Die Mythen der Cheyenne (IV)

von Dr. Renate Schukies

Abb. 1 Einige der - in Deutschland untersuchten - Fundstücke, die 1976 von Ernst Höning am Stone Creek in der Provinz Alberta, Alaska, entdeckt wurden. Sie gehören zu den wichtigen Belegen für die Annahme, dass Amerika weit früher von Menschen besiedelt wurde als es bis heute von den meisten Paläo-Anthropologen zugestanden wird. Die Mythen der Cheyenne deuten die Möglichkeit an, dass ihre fernen Vorfahren jene archaischen Urmenschen kannten, deren Ahnen am Stone Creek diese und andere Spuren hinterlassen haben.
Zu den abgebildeten Spezimen: Oben links: Faustkeil der Eiszeit; daneben: fossiler Bison- Unterschenkel der Vorhand; unten links: Handbeil, handgriffig; unten Mitte: Knaben-Faustkeil; oben rechts: Handbeil; darunter: Handbeil, Meisterdesign; darunter: Halbkreis-Spaltkeil (auch Schaber, Waidmesser

1976 entdeckte der Deutsche Ernst Hoening in Alberta, Kanada, eine der wohl bedeutendsten Fundstätten der Paläo-Anthropologie: "Stone Creek". [1] Erste Datierungen von Artefakten und Knochenfragmenten (Abb. 1) verwiesen auf eine archäologische Sensation: 100.000 Jahre und älter. Könnte es sein, daß diese Neandertaler die Behaarten waren, von denen die Cheyenne [2] sprechen? [3] Über ihr generelles Verschwinden, das nach herkömmlichen Datierung vor ca. 45.000 Jahren begann, weiß auch unsere Wissenschaft nichts Genaues.Eine der Annahmen: Die verbliebenen Neandertaler wurden vor 35.000 Jahren in die Gebiete des eiszeitlichen Europas und Westasiens abgedrängt. Aber es gibt Hinweise, daß einige von ihnen dabei waren, Kulturen nach Art des Cro-Magnon-Menschen zu entwickeln. Auch scheinen sie sich zum Teil mit den modernen Menschen vermischt zu haben. Um 30.000 waren sie dann ganz von der Erde verschwunden.

Eine der grundlegenden Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellt, lautet: Umfaßt das menschliche Erirmerungsvermögen tatsächlich einen immensen Zeitraum von mehr als 40.000 Jahren, oder handelt es sich um Ereignisse, die eben nicht so weit zurückliegen und die deshalb überliefert werden konnten? Bereits Louis Agassiz, der Begründer der Eiszeit-Theorie, kam zu dem Schluß, daß die letzte Eiszeit durch eine Katastrophe ausgelöst und durch eine Katastrophe wieder beendet wurde - vor nur wenigen tausend Jahren.

Nachdem die letzte Flut vorüber war, schienen die Tsistsistas zu erwachen. Sie wurden stark im Geist, aber ihre Körper wurden schwach, da das Wild, von dem sie gelebt hatten, verschwunden war. Dann erhielten sie ihre Kultur, die wir noch heute in Überresten kennen. Zwischen -800 und -200 kam es in den drei großen Kulturkreisen Abendland, Indien und China zu simultanen Durchbrüchen im Denken.

Er ist eine Zeit, die Karl Jaspers in Vom Ursprung und Ziel der Geschichte wegen ihrer tragenden Bedeutung als Achsenzeit bezeichnet: "Die Zeit nun in der es zum ersten Mal und alle späteren Entwicklungen strukturierend aufleuchtet." Warum sollte es nicht zur gleichen Zeit auch in Amerika aufgeleuchtet haben? Bevor Motseyoef, der Kulturbringer, die Cheyenne verließ, prophezeite er ihnen die Zukunft. Die Erde erzitterte, der Himmel wurde dunkel und ein fürchterlicher Sturm kam auf, es blitzte und donnerte. Motseyoef vereinigte sich mit dem Morgenstern, der Venus.

Abb. 2 Die Cheyenne erhalten Instruktionen von der großen Medizin, dargestellt in Form von vier Blitzen (originale Cheyenne-Zeichnung).

Bis vor einigen Jahren ist dies der Kulturanthropologie nicht bekannt gewesen. Daraus ergeben sich mit Sicherheit neue Fragestellungen. Der Motseyoef-Venus-Komplex weist deutliche Parallelen zum Quetzalcoatl-Venus-Komplex der mesoamerikanischen Kulturen auf. Auch Quetzalcoatl und Kukulcan bringen Kultur zu den Mexikanern und Yukateken. Während der Stellenwert des Planeten Venus für die mesoamerikanischen Kulturen bekannt ist, ist dies für die nordamerikanischen Kulturen generell nicht der Fall. Dabei ist das Skidi-Pawnee-Menschenopfer an den Morgenstern ein ausführlich diskutierter Sachverhalt.

Aber nicht nur die Cheyenne und die Pawnee sind eng mit dem Morgenstern verknüpft, auch der Prophet der Wichita transfonnierte zum Morgenstern. Child of Water, der Kulturheros der Zuñi, wird von Collier ebenfalls mit Quetzalcoatl verglichen. Als Child of Water geboren wurde, blitzte es vier Mal. Diese vier Blitze könnten die selben sein, die auf einer alten Cheyenne-Zeichnung (Abb. 2) auftauchen: In einem schwarzen, bedrohlichen Himmel entladen sich vier riesige Blitze über Bear Butte, dem heiligen Berg. Die nebenstehend wiedergegebene Zeichnung ist untertitelt: "Sie erhalten Instruktionen vom Großen Geist oder von der Großen Medizin". [4]

In der umfangreichen Literatur über die Cheyenne sind diese Blitze an keiner anderen Stelle erwähnt. Es sei denn, die vier heiligen Pfeile der Tsistsistas wären ein Symbol für eben jene Blitze. Wissler und Spindler haben bereits darauf hingewiesen, daß das Morgensternopfer der Pawnee eine Reihe von Übereinstimmungen mit den Morgensternopfern der Azteken aufweist. Es wurde vermutet, daß ihr Vorhandensein bei den Pawnee via Diffusion aus Mexiko zu erklären sei. Eine Analyse der Pawnee-Zeremonien hat zwar gezeigt, daß einige Aspekte durchaus fremden Ursprungs sein könnten, daß das grundsatzliche Konzept jedoch in perfektem Einklang mit der Skidi-Pawnee-Kultur steht, in der nahezu alles mit den Sternen in Zusammenhang gebracht wird. Aber auch bei den anderen Stämmen der caddoischen Sprachfamilie spielt Sternenmythologie eine große Rolle. Da die Verehrung der Himmelskörper jedoch eine so grundlegende Bedeutung bei den Pawnee hat, nimmt man an, daß die Diffusion von Mexiko aus, zu einem außerordentlich frühen Zeitpunkt, stattgefunden haben muß - wenn überhaupt.

Die Tsistsistas, die die Verehrung des Morgensterns mit den im Süden Nordamerikas lebenden Pawnee teilen, werden nun aber der im Nordosten des Kontinents lebenden Algonquian-Sprachfamilie zugeordnet. Da auch das Glaubenssystem der Tsistsistas äußerst komplex ist, läßt dies berechtigte Zweifel am Diffusiosmodell aufkommen. Insbesondere, wenn man den Umstand berücksichtigt, daß die Venus und die Plejaden ebenfalls eine große Bedeutung in Nordsibirien hatten. Auf nordsibirischen Schamanentrommeln sind neben Sonne und Mond oft auch Venus und das Siebengestirn, die Plejaden, abgebildet, was auf deren besondere Beachtung bei den Schamanen hinzuweisen scheint. Leider haben Ethnographen versäumt, ihre genaue Bedeutung zu erfragen. Da auch die Mythologien der im Norden lebenden Hidatsas und Blackfeet eng mit dem Morgenstern verknüpft sind, könnte man von einem Venus-Plejaden-Gürtel sprechen, der sich von Nordsibirien bis nach Mesoamerika erstreckt.

All dies macht es ziemlich unwahrscheinlich, daß sich das Konzept "Morgenstern" vom Süden aus in den Norden verbreitet hat. Die Venus als Morgenstern war nicht nur bei den nordamerikanischen Stämmen von großer Bedeutung, sondern auch in vielen anderen Kulturen der Welt, zum Beispiel bei den Babyloniern. In diesem Zusammenhang ist es interessant, daß der Cheyenne-Forscher Grinell schon 1914 hier einen Bezug herstellte: "Die Priester des Baal (Venus) schneiden sich mit Messern, wenn sie zu ihm beten - die Indianer schwingen am Pfahl während der Zeremonie der Neuen Lebenshütte." Auch der Tsistsistas-Pfeilhüter [5] opfert dem Morgenstern sein eigenes Fleisch - die Haut seiner Arme und Beine.


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Anmerkungen und Quellen

Dieser - auf einem von der Autorin an der Universität Hamburg gehaltenen Vortrag anlässlich des 500. Jahrestags der angeblichen 'Entdeckung' Amerikas durch Christoph Kolumbus basierende [6] - Beitrag von Dr. Renate Schukies (©) wurde erstveröffentlicht in VORZEIT FRÜHZEIT GEGENWART - Interdisziplinäres Bulletin, Heft 1 / 6. Jahrgang - März 1994. Bei Atlantisforschung.de erscheint er im Februar 2019 in einer redaktionell bearbeiteten, mehrteiligen Online-Version.

Fußnoten:

  1. Red. Anmerkung: Siehe dazu bei Atlantisforschung.de auch: Dr. Renate Schukies, "A.E.F. Hoening: Fundort Stone Creek" ...Die Entdeckung des amerikanischen „Neandertalers“
  2. Red. Anmerkung: Der obige Link führt zur Webseite des Northern Cheyenne Tribe. Wer Informationen zu den südlichen Cheyenne wünscht (die offenbar keine eigene Homepage haben), sei hier auf den Artikel "CHEYENNE, SOUTHERN" der Oklahoma Historical Society verwiesen (abgerufen: 21. Februar 2019).
  3. Siehe: Dr. Renate Schukies, "Die Mythen der Cheyenne (II)"
  4. Quelle: Dorsey, in Anthropology Pl. XV, 1905
  5. Siehe: Renate Schukies, "Hüter der Heiligen Pfeile: Red Hat erzählt die Geschichte der Cheyenne", Lamuv, 2002
  6. Anmerkung: Er wurde von der Autorin im Wintersemester 1992/93 im Rahmen des Allgemeinen Vorlesungswesens - Thema: "Kulturwissenschaftliche Reaktionen auf das Kolumbusjahr" - vorgetragen.

Bild-Quellen:

1) A.E.F. Hoening, Fundort Stone Creek - Die Entdeckung des amerikanischen „Neandertalers“, Econ, 1981; nach: Bild-Archiv Dr. Renate Schukies
2) Bild-Archiv Dr. Renate Schukies