Alexander Braghine

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Forscher- und Autorenportrait

Abb. 1 Colonel Braghines atlantologischer Klassiker in einem Reprint von 1997

(red) Im angelsächsischen Sprachraum durch sein Hauptwerk "The Shadow of Atlantis" (Dutton, New York, 1940) recht bekannt geworden, ist Colonel (Oberst) Alexander Pawlowitsch Braghine (1878-1942), dessen Atlantis-Buch (Abb. 1) sowohl ins Französische [1] und Portugiesische [2] als auch ins Deutsche [3] übersetzt wurde, zumindest hierzulande nur noch wenigen Kennern, Insidern und Enthusiasten der Atlantisforschung ein Begriff. [4]

Dies ist schon insofern bedauerlich, dass Braghine - von Hause aus Linguist [5] - in seinem Werk - ähnlich wie Robert B. Stacy-Judd und der frühe Lewis Spence - in vieler Hinsicht wesentliche Denk- und Studienansätze sowie Methoden heutiger, grenzwissenschafticher Atlantologie antizipierte, bzw. die früheren Arbeiten anderer Atlantiker, wie Edward Taylor Fletcher, L.M. Hosea, Ignatius Donnelly, Hyde Clarke und Patroclus Kampanakis in Einzelbereichen deutlich weiterentwickelte.

Dazu trug entscheidend bei, dass Braghine auch zu einer wissenschafts-historischen Reflexion der Atlantologie in Spannungsfeld der Umbrüche universitärer Forschung in der Lage war, und die Entwicklungen im Bereich des akademischen Bezirks genau verfolgte. So konstatierte er z.B. zufrieden das langsame Abflauen des Fachzentrismus mit quasi 'röhrenförmig verengtem Tunnelblick', der kennzeichnend für die Geschichtswissenschaft des frühen 20. Jahrhunderts gewesen war: "Soweit es die Entwicklung des historischen Prozesses angeht, erfährt die wissenschaftliche Weltanschauung, die sich während des letzten Jahrhunderts herauskristallisierte, derzeit offenbar eine tiefgreifende Revision. Geschichtsforschung und Archäologie werden nun durch andere Teilgebiete der Wissenschaft unterstützt, mit welchen sie vormals nur wenig gemeinsam hatten; Anthropologie, Ethnologie, Toponymie und selbst die Paläontologie liefern häufig neue Informationen, welche das Bild vom Leben der Menschheit während der entferntesten Epochen verändern." [6]

Was an den Universitäten seiner Zeit erst mühsam wieder erlernt werden musste, und womit sich noch heute viele akademische Vergangenheitsforscher schwer tun - nämlich interdisziplinäres Forschen und (erst recht) transdisziplinäres Denken - war für Braghine, der wie die meisten Atlantisforscher vor, während und nach seiner Zeit, am klassischen humanitären Bildungsideal das generalistischen Allround-Gelehrten orientiert war, eine 'in Fleisch und Blut' übergegangene Selbstverständlichkeit. Dies zeigt schon ein kurzer Blick auf die Vielfalt der von ihm behandelten Gegenstände: "The Shadow of Atlantis häuft eine große Menge archäologischer, anthropologischer, historischer und [anderer] wissenschaftlicher Evidenzen an, welche [die Annahme eines] versunkenen Kontinents im Atlantischen Ozean stützen. Braghine berichtet über solch unterschiedliche Themen wie Ägypter in Mittelamerika, den Mythos von Quetzalcoatl, die Sprache der Basken und ihre Verbindung mit Atlantis, die Verbindungen zwischen den alten Pyramiden von Mexiko, Ägypten und Atlantis, das plötzliche Verschwinden der Mammuts, Legenden über Riesen und vieles mehr." [7]

Abb. 2 Für A. Braghine stellte Atlantis noch die Wiege menschlicher Kultur schlechthin dar.

Darüber hinaus deutet dieses Themenspektrum bereits an, dass Alexander Braghine auf dem Boden der drei wesentlichen Ideen-Gebäude operierte, die insgesamt und nach wie vor kennzeichnend für die nonkonformistische, alternative Vergangenheitsforschung (Atlantisforschung, Primhistorik etc.) sind, nämlich: a) Der Diffusionismus (insbesondere als Theorienkomplex zu Erklärung der Verbreitung kultureller Elemente und Spezifika), b) der Euhemerismus (durch den Mythen nicht zuletzt als Transportmittel zur Überlieferung tatsächlicher Ereignisse aus ferner Vergangenheit begriffen werden) und c) der Katastrophismus (dessen Anhänger voraussetzen, dass gewaltige Naturkatastrophen einen wesentlichen Einfluss auf die Menschheits- und Zivilisations-Geschichte genommen haben).

Als Diffusionist war Braghine allerdings noch weitgehend in der heliozentrischen Ideenwelt der Atlantologen des späten 19. Jahrhunderts verhaftet, die Atlantis als DIE autochthone Urkultur schlechthin betrachten, von der aus mehr oder weniger alle kulturellen Innovationen auf die benachbarten Kontinente im Osten und Westen ausstrahlten, genauer gesagt von atlantidischen Kolonisten und (später) Flüchtlingen 'in die Welt hinaus getragen' wurden. Im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen Robert Benjamin Stacy-Judd, der bereits mehrere, aufeinander folgende zivilisatorische Großzyklen - und gerade in Bezug auf Altamerika - auch andere als atlantidische Infusionen und Transfusionen voraussetzte, war er noch mehr oder weniger auf die Vorstellung von Atlantis als Quell´ jeglicher Kultur fixiert.

Aber auch wenn Braghines Diffusionismus, verglichen mit dem Stacy-Judd´s, aus heutiger Sicht ein wenig 'altbacken' wirkt, so ist doch die Fülle der ihm vorgelegten Indizien und Evidenzen höchst beeindruckend, und zeugt von seiner außergewöhnlichen Belesenheit. So konnte der polyglotte Sprachforscher sich, der Bibliographie von "The Shadow of Atlantis" nach zu schließen, Literatur in lateinischer, deutscher, englischer, spanischer, portugiesischer, italienischer und französischer Sprache nutzbar machen.

Abb. 3 Eine verheerende Nahbegegnung mit dem Halley´schen Kometen (hier eine Aufnahme aus dem Jahr 1910) soll, so Alexander Braghine, die Atlantis-Katastrophe ausgelöst haben.

Was schließlich Braghines katastrophistisches Modell angeht, so steht er wissenschafts-geschichtlich in der Nachfolge Graf Carlis, der bereits im 18. Jahrhundert die Beinahe-Kollision der Erde mit einem großen kometaren Körper vor wenigen Jahrtausenden angenommen hatte, und auf dessen Werk er sich auch bezieht (op. cit., S. 120) Dazu heißt es bei Tony O’Connell über Braghine: "Er schreibt die Vernichtung von Atlantis den Auswirkungen von mindestens einer Nahbegegnung zwischen der Erde und Halley’s Kometen, während der holozänen Periode, am 7. Juni 4015 v. Chr. [8] zu. Er behauptet, dass dieser Vorbeiflug die Umlaufbahnen von Erde und Venus gestört habe, was weltweite Verwüstungen hervorrief." Und er fügt hinzu: "Viele von Braghines katastrophistischen Vorstellungen lassen sich später in Immanuel Velikovskys Büchern wiederfinden, aber ohne Hinweis auf ihn. [9] Braghine dagegen war durchaus bereit, jegliche Verwendung der Arbeit anderer Autoren durch ihn einzuräumen." [10]

Auch der Notwendigkeit einer klaren Abgrenzung atlantologischer Forschung gegenüber dem esoterischem Atlantismus war Braghine sich völlig bewusst. So schrieb er Ende der 1930er Jahre, er halte "die Werke über Atlantis von H.P. Blavatsky, Scott Elliot, Leadbeater und anderen ähnlichen Schriftstellern für mehr oder weniger erfolgreiche Dichtung, da sie keinerlei wissenschaftlich prüfbare Beiträge liefern. Ich gründe meine Theorien nur auf Tatsachen, hinsichtlich derer es erlaubt ist, eine Anzahl mehr oder weniger einleuchtender Vermutungen anzustellen.

Man muß sogar bedauern, daß verschiedene Seher und Romanciers das Atlantisthema ausgebeutet haben. Ihre Tätigkeit hat es der Aufmerksamkeit vieler ernsthafter Wissenschaftler entfremdet und mit einem Hauch von Phantasie und Dichtung umgeben. Die Öffentlichkeit kann daher Dichtung und Wahrheit nicht mehr unterscheiden, und ihr entgehen die Eroberungen wahrer Wissenschaft, die von ernsten Forschern wie Lewis Spence, Mrs. Whishaw und andern zusammengetragen wurde." [11]

Auch wenn mehr oder weniger ideologisch argumentierende Atlantologie-"Kritiker" wie Burchard Brentjes und Lyon Sprague de Camp ("you believe Colonel Braghine at your peril") sich alle Mühe gegeben haben, Alexander Pawlowitsch Braghine als eine Art 'halbgaren Spinner' oder 'Märchenerzähler' darzustellen, so ist sein einziges heute noch bekanntes und erhältliches Werk ("The Shadow of Atlantis") nicht nur aus dem Blickwinkel des Atlantologie-Historikers eine reizvolle und gewinnbringende Lektüre, sondern in der enormen Fülle der von diesem Mann, über dessen Leben wir heute praktisch nichts mehr wissen, zusammengetragenen Daten und Hinweise ist es auch für die moderne, nonkonformistische Atlantisforschung nach wie vor eine wertvolle Informations- und Inspirationsquelle.



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Anmerkungen und Quellen

Fußnoten:

  1. Siehe: A. Braghine, L’énigme de l’Atlantide (Payot, Paris, 1939)
  2. Braghine Portu.jpg
    Das Cover einer Ausgabe von Braghines Buch in portugiesischer Sprache. Die zugehörigen Publikationsdaten waren allerdings bisher nicht zu ermitteln.
  3. Alexander Braghine: "Atlantis", Stuttgart (Union Deutsche Verlagsgesellschaft), 1946 (Übersetzung ins Deutsche von Helmut Lindemann)
  4. Anmerkung: Aber auch in der englischsprachigen Fachliteratur finden sich praktisch keine Informationen über seine Vita, und selbst ein Foto von Braghine scheint nicht mehr auffindbar zu sein.
  5. Anmerkung: Ob A. Braghine ein studierter Sprachwissenschaftler oder aber Autodidakt war, konnte von uns bisher nicht in Erfahrung gebracht werden. Auf der Rückseite des Bucheinbandes der Ausgabe von 1997 heißt es jedenfalls: "Braghine war Linguist und widmet einen Teil seines Buches darauf, alte Sprachen nach Atlantis zurück zu verfolgen, auf das Studium wenig bekannter Inschriften in Brasilien, auf Sintflut-Mythen und die Zusammenhänge zwischen alten Sprachen." (Quelle A. Braghine, The Shadow of Atlantis, Adventures Unlimited Press, 1997; Übersetzung ins Deutsche durch Atlantisforschung.de)
  6. Quelle: Alexander Braghine, "The Shadow of Atlantis", Reprint von 1997 (Adventures Unlimited Press), S. 13 (Vorwort des Autors; Übersetzung ins Deutsche durch Atlantisforschung.de)
  7. Quelle: zit. nach: One Heart Books, unter: The Shadow of Atlantis - Colonel Alexander Braghine (Übersetzung ins Deutsche durch Atlantisforschung.de)
  8. Red. Anmerkung: Anders als die meisten "Atlantiker" seiner Zeit war Braghine also kein typischer "Altzeitler", sondern nahm eine atlantologische Chronologie-Revision vor!
  9. Red. Anmerkung: Tony O’Connell bemerkt dazu noch: "Einige haben Velikovskys Unterlassung als Resultat eines bemerkbaren Rassismus seitens Braghine erklärt." Dazu ist vom Verfasser anzumerken: Eine explizit rassistische Tendenz ist bei Braghine nirgendwo in seinem Buch nachzuweisen, wenn man einmal davon absieht, dass er der Vorstellung nachhing, bei den putativen Bewohnern von Atlantis habe es sich um "Weiße" gehandelt, und dass er - ebenso wie praktisch jeder wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Autor seiner Zeit! - unreflektiert den heute obsoleten Begriff "Rasse" für Untergliederungen der menschlichen Spezies verwendete.
  10. Quelle: Tony O’Connell, in Atlantipedia.ie, unter: Braghine, Col. Alexander Pavlovitch, 5. Juni 2010
  11. Quelle: Alexander Braghine, "Atlantis", Union-Verlag (Stuttgart) 1939; zit. nach: Burchard Brentjes, "Atlantis - Geschichte einer Utopie", Dumont Buchverlag (Köln) 1993, S. 145

Bild-Quellen:

1) One Heart Books, unter: The Shadow of Atlantis - Colonel Alexander Braghine
2) Все-таки похоже, что легендарная Атлантида все-таки найдена! Осталось ждать исследований ученых...
3) Wikimedia Commons, unter: File:Halley's Comet, 1910.JPG