Diodorus Siculus und die platonische Atlantida

Eine zweite Atlantisüberlieferung

Abb. 1 Als Diodous Siculus das historische Wissen seiner Zeit zum Westland und der Inselwelt des Atlantik zusammenstellte, hatte sich bereits das Dunkel des Vergessens über diese ferne Vergangenheit gebreitet und über die Atlantiden gab es nur noch stark mythisierte Wissens-Relikte und Legenden.

(bb) Da wir uns unter Rückgriff auf die Ergebnisse der Arbeit von Dr. Martin Freksa auch an anderer Stelle [1] mit Diodors Verhältnis zur platonischen Atlantis-Überlieferung beschäftigen, sollen hier hier zunächst unserere bisherigen Feststellungen zusammengefasst werden, um dann durch einige weitere Überlegungen ergänzt zu werden.

Diodorus Siculus missbilligte offenbar den platonischen Atlantisbericht und war sehr bemüht, in seinen historischen Notizen offensichtliche Parallelen zu - bzw. Übereinstimmungen mit - Details aus Platons Atlantida zu verschleiern. So redet er nie über eine Insel mit der Bezeichnung "Atlantis" [2] sondern stets über mehrere 'Töchter des Atlas' (Atlantik-Inseln, nahe der afrikanischen Küste), sowie über "Atlantier" oder "Atlantiker" ("atlantioi"), die als Teil einer untergegangenen, mythisch befrachteten, aber immerhin noch geographisch greifbaren, Welt des Westens vorgestellt werden.

Eine direkte Auseinandersetzung mit Platons Angaben oder eine Kommentierung seiner Atlantida werden wir, wie gesagt, bei Diodor nicht finden - im Gegenteil: "Jedes Mal in seinen umfangreichen Schriften, wenn er das atlantische Thema, also Atlantis oder die Atlanter, fast schon berührt hat, weicht er aus", stellte der Freksa 1897 fest. "Dadurch vermeidet er jegliche explizite Auseinandersetzung mit der ägyptischen bzw. Platonischen Atlantisüberlieferung, die ihm zweifellos bekannt war." [3]

Wenn wir nach Gründen für diese Ausweichtaktik suchen, dann müssen wir uns die kardinalen Unterschiede zwischen Diodor und Platon in ihrer Geschichts-Betrachtung und ihren Vorstellungen von den Ursprüngen der "atlantischen" Welt und den frühesten Zeiten im fernen Westen bewusst machen. Diodorus Siculus, der, so Freksa, "den 'main-stream' der griechisch-römischen Forschung repräsentierte", betrachtete sich in einem ganz ähnlichen Sinn als Historiker, wie es auch heutige Geschichtsforscher tun. Er bewertete das ihm zur Verfügung stehende Quellen-Material äußerst kritisch und kompilierte das aus seiner Sicht Verwertbare nach bestem Wissen und Gewissen zu einer möglichst geordneten und strukturierten Weltgeschichte.

Platon dagegen war alles andere als ein 'Geschichtsforscher', selbst wenn man die Dialoge Nomoi, Timaios und Kritias in Teilen durchaus auch als kosmologisches, erd-, menschheits- u. zivilisations-geschichtliches Spätwerk des Philosophen und Staats-Theoretikers betrachten darf, das insofern eine Ausnahmeerscheinung in seinem Schriften darstellt. Auch wenn dies häufig in Abrede gestellt wird, griff Platon für dieses, bis heute zumeist verkannte und fehlinterpretierte, magnum opus, das den krönenden Abschluss seiner Schriften und sein Vermächtnis an die Athener und die Nachwelt darstellen sollte, mit Sicherheit nur auf solches Material zurück, von dessen Authentizität und herausragender Bedeutung er überzeugt war.

Abb. 2 Gerade in seiner Ausführung mit drei Ringen und einem vom Zentrum zur Peripherie verlaufenden 'Stichkanal' ähnelt das in Westeuropa, Nordafrika, aber auch in Amerika vorkommende 'cup and ring'-Motiv verblüffend dem Grundriss der Hauptstadt von Atlantis, wie Platon sie beschrieb. (Foto: typische 'cups & rings' in Achnabreck, Schottland)

Allerdings war die Komposition, die er letztlich aus seinem Fundus von Informationen möglicherweise aus allen möglichen Epochen der Vorzeit zusammenstellte, alles andere als - im engeren Sinne - historisch. Hier erwies Platon sich als ideologisch operierender Redakteur seiner Informationen, der reichlich Gebrauch von dem machte, was wir heute 'dichterische Freiheit' nennen. Die 'Wahrheiten', die er formulieren wollte, waren in der Tat zunächst philosphischer und nicht historischer Natur; und möglicherweise misstraute er auch dem Vermögen seiner hellenischen Zeitgenossen, die Komplexität der zivilisations-geschichtlichen Entwicklung nachzuvollziehen, von der er bei seinen jahrzehntelangen Studien Kenntnis erhalten hatte.

Zudem dürfen wir auch voraussetzen, dass Platon angesichts der Konfusion, die beim Vergleich dieser mythisierten und alles andere als präzisen Überlieferungen entstehen muss (immerhin hatte er ja nicht die Möglichkeit, die Inhalte dieser Mythen mit archäologischen Forschungsergebnissen zu korrelieren, wie es in der modernen Forschung üblich ist), zu z.T. wenig verlässlichen Schlussfolgerungen gelangte. Jedenfalls fasste er das, was er aus ägyptischen, kleinasiatischen [4] und möglicherweise auch phönizischen Quellen erfahren hatte, zu dem bekannten Ergebnis zusammen und ließ dabei z.B "spätbronzezeitliche" Ur-Athener gegen weitaus ältere Titanensöhne (die Atlantier) obsiegen, deren legendäre Hauptstadt in ihrem Grundriss große Ähnlichkeit mit "megalithischen" 'cup and ring'-Mustern (Abb. 2) aufweist.

Möglicherweise hat Diodor dies erkannt. Wahrscheinlicher jedoch widersprachen die Aussagen der Atlantida schlichtweg in vielen Punkten seinem Weltbild und seiner Auslegung religiöser Dogmen, weshalb er Platons Geschichte vom Untergang einer Großinsel im Atlantik mitsamt der auf ihr beheimateten Hochkultur genauso wenig ernst nahm wie die meisten seiner modernen Kollegen. Vor dem - wie wir es heute nennen würden - 'wissenschaftlichen Erkenntnisstand' seiner Zeit und aufgrund seiner daraus resultierenden Bewertung des ägyptischen Materials war die Atlantida schlichtweg unhaltbar!

Also beschränkte 'Der Sizilianer' sich bei seinen historischen Betrachtungen auf die späten, für ihn als Völker noch halbwegs greifbaren, „Atlantioi“ des afroatlantischen Westens, die über die mythisieren Sagengestalten des Perseus und Herakles ganz unmittelbar mit der „Urgeschichte“ der Hellenen verknüpft waren, während er sich auf Platons – für ihn rein spekulative – zivilisationsgeschichtliche 'Tiefenzeit' und geographische Gegebenheiten weit jenseits des westlichen „Endes der Welt“ gar nicht erst einließ. Somit könnte man ihn gewissermaßen als Urahn der atlantologischen „Jungzeitler“ betrachten, also jener ForscherInnen, welche die Zeitangaben in der Atlantida energisch zurückweisen und Atlantis chronologisch in der Bronzezeit lokalisieren.


Anmerkungen und Quellen

  1. Siehe: Eine kleine Geschichte der Atlantisforschung, Teil I, Abschnitt "Diodorus´ Probleme mit Atlantis"
  2. Anmerkung: Bei dem Begriff "Atlantis" (Tochter des Atlas) handelt es sich offensichtlich NICHT, wie häufig angenommen wird, um einen NAMEN, sondern um eine, nicht nur von Platon, sondern von einer ganzen Reihe hellenischer Autoren (z.B. Plinius der Altere, Diodorus Siculus, Hellanikos von Lesbos und Apollonius von Rhodos) im Singular oder Plural verwendeten, blumigen und mythisch verbrämten Terminus für "Atlantik-Insel/n" (Atlantide/n).
  3. Quelle: Martin Freksa, Das verlorene Atlantis, Klöpfer & Meyer 1997, Seite 87
  4. Vergl. zu möglichen kleinasiatischen Quellen des Atlantisberichts bei Atlantisforschung.de: "Tantalis - das Atlantis des Peter James"


Bild-Quellen

(1) Calima-Reisen bei kanaren.tv, unter: http://www.kanaren.tv/fuerteventura/sonderpreise/sonnenunterg.jpg

(2) Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, unter: Achnabreck