Der Ario-Atlantismus im 'Dritten Reich'

Dieser Beitrag ist in Arbeit!

Abb. 1 Heinrich Himmler (1900-1945) war der hochrangigste Repräsentant des quasi 'staatlichen' Ario-Atlantismus im 'Dritten Reich'.

Die Tatsache, dass sich der nachweisbare Einfluss des Ario-Atlantismus auf die universitäre Urgeschichtsforschung in der Spätphase der 'Weimarer Republik' und während des 'Dritten Reichs' in engen Grenzen hielt, hat keineswegs damit zu tun, dass man in Kreisen des 'Real existierenden Wissenschaftsbetriebs' jener Zeit gegen ariozentrisch-rassistisches Gedankengut gefeit gewesen wäre; vielmehr galten das Thema 'Atlantis' bzw. die Atlantisforschung dort bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts als gänzlich inakzeptables "no go area" - ein Dogma, gegen das sich nur akademische Ausnahmepersönlichkeiten wie Adolf Schulten (1870-1960) und Leo Frobenius (1873-1938) aufzulehnen wagten.

So stieß weder die explizit ario-atlantistische Vorstellung von Germanen als Abkömmlingen einer versunkenen arktischen Ur-Kultur noch die klassische Atlantis-Lokalisierung im Atlantik empirischer Atlantologen im Bezirk universitärer Forschung auf nennenswerte Akzeptanz, geschweige denn auf 'Gegenliebe'. Frank Joseph stellt dazu in seiner Atlantis-Enzyklopädie (The Atlantis Encyclopedia) aus dem Jahr 2005 fest: "Während der 1930er Jahre glaubten sowohl deutsche als auch nicht-deutsche Anthropologen, dass die indo-europäischen Völker entweder aus den Steppen Zentral-Russlands oder aus Nordeuropa stammten, in etwa einem Gebiet, das ungefähr den [heutigen] baltischen Staaten entspricht" [1] Zu den wenigen bekannt gewordenen deutschen Wissenschaftlern, die sich dem entgegen begeistert der Vorstellung eines arischen Atlantis hingaben, gehörte der Geograph und Historiker Albert Ludwig Herrmann (1886-1945), dessen 1934 erschienenes Buch „Unsere Ahnen und Atlantis: nordische Seeherrschaft von Skandinavien bis nach Nordafrika“ eine deutliche ario-atlantistische Tendenz aufweist.

Jedenfalls übten die neuen, nationalsozialistischen Machthaber in Sachen 'Atlantis' keinerlei Druck auf die universitären Eliten aus. "Im offiziellen Vokabular der Nazis spielte Atlantis, wie es bei Arn Strohmeyer heißt, "keine Rolle. Hitler ging sogar äußerst hart gegen alle esoterischen Sektierer und Schwärmer in dieser Richtung vor." [2] Tatsächlich muss hier aber das Wort "offiziell" ganz besonders betont werden, den einzelne "Größen" des NS-Regimes, wie etwa Heinrich Himmler (Abb. 4), waren nachweislich praktizierende Ario-Atlantisten, aber in Bezug auf den publizistischen Umgang mit dem Atlantis-Komplex zeigten die Nationalsozialisten eine geradezu frappierende Indifferenz.

So war es trotz der 'Gleichschaltung' der Medien nach ihrer Machtergreifung durchaus möglich, im Bereich populärwissenschaftlicher Atlantis-Literatur auch Modelle eines explizit "nicht-arischen" Atlantis zu publizieren, wie das Beispiel des 'Flügelmajors' Kurt Bilau (1872-1941) zeigt, der in seiner atlantologischen Publikation "Die Offenbarungen Johannis - Ein Mondniederbruch vor 11 400 Jahren" von 1935 sogar eindeutig Position gegen die Annahme arischer Urkultur beziehen konnte, und stattdessen eine cro-magnoide Hochkultur "rotäutiger" Menschen propagierte, deren direkte Nachfahren die heutigen Indianer seien. [3]

Abb. 2 K.G. Zaetschs "Atlantis Die Urheimat der Arier" (1934) ist ein hervorragendes Beispiel für Ario-Atlantismus als "populärwissenschaftliche Umsetzung des Atlantis-Mythos in einer nordistisch-rassistischen Variante" (F. Wegener).

Natürlich stellte Bilau mit seinen "rothäutigen" Atlantisbewohnern für den Bereich der populärwissenschaftlichen Literatur des Dritten Reichs eine, immerhin bemerkenswerte, Ausnahmeerscheinung dar. Neben dem bereits erwähnten, dem universitären Bezirk zuzurechnenden, Leo Frobenius (der Platons versunkenes Vorzeit-Reich im Gebiet des heutigen Nigeria lokalisierte, und dahinter eine "schwarze" Hochkultur vermutete) war er der einzige Atlantisforscher seiner Zeit, der das Bild eines "nicht-weißen" Atlantis skizzierte.

Die große Masse an populärwissenschaftlichen und auch fiktionalen Veröffentlichungen zum Thema Atlantis, die zwischen 1933 und 1945 erschien, lieferte lediglich Variationen zum Thema 'Glanz und Glorie der arischen Atlanter'. Zu den damals viel gelesenen und vergleichsweise umsatzstarken "Klassikern" des ario-atlantistischen Genres gehört Karl Georg Zschaetzschs, bereits 1922 erstveröffentlichtes Buch "Atlantis: Die Urheimat der Arier" (Abb. 2), das zunächst 1934, und dann noch einmal 1937 wieder aufgelegt wurde.

Der Historiker und Atlantologie-Kritiker Pierre Vidal-Naquet (1930-2006) bemerkte dazu: "Betrachtet man die beigefügte Karte (siehe S. 117), so ist sein Atlantis relativ klein, etwa von der Größe Spaniens, und liegt vor den Küsten Spaniens und Marokkos. Unbekümmert vermischt der Autor Platon, Jordanis und die Edda nach Art von Rudbeck, den er aber nicht zitiert. Seelenruhig erklärt er uns, dass der Geschichtsschreiber der Goten (Jordanis), als er von der skandinavischen Halbinsel als der 'vagina gentium' sprach, Atlantis gemeint habe, denn dies sei das wahre Ursprungsland der Goten. Auch die Franken stammten von dorther, ebenso die Sachsen, die Großbritannien bevölkert haben. Zschaetzschs Weitblick oder Großmut reicht so weit, dass er sogar bei den Inkas in Peru Spuren von Atlantis entdeckt. Herakles, Indra, Thor, Inti-Kapak - sie alle sind also Helden aus dem Stammland Atlantis. Ein Satz scheint mir den Schlüssel zu diesem schmalen Buch zu liefern: >Ohne arische Grundsätze kann eben kein Staat bestehen.<" [4]

Lassen wir hier einmal Vidal-Naquets Polemik gegen die Annahme beiseite, die Kulturen Altamerikas könnten etwas mit Atlantis zu tun gehabt haben, und begnügen wir uns diesbezüglich mit der Feststellung, dass sie in Zschaetzschs Fall keineswegs das Ergebnis einer, im eigentlichen Sinn atlantologischen, Forschung darstellt, sondern auf Kolportage ihm genehmer, bunt zusammengewürfelter Quellen und deren ebenso fadenscheiniger wie tendenziöser Interpretation beruht. Selbiges gilt auch für Zschaetzschs Ausschlachten der Edda - in der Tat eine legitime Quelle der Atlantisforschung -, die er ebenso für seine Zwecke instrumentalisiert wie auch das Alte Testament (was Vidal-Naquet entgangen zu sein scheint).

So lässt Zschaetzsch etwa

http://books.google.de/books?id=wyNdSdqC008C&pg=PA118&lpg=PA118&dq=Karl+Georg+Zschaetzsch&source=bl&ots=b9MUDOnNhV&sig=_R-UqkH0RNJzR-0l6k-n6aMAwww&hl=de&ei=EXxNS-b1GJDz_Aavt4ygDg&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=4&ved=0CBQQ6AEwAzgy#v=onepage&q=Karl%20Georg%20Zschaetzsch&f=false


Der Sündenfall, Ausweisung der Fremdlinge aus dem Idafeld, Der erste Mord auf Atlantis, Der erste Kampf, Kriegerischer einfall der Bergbewohner, Das Idafeld wird aufgegeben, Der junge Thor ruft zur Gegenwehr, Zurückeroberung, Thors Krönung zum König von Atlantis, Der Hohepriester Loki besteigt den Königsthron, Die Könige Niörd und Freyr, Der schweigsame Ase, Der letzte König von Atlantis, Entscheidungsschlacht auf dem Wigrid Felde, Landung der Altathener, Vernichtung der Priesterschaft, Sintflut, Gedenktage der atlantischen Vorzeit, Einwanderung in den Norden Europas, Überlieferungen der germanischen Stämme und anderes mehr. Das Thema wurde auch in Zschaetzschs kompakten Werk "Die Herkunft und Geschichte des arischen Stammes" behandelt.


Ähnlich wie Zschaetzschs Ergüsse ist auch Heinrich Pudors Buch "Völker aus Gottes Athem. Atlantis-Helgoland, das arisch-germanische Rassenhochzucht- und Kolonisationsmutterland" einzuschätzen, das nach Angaben des Autors bereits 1931 weitgehend fertiggestellt, aber erst 1936 veröffentlicht wurde. Über den Inhalt heißt es bei Franz Wegener: "Die Atlantis " S. 39-40

http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/Pudor.pdf

http://www.michis-seiten.de/seite380.html

Anmerkungen und Quellen

  1. Quelle: Frank Joseph, "The Atlantis-Encyclopedia", Career Press, 2005, S. 265
  2. Quelle: Arn Strohmeyer, Atlantis ist nicht Troja - Über den Umgang mit einem Mythos, Donat Verlag, Bremen, 1997, S. 116
  3. Anmerkung: Interessanter Weise erschien in den USA im selben Jahr unter dem Titel "The Tribes and the States" ein, von dem vormaligen 'Wunderkind' William James Sidis (1898-1944) popularisiertes, ursprünglich von einer indianischen Organisation namens American Independence Society herausgegebenes Werk, in dem die Autoren ebenfalls erklärten, die Native Americans stammten von dem cro-magnoiden Bewohnern der legendären Insel ab. Siehe dazu bei Atlantisforschung.de: "Die Prähistorie der Roten Rasse". Im Nachkriegsdeutschland war es dann Otto Muck (1882-1956), der 1956 in "Atlantis - Die Welt vor der Sintflut" die These "roter", cro-magnoider Atlantier wieder aufleben ließ.
  4. Quelle: Pierre Vidal-Naquet, "Atlantis - Geschichte eines Traums", C.H. Beck, 2006, S. 118 (Vidal-Naquet zitiert: A. Herrmann, "unsere Ahnen und Atlantis", S. 25)


Bild-Quellen

(1) Wikiquote, unter: File:Bundesarchiv Bild 183-R99621, Heinrich Himmler.jpg

(2) scienzz online, 29.05.2006 - MYTHOLOGIE: Josef Tutsch, Platon und der Jardin du Luxembourg - Ein französischer Historiker über die Suche nach Atlantis