Señor Kon-Tiki - Teil 14: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 3. April 2014, 23:02 Uhr
„Tigris“
von Andreas Delor
Anstatt seine Theorie der europäischen Besiedlung Amerikas zu konsolidieren, wagt Heyerdahl sich auf sogar noch schwankenderen Boden vor – auch im buchstäblichen Sinne –, äußerlich gesehen sicher der größte Fehler seines Lebens.
Abb. 1 Mit der TIGRIS, Thor Heyerdahls mit 18 m Länge größten und voll manövrierbaren
Schilfschiff, befuhren er und seine 11-köpfige internationale Crew die Handelswege der Sumerer.
Für ihn selber ist die Existenz der „weißen, bärtigen Männer Amerikas“ zunächst hinreichend begründet, seine Beweise sind auch tatsächlich bereits letztlich unumstößlich (z. B. die rothaarigen Paracas-Mumien). Es ist ihm klar, dass die mediterranen Schilfbootfahrer die Begründer der ersten Hochkulturen sind – auch die der Alten Welt. Jetzt interessiert ihn auch deren Ursprung, er will auf der Spur desselben Volkes, welches er von der Osterinsel aus über Amerika bis zum Mittelmeer zurückverfolgt hat, noch weiter zurückgehen. Wo kommen um 3000 v. Chr. diese kühnen Schilfbootfahrer mit ihrem Impuls, Pyramiden, „Zyklopenbauwerke“ und steinerne Kolossalstatuen rund um den Erdball zu errichten, eigentlich her?
„Dass zwei erstaunliche Kulturen [Ägypten und Zweistromland] um 3100 v. Chr. plötzlich nebeneinander im Nahen Osten auftauchten, war nicht weiter verwunderlich. [...] Dann kamen die Entdeckungen im Industal. Zuerst die der beiden gut erhaltenen Zwillingsstädte Mohenjo-Daro und Harappa. Aber dann fanden Feldarchäologen auch hier die Ruinen der ersten zivilisierten Städtebauer, die ebenfalls etwa auf das Jahr 3000 v. Chr. zurückgingen. Diese drei großen Kulturen im Umfeld der Arabischen Halbinsel erschienen als fertig entwickelte, organisierte Dynastien auf einem erstaunlich hohen, gleichen Niveau, und alle drei bemerkenswert ähnlich. Man hat den Eindruck, als wären zu jener Zeit verwandte Priesterkönige mit dem jeweiligen Gefolge aus einem anderen Gebiet gekommen und hätten ihre Dynastien in Gegenden angesiedelt, die vorher von primitiveren oder kulturell zumindest sehr viel weniger entwickelten Stämmen bewohnt waren. Wie konnte es zu dieser eindrucksvollen Entfaltung scheinbar über Nacht an drei Plätzen kommen, wenn es zwischen den Ereignissen anscheinend keine Verbindung gab?“ [1]
Heyerdahl bezieht sich hier auch auf Überlegungen des großen Ausgräbers der Sumerer, Sir Leonard Wolley: „Sumerische Sagen, die die Anfänge der Zivilisation in Mesopotamien erklären, vermuten offenbar das Einströmen eines Volkes vom Meer her, was kaum jemand anderes als die Sumerer selbst gewesen sein konnten. Außerdem wird diese Annahme durch die Tatsache gestützt, dass alle fünf sumerischen Mutterstädte einschließlich der ältesten Stadt des Landes, Eridu, am weitesten südlich und am Meer oder schiffbaren Flüssen lagen.“ [2]
Anfechtbar ist, dass der Norweger sich hierbei auf den sumerischen Gottkönig Ziusudra bezieht, ist dieser doch, der Sage nach, im mesopotamischen Schurrupak geboren, wird durch die „sumerische Sintflut“ nach Dilmun vertrieben und kehrt später ins Zweistromland nur zurück – die Wahrscheinlichkeit aber, dass die Sumerer ursprünglich Einwanderer sind, bleibt dennoch bestehen.
Abb. 3 Eine Fels-Ritzzeichnung aus dem 'steinzeitlichen' Ägypten (Negade-Kultur),
die ein Segelschiff abbildet (etwas, dass es nach der gängigen Lehrmeinung gar nicht
geben dürfte!), auf dem offenbar auch Tiere transportiert wurden.
Allen drei Hochkulturen – Ägypten, Sumer und Industal – sind Schilfschiffe gemeinsam, zumindest in deren Anfangszeit. Die Heimat dieser Binsenflöße ist eindeutig das Mittelmeer, denn abgesehen von Mesopotamien, der Indus-Kultur (sowie Süd- wie Mittelamerika) finden sich Darstellungen von ihnen (teils sogar noch „rezente“ Schilfboote) in Ägypten, den Küsten des heutigen Syrien, Libanon und Israel über Zypern, Kreta, Korfu, Malta, Italien, Sardinien, Libyen, Algerien, Gibraltar und darüber hinaus bis zur Atlantikküste von Marokko und Cadiz an Spaniens Atlantikküste sowie auf den Kanarischen Inseln.
Die beeindruckendsten Felszeichnungen (Abb. 3) von Schilfbooten gibt es zweifellos in der Sahara, von Marokko über Algerien und Libyen bis Ägypten, wo Heyerdahl auch selber noch Darstellungen von ihnen findet (am Roten Meer). Radiokarbondatierungen dieser Zeichnungen ergeben, dass sie zwischen 2000 und 6000 v. Chr. benutzt worden sind. Damit korrespondiert, dass manche umgeben sind von in den Fels geritzten Wasserböcken, Giraffen, Krokodilen und anderen Tieren, die darauf hindeuten, dass die heutige Wüste in dieser Gegend von Wald bedeckt und von Flüssen durchzogen waren. Man ist überrascht, dass viele dieser sichelförmigen Fahrzeuge eine recht starke Besatzung haben, bisweilen 50 Mann oder noch mehr. Außerdem haben manche gehörnte Rinder und andere große Tiere an Bord.
Die Schilfboot-Darstellungen auf Gibraltar sowie vor allem auf den Kanarischen Inseln (von wo aus der Kanarenstrom und Nordost-Passat ein Schiff direkt in die Karibik treiben, wie Heyerdahl demonstriert hatte) zeigen, dass Schilfboote die „Säulen des Herkules“ definitiv durchfahren haben – wie Heyerdahls „Schüler“ Dominique Görlitz durch seine eigenen Fahrten (Abb. 4) mittlerweile gezeigt hat, ist aber die Navigation auf dem Mittelmeer selber wegen widriger Winde und Strömungen wesentlich schwieriger als die Verbindung zwischen Marokko und Amerika auf dem Kanarenstrom; Folgerung: wer die Mittelmeer-Seefahrt beherrscht, ist, sobald er die Straße von Gibraltar verlässt, fast automatisch gleich in Amerika!
Ebenso, wie die Sumerer anscheinend eine von außen kommende Invasion ins Zweistromland darstellen, ist nach Thors Überlegungen offenbar auch die ägyptische Kultur von eingewanderten Schilfbootfahrern begründet worden. Die ägyptischen Papyrusschiffe sind, wie er demonstriert hat, absolut hochseetüchtig – aber die Ägypter haben sie nach ihrer Reichseinigung um 3100 v. Chr. auf dem Nil schon nach wenigen Jahrhunderten durch hölzerne Barken ersetzt, die zwar die Form der Binsenfahrzeuge bis ins Detail nachahmen, aber so zerbrechlich sind, dass sie nicht einmal fürs Mittelmeer taugen. Heyerdahl nimmt an, dass ein früheres Seefahrervolk (sowohl die Unter-Ägypter des Nildeltas wie auch die Oberägypter) sesshaft wird und offensichtlich seine Hochsee-Tradition wenigstens zum Teil vergisst, die maritime Hegemonie über das [Mittelmeer-Raum|Mittelmeer]], welche Unterägypten vor der ober-ägyptischen Eroberung innehatte, wird ihm danach von anderen mediterranen Völkern streitig gemacht, z. B. von den Kykladiern, welche bereits Holzschiffe benutzen (allerdings fahren oberägyptische Händler noch lange auf Schilfschiffen übers Rote Meer bis nach Ceylon, ja bis zum Ganges!).
Schilfbootfahrer, im Mittelmeer schon seit Jahrtausenden ansässig, begründen also kurz vor 3000 v. Chr. an (wenn man die Indus-Kultur mitzählt) drei Stellen der Welt gleichzeitig (nach den südamerikanischen Funden von Caral müsste man heute sogar sagen: an vier) die ersten Hochkulturen. Die Maya lassen ihre Zeitrechnung mit dem Jahr 3114 v. Chr. beginnen. Für Heyerdahl ist all dies Hinweis auf eine gemeinsame Einwanderung an die Stätten quasi sämtlicher Hochkulturen – die aber irgendwo hergekommen sein muss.
Aus der Zeit um 3000 v. Chr. ist in Mesopotamien eine gewaltige Lehmschicht als Spur einer großen Überschwemmung gefunden worden, die mit den rätselhaften Sintflut-Sagen fast aller Völker der Erde korrespondiert, auch mit dem Bericht über den Untergang von Atlantis – welches der Norweger auch tatsächlich als den Ursprungsort aller Hochkulturen vermutet. Wohl wissend um die Fallstricke dieses Themas, formuliert Heyerdahl allerdings nie mehr als flüchtige Ahnungen in dieser Richtung – dennoch ist dies der Grund für seine „Tigris“-Fahrt, mit der er insbesondere der Herkunft der von der See her ins Zweistromland eingewanderten Sumerer nachspüren will.
Bei „Kon-Tiki“ hatte er eine fertige Theorie im Rucksack gehabt, bei „Ra“ immerhin eine halbfertige; seine „Tigris“-Fahrt hingegen setzt der Wikinger geradezu als „Fühler“ ein, um überhaupt erst eine Theorie bilden zu können.
Er baut die „Tigris“ – mit 64 Jahren! – wieder mit Hilfe von Aymara-Indianern und etlicher irakischer Sumpfbewohner (s. u.) aus im August geschnittenem Berdi-Schilf von der Euphrat-Tigris-Mündung (weil die Sumerer sein Ausgangspunkt sind). Mit 18 Metern wird es sein größtes Schiff, für eine 11-köpfige internationale Besatzung. Und es wird sein erstes Schiff, welches sich wirklich manövrieren lässt, im Gegensatz zu seinen früheren auch gegen Wind und Strömung. Das war bei allen alten Schilfschiffen der Fall gewesen; auf den „Ra“-Fahrten fehlte Heyerdahl noch die Erfahrung dafür. (Noch mehr vervollkommnet hat das Gegen-den-Wind-Segeln später Dominique Görlitz auf seinen „DILMUN“- und „ABORA“-Schilfschiffen, bei welchen er hölzerne Seitenschwerter einsetzt).
Wohin? Nach Atlantis? Zum ersten Mal hat er kein klares Ziel vor Augen, fährt 1977 vom Irak aus buchstäblich ins Blaue hinein. Seine erste Zwischenlandung ist die Golf-Insel Bahrein, welche der dortige Ausgräber Geoffrey Bibby mit „Dilmun“ identifiziert. Auf Bahrein stößt er auf Stufenpyramiden vor-sumerischer Art und „Schilf“-Boote am Strand, diesmal allerdings aus den Wedeln der Dattelpalme.
Und er stößt auf Zyklopenmauern, neben Stufenpyramiden, schwimmenden Schilfinseln (s. u.) und Schilfschiffen eine weitere heiße Spur, die er verfolgt, seit er ihnen auf der Osterinsel und in Peru in so eindrücklicher Weise begegnet war. Außer in Peru finden sich Zyklopenbauwerke aber bei den Achäern (Mykene), Hethitern und Ägyptern, in Assyrien, Baalbek (Libanon) und im an der marokkanischen Atlantikküste liegenden Lixus, am frühesten aber auf Malta (3600 v. Chr.) – sie ziehen sich auf der anderen Seite auch bis weit nach Asien hinein. Hat sich der „Schilfboot-Sturm“ um ca. 3400 v. Chr. nicht nur nach Amerika, sondern eventuell gleichzeitig auch nach Asien ergossen? (Heyerdahl denkt diesen Gedanken noch nicht.)
Nach Bahrein gibt es eine Zwischenlandung der „Tigris“ in Oman, um dort eine frisch entdeckte Stufenpyramide in der Wüste zu besichtigen. Auch hier „Schilf“-boote aus Dattelpalmblättern am Strand. Der Oman ist das alte „Magan“, ein Königreich, welches die alten Kulturen auf Schilfbooten überreichlich mit Kupfer beliefert hatte.
Als Abschluss der ersten Etappe dann Mohenjo-Daro aus der Induskultur (er lässt die „Tigris“ an der Küste und fährt mit seiner Crew ein Stück den Indus aufwärts), vermutlich das alte „Meluhha“, mit dem sowohl Dilmun wie auch Sumer rege Handelsbeziehungen unterhalten hatten. Auch hier begegnet er uralten Darstellungen von Schilfschiffen (die Indus-Kultur kennt außerdem auch Stufenpyramiden ähnlich den Zikkurats). Woher kommt die Indus-Kultur? Auch aus Atlantis?
Auf der Fahrt hört er im Radio einen Bericht, Thor Heyerdahl wolle jetzt mit der „Tigris“ Amerika von der anderen Seite, über den Pazifik erreichen, quasi als Umkehrung der Kon-Tiki-Fahrt. Er ist empört, was man ihm andichtet. Man kann doch so herum gar nicht über den Pazifik fahren, siehe die spanischen Karavellen! Haben denn die Leute gar nichts von ihm gelesen?
Er wendet den Bug, segelt von Pakistan aus um die Arabische Halbinsel herum und möchte eigentlich nach Ägypten, wird aber durch einen lokalen „Stellvertreter“-Krieg dazu gezwungen, nahe dem Horn von Afrika in Dschibuti zu landen, wo er die „Tigris“, sein bestes Schiff, als Friedensdemonstration gegen den Krieg verbrennt. Fünf Monate ist sie unterwegs gewesen und wäre wohl noch weitere Monate geschwommen. Gefährlichen Stürmen haben alle seine Fahrzeuge getrotzt. Nicht ausgeschlossen, dass er, ohne es zu ahnen, mit Ostafrika tatsächlich im eigentlichen Heimatgebiet der Sumerer gelandet ist, lässt doch die Bibel den gewaltigen König Nimrod („ein großer Jäger vor dem Herrn“) von Äthiopien aus das Zweistromland erobern. In jedem Falle ist die Route um die Arabische Halbinsel herum (und weiter nach Ägypten) von den alten Schilfschiffen in beiden Richtungen viel befahren worden.
Die „Tigris“-Fahrt war dennoch alles andere als umsonst, denn Heyerdahl stößt bei diesem Lösungs-Versuch auf ein völlig verrücktes Phänomen, welches tatsächlich an der Wiege aller Hochkulturen zu stehen scheint und damit wohl wirklich in urferne Vergangenheiten zurückweist, wo wenn überhaupt, dann Atlantis zu suchen ist: eine „amphibisch“ zu nennende Kultur von Schilfbooten und Schilf-Häusern auf schwimmenden Schilf-Inseln. Er ahnte diese Spur bereits früher, als er den mexikanische Stamm der Tolteken nach rückwärts verfolgt hatte:
Diese „Tolteken“ – innerhalb derer der den Sagen nach weiße und bärtige Gottkönig Quetzalcoatl so auffällig in Erscheinung getreten war – heißen direkt das „Schilf-Volk“, „Tollan“, ihre Hauptstadt, ist der „Ort des Schilfes“ – „Tollan“ werden auch viele Metropolen von Vorläufer-Kulturen der Tolteken genannt, insbesondere die direkte Vorläufer-Stadt Teotihuacan (Abb. 7). Überall in Mexiko aber, wo es Seen, Flüsse oder Schilfsümpfe gibt, wird noch zur Zeit der spanischen Eroberung auf schwimmenden Schilfinseln – „Chinampas“ – Gemüse angebaut, sogar in der auf einer schilfbewachsenen Sumpfinsel erbauten Azteken-Hauptstadt Tenochtitlan, einem „Venedig der Neuen Welt“. Auf schwimmenden Schilfinseln lebten auch (wie Heyerdahl in „Die Pyramiden von Tucumé” berichtet) viele Küsten-Indianer von Peru und lebten bis vor Kurzem noch die Uru-Indianer (sind in den Achtziger Jahren ausgestorben) auf dem Titicacasee:
„Ein paar Tage später saß ich inmitten einer Gruppe von Uru-Indianern auf einer schwimmenden Insel (Abb. 8) im Titicacasee und briet Fische. Die ganze Insel bestand aus Schilf-Bündeln, Schilf, das zu einem dicken Haufen übereinandergeschichtet war. In dem Maße, wie die unteren Schichten faulten und absackten, wurde frisches Totora-Schilf geschnitten und obenauf gelegt. Der ganze Teil dieses Sees war mit künstlichen Schilfinseln bedeckt, die – nur durch enge Kanäle getrennt –, Seite an Seite lagen; und ringsum, so weit das Auge reichte, wuchs Schilf. Die Boote sind aus Schilf und tragen Rahsegel aus zusammengebundenen Schilfhalmen. Schilf ist der einzige Brennstoff für das Herdfeuer. Vermodertes Schilf, mit vom Festland geholter Erde vermischt, wird zur Anlage kleinerer Beete auf den schwimmenden Inseln benutzt, und auf diesen Beeten baut man die traditionelle Süßkartoffel an. Das Dasein hat keinen stabilen Punkt, der Boden schaukelt unter den Uru-Indianern, ob sie nun über den Fußboden der Hütte gehen oder über den kleinen Kartoffelacker vor der Tür.“ [3]
Abb. 8 Eine Schilfinsel der Uros auf dem Titicacasee
„Eins Schilfrohr“ ist gleichzeitig das Jahr des Beginns der mexikanischen Zeitrechnung um 3114 v. Chr. Riesige Schilfsümpfe zwischen der Olmeken-Stadt La Venta und der Maya-Stadt Palenque sind aber nach der Tzendal-Maya-Sage von dem blonden Kulturbringer Votan, der mit seinem Gefolge aus dem „Land der aufgehenden Sonne“ auf Schlangenflößen (Schilfschiffen) ankommt, das Einfallstor der weißen und bärtigen Männer nach Mexiko.
Aber noch viel weiter führt die Schilf-Spur zurück: das toltekisch-mayanische Epos „Popul Vuh“ beschreibt die Herkunft der „Erzväter“ aus dem ebenfalls jenseits des Meeres gelegenen „Land der aufgehenden Sonne“ und dessen Hauptstadt Tulan. Selbst die europäische Metropole, von welcher die Erzväter ausziehen, ist also ein „Ort des Schilfes“! Tollan entpuppt sich somit, wie Heyerdahl vermutet, als Reminiszenz des Schilf-Volkes der Tolteken an ihre Heimat aus dem „Lande der aufgehenden Sonne“, d. h. Europa.
Abb. 9 Die Schilf-Sümpfe im Süd-Irak, bevor Saddam Hussein sie trockenlegen und zur Wüste machen ließ
In der Alten Welt war Heyerdahl bewohnten schwimmenden Schilfinseln bereits am Tschadsee begegnet, wo er seine Bootsbauer für die „Ra I“ rekrutiert hatte. Auch das Nil-Delta (Unterägypten) war in vor- und frühdynastischer Zeit ein Gebiet ausgedehnter Schilfsümpfe, ebenso der gegen 1200 v. Chr. ausgetrocknete riesige Tritonsee in Tunesien – quasi überall, wo es solche Sümpfe gab, wurden auch Schilfboote gebaut: auch dies ein Indiz für ein weltumspannendes Seefahrervolk. Das Gilgamesch-Epos berichtet, dass Ut-Napischtim, der „mesopotamische Noah“, sein Schilfhaus abreißt, um sich daraus die Arche als Schilfschiff zu bauen.
Jetzt führen den Norweger (zusammen mit der Atlantis-Frage) noch nicht gelöste technische Probleme der Schilfboote, die er mit der „Tigris“ angehen will – auch die „Ra II“ hatte noch Konstruktionsfehler gehabt, war vor allem nicht gegen den Wind zu segeln und das Schilf saugte sich zu schnell mit Wasser voll – ausgerechnet zu einem Volk, welches bis vor Kurzem noch eine alt-sumerische Lebensweise zeigte. Denn der Süden des ehemaligen Sumer, dort, wo Euphrat und Tigris zusammenfließen, ist ein riesiges Sumpfgebiet (Abb. x), über und über mit Berdi-Schilf bewachsen. Auch hier lebten die Menschen auf schwimmenden Schilfinseln in mit nach beiden Seiten offenen Schilfhäusern, durch die der Wind hindurchpfeift (Saddam Hussein hat diese Sümpfe inzwischen trockengelegt und zur Wüste gemacht; seit wenigen Jahren ist man dabei, sie wieder zu fluten) – genau solche Schilfhäuser bilden bereits die alten Sumerer ab. Eine Generation vor Heyerdahls Besuch dort waren auch in diesen Sümpfen noch Schilfschiffe in Gebrauch gewesen.
Von Hagi, einem 100-jährigen Patriarchen der irakischen Sümpfe, erfährt der Wikinger, dass das Berdi-Schilf im August geschnitten werden müsse, damit es lange im Wasser schwimmt, weil ihr eigener Saft dann die Halme gegen ein Verfaulen im Meerwasser imprägniert.
Thor Heyerdahl erlebt in der Begegnung mit den ihn in ihrer Ursprünglichkeit zutiefst berührenden Menschen der schwimmenden Schilfinsel-Kulturen einen Nachklang des Paradieses – diese „amphibische“ Kultur ist ihm wie ein „Gruß aus Atlantis“. Er ahnt, dass es einmal ein über die Erde verteiltes Wasser- und Schilf-Volk gab, welches merkwürdigerweise gleichzeitig diese starke Beziehung zur Steinbearbeitung hatte. Aus diesem die Ozeane überquerenden Volk wurden damals weltweit die Hochkulturen geboren. Man ahnt hinter diesem merkwürdigen Phänomen eine Frage, die der Norweger nicht einmal auszusprechen wagt: Hat es einmal ein Volk gegeben, welches vollständig auf dem Meere gelebt hatte?
Atlantis hat Thor Heyerdahl durch seine „Tigris“-Fahrt nicht gefunden; dieses Problem ist viel diffiziler, als er es sich vorstellt. Noch viel weniger als bei der „Ra“-Problematik kann er hierüber eine Theorie aufstellen, über vage Ahnungen kommt er nicht hinaus. Je weiter er zu den Wurzeln dieses rätselhaften mediterranen Volkes vordringt, umso schwieriger wird notgedrungen die Verfolgung der Spur.
Auf den Malediven-Inseln südlich von Indien hatte man Heyerdahls „Tigris“-Fahrt verfolgt und gehofft, er würde dort vorbeisegeln. 1983 wird er offiziell gebeten, auf den Malediven Ausgrabungen zu machen. „Unsere Ausgrabungen zeigten“, schreibt er in „Auf Adams Spuren“ (München 2001), „dass die Buddhisten, ehe die Araber 1153 die Inselgruppe entdecken, ihre Stupas auf den Ruinen früherer hinduistischer Tempel gebaut hatten. Aus noch früheren Perioden fanden wir Steinskulpturen von unbekannten Seefahrern mit elegantem Schnurrbart und langgezogenen Ohren wie auf der Osterinsel“. Wieder Zyklopenmauern und Stufenpyramiden, wieder lange Ohren, wieder auch die roten Haare, die den Sagen nach dieses Volk der "Redin" gehabt haben soll!
Zyklopenmauern findet er auch in einer frühen Kulturschicht des benachbarten Ceylon, das er von den Malediven aus auf der Suche nach Kulturverwandtschaften besucht. Die langen Ohren verweisen ihn auf die Indus-Kultur, wo sie seiner Meinung nach zum ersten Mal aufgetaucht sind, um sich von dort über ganz Ostasien zu verbreiten.
Was er m.E. versäumt, ist, das Woher und Wohin der maledivischen Stufenpyramiden zu erforschen. Er hätte hier eine Verbindung von den Stufenpyramiden auf den Kanarischen und den Mittelmeer-Inseln (die er natürlich beide damals noch nicht kannte!) über die sumerischen Zikkurats, Stufenpyramiden im Oman und in Pakistan, in Indien und eben den Malediven, auf Mauritius bis hin zu den polynesischen Stufenpyramiden (Marae bzw. Ahu) im Pazifik finden können.
Fortsetzung: Zweiter Durchgang (Señor Kon-Tiki - Teil 15)
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Anmerkungen und Quellen
Fußnoten:
- ↑ Quelle: Thor Heyerdahl, „Tigris“, Berlin 1979
- ↑ Quelle: Leonard Woolley, „The Sumerians“, New York 1965; zitiert nach: [Dominique Görlitz: „Schilfschiff Abora“, Hamburg 2000
- ↑ Quelle: Thor Heyerdahl, „Expedition Ra“
Bild-Quellen:
- 1) Thor Heyerdahl - © Kon-Tiki Museum
- 2) Saqib bei Wikimedia Commons, unter: File:Mohenjodaro - view of the stupa mound.JPG
- 3) Bildarchive Dominique Görlitz und Atlantisforschung.de
- 4) Dominique Görlitz, Mission ABORA, unter: ABORA II - 2002
- 5) Fæ bei Wikimedia Commons, unter: File:Library of Ashurbanipal The Flood Tablet.jpg
- 6) Oben: Jastrow, File:Sitting bull Louvre AO7021.jpg; unten: Pebble101 , File:Nandibull.jpg (beide bei Wikimedia Commons, Bildbearbeitung durch Atlantisforschung.de)
- 7) Flickr upload bot bei Wikimedia Commons, unter: File:Teotihuacán0.jpg
- 8) Cmunozjugo bei Wikimedia Commons, unter: File:Uros3.jpg
- 9) Thor Heyerdahl - © Kon-Tiki Museum
- 10) Upload Bot (Magnus Manske) bei Wikimedia Commons, unter: File:Marsh Arab girl.jpg
- 11) Kon-Tiki Museum, unter: Thor Heyerdahl 1014-2004