffte er die ganze Erde. Obwohl die Kirche drohte und Galiliei mit Aberglauben und und Gefahr zu kämpfen hatte, wurde mit Teleskopen und Spektroskopen ins Chaos des Universums vorgestoßen. Heute können wir ahnen, ein wie winziges Stückchen Materie die Erde im Universum ist und welch kleinen Teil eines Moments in der ganzen Erdgeschichte die menschliche Zivilisation ausmacht. Wie weit zurück reicht das Gedächtnis des Menschen? Für das Problem Atlantis ist das von überragender Bedeutung.

Abb. 4 Platons Beschreibung von Alantis und seine chronologischen Angaben stellen für Marinatos einen Anachronismus dar.

Millionen von Jahren waren notwendig, bis sich das Land und die Ozeane des Paläozoikums abkühlten. Algen, Korallen, Mollusken und ähnliche primitive Lebewesen erschienen auf unserem Planeten, dann kamen allmählich Bäume und Wälder, neue Lebensformen wie die Riesensaurier im Mesozoikum, und das Tertiär sah riesige Veränderungen in der Erdkruste. Die frühen Tiere verschwanden, dafür kamen ungeheuer große Säugetiere, die auch schon seit undenkbaren Zeiten ausgestorben sind. Gegen Ende dieser Periode tauchte der Pithecanthropus auf, und nun spaltete sich der Mensch von der Großfamilie der Primaten ab und entwickelte sich in einer anderen Richtung weiter. All diese Evolutionen werden nach Jahrmillionen gerechnet. Die letzte Periode, das Quartär, zu dem wir gehören, ist in zwei Abschnitte geteilt: das frühe und das spätere Quartär. Das tierische Leben des früheren Quartärs ist erloschen, das Mammut, der Elephas Antiquus, Höhlenbären und Hirscharten. Gletscher breiteten sich einmal aus, dann schmolzen sie wieder ab.

Zum zweiten Teil dieser Periode gehören die geologischen Formationen, die die Kontinente in ihre derzeitige Form brachten. Vor dem Beginn dieser Periode, also noch in frühen Quartär, etwa 20000 Jahre vor Chr., löste sich England vom europäischen Kontinent, Afrika trennte sich von Europa, das Mittelmeer formte sich , nachdem die letzte Verbindung zwischen Spanien und Italien unterbrochen war. Um diese Zeit wurde die Ägäis überflutet und auch das Land, das Europa mit Nordamerika verband; vielleicht sogar das Land, das Ostasien und Alaska vereinte.

Und nun fragen wir, ob der primitive Mensch jener Periode in der Lage war, Erinnerungen an diese geologischen Ereignisse zu behalten. Es wird angenommen, daß viele Menschen durch Sunda nach Australien reisten, ehe sich das uns heute bekannte Polynesien in der Straße von Sunda formte. Wellen von Stämmen können ebenso durch die Korridore Alaskas nach Amerika gekommen sein, auch Menschen und Tiere durch die erwähnten Korridore des Mittelmeerraums nach Asien. An alle diese Bewegungen besteht keine Erinnerung.

Die ältesten geologischen Erinnerungen des Menschen sind die an Sintfluten. Auf allen Kontinenten, vielleicht mit Ausnahme Afrikas, gibt es solche Flutlegenden. Die biblische Flut läßt sich in die Zeit der Sumerer zurückverlegen. Sie war die Quelle der hebräischen Überlieferung (Abb. 5). Die Ausgrabungen in Ur lassen auf ein großes Unglück schließen, das sich um 4000 v. Chr. ereignete. Da die in Ägypten erzählte Version feststellt, daß Atlantis jenseits der Säulen des Herkules, also im heutigen Atlantik lag, und neuntausend Jahre seit seinem Untergang verflossen seien, so folgt daraus, daß wir hier von Unmöglichkeiten ausgehen. Selbst die Loslösung von England oder das Versinken eines Festlands im Westatlantik, in der Sargasso-See, wie man sich vorstellen könnte, läge zeitlich so weit zurück, daß eine solche Tatsache der menschlichen Erinnerung längst entfallen wäre.

Wir können also nur den Kern der Legenden um Atlantis akzeptieren und die Tatsache, daß die Katastrophe in einer anderen als unserer historischen Zeit stattfand; Zeit und geographische Lage bleiben jedoch offen. Es sind auch Beweise dafür vorhanden, daß Ägypter und Sumerer ihre Chronologie arg mißhandelt haben. Eine positive Tatsache führt uns zum chronologisch richtigen Rahmenwerk, zum blühenden Hellas, das zweifellos eine wesentliche Rolle in der Geschichte von Atlantis spielt. Wir kommen unausweichlich zum 16. oder 15. Jahrhundert v. Chr. zurück, als die kretisch-mykenische Zivilisation auf ihrem Höhepunkt stand. Und nun können wir bezüglich Atlantis auch eine ungefähre Rechnung aufstellen.

Abb. 5 Am Anfang aller Überlieferungen stehen Sintflut-Mythen. Hier eine Darstellung von Utnapischtim, dem 'mesopotamischen Noah'. Rollsiegel aus dem frühen 3. Jahrtausend v. Chr.

Kritias [9] berichtet uns von einer äußerst wichtigen Überlieferung bezüglich der Größe Athens Die Quelle dieser Überlieferung ist Solon, der sie Dropides erzählte, Kritias Urgroßvater, mit dem der große Gesetzgeber familiär eng verbunden war. Kritias´ Großvater, der ebenfalls Kritias hieß, wiederholte sie vor seinem Enkel wie folgt: Solon [10], der zu Besuch in Ägypten weilte, sprach mit den Priestern der Neith ("Athene") in Sais. Solon ergriff die Gelegenheit und erzählte den Ägyptern, deren Vergangenheit unvergleichbar war und auf die sie ungeheuer stolz waren, daß alles, was er über Griechenland wisse, sehr alt sei, und erzählte von Phoroneus und Niobe und der Deukalionischen Flut, worauf einer der Priester sagte:

"Solon, Solon, ihr Griechen seid und bleibt Kinder, denn ihr wißt nichts, das wirklich alt wäre. Du sprichst von einer Katastrophe, und dabei gab es doch viele. Anderes Unglück kam durch Feuer, als die Ordnung des Universums sich veränderte. Wenn du von Phaeton sprichst, meinst Du diese Tatsache. Nach jedem Unheil wurden die kultivierten und gebildeten Elemente der Bevölkerung vernichtet, und es blieben nur die Schäfer auf den Bergen. Deshalb erinnerst du dich an nichts. Vor neuntausend Jahren aber habt ihr eine großartige Tat getan, denn ihr habt eine mächtige, arrogante Macht gedemütigt, die von der Atlantischen See kam, wo sich eine Insel befand, die größer war als Asien und Afrika zusammen (...)"

Diese Erzählung ist lang und löst sich mit Theorien über Kosmogonie und Philosophie ab.[11] Unsere Kenntnis der ägyptischen Literatur und Gedankenwelt ist heute soweit entwickelt, daß wir zwischen rein ägyptischen Elementen und den Beweisen von Platons griechischem Intellekt unterscheiden können. Hier ist das nicht unbedingt nötig, und für unseren Zweck genügt diese Zusammenstellung. Die Legende können wir, so wie sie ist, nicht akzeptieren, aber wir können die Fantasie von der Wirklichkeit trennen. Ist das Problem von Ort, und vor allem Zeit gelöst, so ist die Geschichte recht klar und leicht nach den Grundsätzen des Ursprungs historischer Legenden zu identifizieren, die wir vorher ausführten. Die Erklärung, wo diese untergetauchte Insel liegt, folgt später. Wegen der neuntausend Jahre können wir nur sagen, daß um diese Zeit keine Griechen existierten, die heroische Taten hätten vollbringen können und auch keine Ägypter, um sie aufzuschreiben.

Die sogenannten Pyramidentexte, die ältesten fortlaufenden Texte der Ägypter, gehören etwa in die Mitte des dritten Jahrtausends, doch sie betreffen nur religiöse Formeln. Wir besitzen historische Texte von bedeutender Länge erst aus der Zeit der 18. Dynastie. Die bedeutendsten sind jene aus der Zeit von Thotmes III. (1500-1447) und Ramses II. (1292-1225) und die späteren Texte von Merenptah und Ramses III. An diese letzteren Texte muß der Priester von Sais wohl gedacht haben, als er mit Solon sprach.

In einem anderen Dialog [12] erzählt Plato, hätten sich die Ägypter öfter auf einen Krieg gegen die Atlanter und auf Cecrops, Erechtheus, Erysichthon und andere bezogen, die vor Theseus gelebt hatten. Plato gibt zu, daß diese Namen genannt wurden. Nimmt man diese Ereignisse als Beweis, so ist Platos Meinung, daß wir uns im zweiten Jahrtausend befinden, die einzig mögliche. Die einfachste Methode wäre wohl die, wenn man die Geschichte Ägyptens parallel zu der Ära Kreta-Mykene im zweiten Jahrtausend skizzierte mit einigen Worten über die Jahre der Periode Saïs. So wird die Sache, bezogen auf die Elemente, aus denen die Geschichte von Atlantis gewoben ist, für sich selbst sprechen.


Fortsetzung:

Thera - Ursprung der Atlantis-Legende II


Quellen und Anmerkungen

  1. Quelle: J. Trikkalinos: Transactions of the Greek Anthropological Society, 1948, S.55 (in griechischer Sprache)
  2. Quelle: R. Scranton: "Lost Atlantis Found Again?" in: Archaeology, 2, 3, Herbst 1949, S. 159 f.
  3. Nur vom Titel her kenne ich das letzte oder eines der letzten Bücher über dieses Thema (Georges Poisson: L´Atlantide devant la science, Paris 1945
  4. Quelle: Golenischefff: Les Papyrus hiéatiques de l´érmitage impérial de St. Petersburg, 1913; und: Le Conte du Naufragé Cairo, 1912. Erman-Ranke, Ägypten 603-605
  5. Quelle: Eduard Meyer: Geschichte des Altertums, 2, 1, (2. Auflage 1928), S. 256-8
  6. Herodot 2, 125 (sechzehnhundert Talente Silber sollen für diese Delikatessen während des Baus der Cheopspyramide ausgegeben worden sein). Siehe W. Spiegelberg: "Die Glaubwürdigkeit von Herodots Bericht über Ägypten im Lichte der ägyptischen Denkmäler", in Orient und Antike, 3, S. 16, Anm. 12. Herodot besuchte Ägypten für 3 1/2 Monate vom August bis November, etwa 450. Es könnte zwei Autographen von ihm geben, denn zwei Tonscherben tragen seinen Namen in einer Schrift, die zur Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. gehört. Sie wurden in den heiligen Bezirken (Hellenium) in Naukratis gefunden, wo die Besucher Vasen und dergleichen opferten. Wird allgemein Sesostris zugeschrieben und Eroberungen von Pharaonen, die 700 Jahre später lebten (Thotmes III., Amenophis oder Amenhotep III. und besonders Ramses II.), op. cit. S. 13 und 24.
  7. Mein Aufsatz über die königliche Genealogie von Kreta im noch erscheinenden Mélanges Charles Picard wird darüber genauer berichten.
  8. Siehe Arnold Toynbee, britischer Historiker, in seinem Civilization on Trial, 1948, S. 151 f., in dem er ähnliche und noch fortschrittlichere Ansichten in seinem bekannten originellen Stil bietet
  9. Quelle: Plato, Timaios, 21b f.
  10. Solon lebte von 640/39 bis 559/8 v. Chr. Irgendwann nach 572 emigrierte er nach Ägypten. Er war zehn Jahre lang von zu Hause weg, und in dieser Zeit besuchte er andere Länder.
  11. So ist zum Beispiel die Theorie über die Zerstörung der Welt durch Fluten und Feuer (Timaios 22c) auch die der alten Babylonier über Feuer und Flut, die später von den Stoikern aufgenommen wurde. Siehe auch B. Meisner: Babylonien und Assyrien, Bd. II, S. 118.
  12. Kritias 110 a-b. Natürlich können wir nicht wissen, ob die Erzählung wirklich Ägyptischen Ursprungs ist oder von Platon erfunden wurde, was wahrscheinlicher sein dürfte. Die Ägypter könnten sich jedoch an einige Namen aus der großen mykenischen Überlieferung erinnert haben. Wichtich ist das jedoch nicht, denn wir wissen, wenn die Ägypter Ereignisse aus dem >fernen< ägäischen Zeitalter bemerkten, könnte dies nicht gut einem anderen als dem 2. Jahrtausend zugeschrieben werden.


Bild-Quellen

(1) http://www.crystalinks.com/atlantistheories.html

(2) http://www.ddg.com/LIS/InfoDesignF97/car/Plato2.htm

(3) http://www.parlinkom.gv.at/pd/pk/2001/PK0591.html (nicht mehr online)

(4) http://www.avectour.com/atlantis.htm (nicht mehr online)

(5) http://www.ddg.com/LIS/InfoDesignF97/car/Waters1a.htm