Die Diffusionismus-Isolationismus-Kontroverse
von Dr. Horst Friedrich (2005)
Unter Diffusionismus versteht man die Ansicht [1], dass die Hochkulturen der Vergangenheit alle in Kontakt miteinander standen, sich austauschten und gegenseitig bereicherten und befruchteten, dass ethno-linguistische und kulturelle Querverbindungen bestanden. Unter Isolationismus versteht man das Gegenteil. Nämlich, dass die Hochkulturen der Vergangenheit sich isoliert, voneinander "abgekapselt", ohne nennenswerte Querverbindungen entwickelt hätten. Alt-Ägypten hätte in dieser Sicht der Dinge also keinen Kontakt mit der Indus-Kultur gehabt, um ein paar Beispiele zu bringen, Shang-China nicht mit den Olmeken, Alt-Peru nicht mit Alt-Kreta und Alt-Zypern. [...]
Das Hauptargument, das Laien gegenüber vorgebracht wird, etwa in Medien-Diskussionen, in Museen und bei Laien-Zuschriften an populärwissenschaftliche Zeitschriften: Ja sehen Sie, die alten Hochkulturvölker hatten ja keine Hochseeschifffahrt, sie konnten keine Überseeverbindungen einrichten, die Voraussetzung für solchen Austausch gewesen wäre. Sie hatten keine hochseefähigen Schiffe, betrieben nur Küstenschiffahrt in Landsicht und scheuten zurück vor dem endlosen Ozean. Mit ihren navigatorischen Fähigkeiten haperte es auch. Sie hatten keinen Kompass. Sie konnten zwar zur Not die geographische Breite bestimmen, nicht aber die geographische Länge, das gelang erst den Europäern der Neuzeit mit der Erfindung des Chronometers. Sollte also wirklich einmal ein vereinzeltes Schiff einer dieser alten Hochkulturen, oder vielleicht sogar eine kleine Flotte, durch Zufall an eine ferne Küste verschlagen worden sein, hätten sie ja unmöglich den Weg zurück nach Hause finden können. Von ihren Entdeckungen hätte man also in ihrer Heimat nie etwas erfahren.
So etwa geht meist diese "Story". Leider ist das nur von vorne bis hinten, alle Detailbehauptungen eingeschlossen, der größte Unsinn, den man sich denken kann! Es mag ja sein, dass jene Museumsleute und Redakteure populärwissenschaftlicher Zeitschriften, die solche Sachen erzählen, teilweise in gutem Glauben so reden, weil sie es nicht besser wissen. Das ist durchaus nicht so unmöglich, wie es scheint. Aber dann sollten sie sich nicht zu Fragen äußern, in denen sie nicht kompetent sind.
Solche Behauptungen sind reiner Mumpitz. Sie sind ganz einfach sachlich falsch, unzutreffend. Das lässt sich belegen! Allerdings erfordert das sehr viel Arbeit. Das Studium ungezählter Werke, auch ausgefallener, und Zeitschriften in großen öffentlichen Bibliotheken. Und sehr viel wissenschaftliche Korrespondenz. Das erfordert großen Zeitaufwand. Es entstehen auch allerhand Kosten, die - wenn man nicht verbeamteter Establishment-Wissenschaftler ist - aus der "Privatschatulle" beglichen werden müssen. Vor allem aber: man hält da nur durch, wenn man große Liebe zur Sache hat. Wenn man ein "Amateur" im ursprünglichen Sinne ist: ein Liebhaber der Wissenschaften.
Und das sind unsere verbeamteten Establishment-Wissenschaftler keineswegs alle. Gar mancher ist ist da zu seinem Wissenschafts-Schreibtisch "irgendwie" gekommen, und hat dann vielleicht schon bald kein so rechtes Interesse an der Sache mehr. Da es aber eine verbeamtete, sichere Stelle ist, bleibt man halt dort. Und versucht vielleicht eher, es sich bequem zu machen, ohne allzu aufwendige Aktivitäten. Die Mittel sind sowieso meist rar. Der Professor dominiert das Ganze, und er ist eindeutig dem Mainstream zuzurechnen. Man wird also den Teufel tun, unangenehm aufzufallen, sondern sich im Gegenteil bemühen, ein akzeptiertes Mainstream-Mitglied zu werden.
Wie gesagt: zum Glück sind nicht alle Establishment-Wissenschaftler so. Ich kenne eine ansehnliche Zahl, auf die meine Erzählung keineswegs zutrifft. Aber auch sie bestätigen mir, dass es in der Tat sehr oft so ist. Es ist also nicht das geringste Wunder, dass und warum allerhand Fragen von erheblicher wissenschaftlicher Bedeutung, bei denen aber schon die Fragestellung dem Mainstream unangenehm ist, über Jahrzehnte hinweg im Establishment einfach nicht ordentlich untersucht, geschweige denn einer wissenschaftlich einwandfreien Klärung zugeführt werden.
Doch zurück zur Diffusionismus-Isolationismus-Kontroverse! [...] Da ist einmal die Sub-These innerhalb der isolationistischen General-Doktrin, die alten Hochkulturen hätten sich schon alleine deswegen von interkontinentalen, maritimen Aktivitäten fernhalten müssen, weil sie erstens keine hochseetüchtigen Schiffe gehabt hätten, zweitens nicht im Besitz genügender nautischer Fähigkeiten und Erfahrungen gewesen seien, und drittens nicht hätten die geographische Länge bestimmen können. [...]
Wer auch immer sich auf gründliche, wissenschaftliche Weise mit der Seefahrtsgeschichte befasst und die zahlreichen einschlägigen Werke über die diesbezüglichen Fähigkeiten der alten Hochkulturvölker studiert, der kann gar nicht auf die Idee kommen, sie hätten keine hochseefähigen Schiffe besessen. Mir ist es wirklich absolut unverständlich, wie ein seriöser Wissenschaftler so etwas behaupten kann.
Wenn man z.B. das Werk INDIAN SHIPPING - A HISTORICAL SURVAY von Baldeo Sahai, oder den exzellenten Beitrag GREAT OCEANGOING SHIPS OF SOUTHERN CHINA von Christoph Wake im INTERNATIONAL JOURNAL OF MARITIME HISTORY studiert, ist klar, dass die alten Hochkulturen Südostasiens in dieser Hinsicht enorm potent waren. Und dies ist nur ein winziger Ausschnitt aus der Spezial-Literatur! Indien und China, wohl auch Ceylon und Kambodscha, Vietnam, und nicht zuletzt Indonesien dürften schon in vorchristlicher Zeit hochseefähige Schiffe (und selbstredend entsprechend erfahrene und Mannschaften) gehabt haben, gegen des Kolumbus' Karavellen (Abb. 3) geradezu lächerlich klein waren.
Eine der beeindruckendsten Darstellungen der transpazifischen, sehr alten Kulturbeziehungen zwischen Alt-Amerika und Südostasien, die zumindest den Kultur-Diffusionismus beweisen (implizit aber auch einen gewissen ethno-linguistischen Diffusionismus mit enthalten), ist eine Arbeit von Cornelia Giesing, DAS VORKOLUMBISCHE AMERIKA IN TRANSPAZIFISCHER SICHT, die 1992 vom Staatlichen Bayerischen Völkerkunde-Museum in München anlässlich des Kolumbus-Jahres herausgegeben wurde. Die Schlussfolgerung dieser sehr kompetenten Autorin lautet: "Den Weg von Asien nach Amerika übers Meer hatten wahrscheinlich bereits seit den Jahrhunderten vor Christi Geburt Chinesen und Inder gefunden, mit hochseetüchtigen Schiffen, die denen der Spanier des 16. Jahrhunderts durchaus überlegen waren." Dies bestätigt, was soeben gesagt wurde.
Seit einiger Zeit scheinen sich dem Bonner Privatgelehrten und ausserordentlich beschlagenen Linguisten Kurt Schildmann, der 1994 die Indus-Schrift als Sanskrit entziffert hatte. [2], darüber hinaus Anhaltspunkte zu ergeben für die Vermutung, dass die Hochkultur Alt-Indiens einst sogar eine weltweit kolonisierende Rolle gespielt haben könnte, ähnlich der europäischen Kultur im Barock-Zeitalter und danach. In einer Sanskrit-Variante, respektive einer Indus-Schrift-Variante, beschriftete Objekte aus der Crespi-Sammlung [3] in Ecuador, aus der bisher umstrittenen Burrows Cave [4] in Illinois/USA, und aus de[r] ebenso umstrittenen [Fundstätte von] Glozel] (Südfrankreich) [5] scheinen dies zu bestätigen.
Dies würde einen interessanten neuen Aspekt für die Diffusionismus-Forschung ergeben. Es würde sich dann beim Diffusionismus nicht nur um ein Miteinander-in Kontakt-Stehen zwischen verschiedenen alten Hochkulturen handeln, sondern es müsste auch noch das kulturdiffusionistische und ethno-linguistisch beeinflussende Wirken einer einst weltweit aktiven, prähistorischen Hochkultur (das bisher allenfalls von Außenseitern vermutet wurde) mit ins wissenschaftliche Kalkül gezogen werden.
Zu dem vom Mainstream angezweifelten Besitz der erforderlichen nautischen Fähigkeiten bei den alten Hochkulturen lässt sich also zumindest für die alten Hochkulturen Südostasiens konstatieren: Ob diese alten Hochkulturen diese Fähigkeiten und die dazugehörigen Schiffe hatten, ist nicht die Frage. Da sie, so weit wir wissen, keine Flugzeuge hatten, müssen sie diese Fertigkeiten und Schiffe gehabt haben, da sonst der erwiesene Austausch von materiellen Gütern, Ideen und handwerklich-künstlerischen Fertigkeiten mit Alt-Amerika nicht möglich gewesen wäre.
Und was schließlich die Behauptung angeht, man hätte vor der Erfindung des Chronometers durch die westliche Zivilisation nicht ferne Küsten gezielt ansteuern können, da man die geographische Länge ohne diesen nicht hätte feststellen können, so ist das wieder einmal eine der vielen vom Mainstream einfach so "hingehauenen" Behauptungen, die - obzwar wissenschaftlich höchst suspekt - alsbald zum Paradigma hochstilisiert wurden und die dann niemand, der auf eine Karriere in der Establishment-Wissenschaft hoffte, weiterhin hinterfragen durfte.
Thor Heyerdahl hat in seinem Werk EARLY MAN AND THE OCEAN die Windigkeit dieser Behauptung hinlänglich nachgewiesen. Es ist ja auch offensichtlich, dass beispielsweise die Polynesier oder die Wikinger, die beide keine Chronometer besaßen, sehr wohl in der Lage waren, ferne Küsten gezielt anzusteuern und auch wieder den Weg übers Meer zurück nach Hause zu finden. Wobei der Fall der polynesischen Seefahrer besonders beeindruckend ist. Sie konnten beispielsweise von Hawaii aus genau winzige Inselgruppen im Südpazifik ansteuern. Allerdings hatten ihre Navigatoren eine jahrelange intensive Ausbildung zu absolvieren.
Im übrigen hatte der überaus praktisch veranlagte Selfmade-Privatforscher Evan Hansen in Utah/USA schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass die alten Hochkulturen zur geographischen Längenbestimmung auf dem Ozean keineswegs auf den Chronometer angewiesen waren, sondern dass sie dies, sofern sie einfache Sternkataloge und eine Mondephimeride besaßen (und dies hatten sie), auch mit Hilfe eines einfachen Peilstabes erreichen konnten.
Anmerkungen und Quellen
Dieser Beitrag von Dr. Horst Friedrich (1931-2015) wurde seinem Buch "Träumer und Traumwelten - Wahrheit und Lüge im Erkenntnisprozess unserer Zeit" - S. 74-81 - (© Eva-Maria Friedrich) entnommen, das im Jahr 2005 im Buchverlag König veröffentlicht wurde. Bei Atlantisforschung.de erscheint er im Juni 2017 - mit freundlicher Genehmigung der Tochter und Erbin des Autors - in einer gekürzten und redaktionell bearbeiteten Fassung im Rahmen des Dr. Horst Friedrich Archivs.
Fußnoten:
- ↑ Red. Anmerkung: Horst Friedrich lieferte hier in diesem kleinen Exkurs, der sich vor allem an interessierte 'Nicht-Fachleute' richtet, bewusst eine vereinfachende Darstellung des Begriffs 'Diffusionismus', die sich auf den heutigen Forschungsschwerpunkt der meisten 'bekennenden' Kulturdiffusionisten konzentriert. Zu einer umfassenderen Darstellung und der historischen Entwicklung des Diffusionismus siehe: Bernhard Beier, "Eine kleine Geschichte des Diffusionismus" (2014)
- ↑ Siehe dazu: Dr. Horst Friedrich, "Eine sensationelle Entzifferung" - Vorbemerkungen zu Kurt Schildmanns Entzifferung der »Indus-Kultur«-Schrift als Sanskrit (1994)
- ↑ Red. Anmerkung: Siehe dazu bei Atlantisforschung.de auch: Reinhard Habeck, "Die Kunstschätze des Pater Crespi" (2001)
- ↑ Red. Anmerkung: Siehe dazu bei Atlantisforschung.de auch: Dr. Horst Friedrich, "Jahrhundertentdeckung Burrows Cave" (1994); und: Reinhard Habeck, "Der Goldschatz von 'Burrows Cave'" (2001); sowie: Frank Joseph, "Burrows Cave - Mauritanier in Illinois"
- ↑ Red. Anmerkung: Siehe dazu bei Atlantisforschung.de auch: R. Cedric Leonard, "Die Schrift-Tafeln von Glozel"
Bild-Quellen:
- 1) Morn the Gorn bei Wikimedia Commons, unter: File:Russian Ship Chronometer.jpg
- 2) Bild-Archive Dominique Görlitz und Atlantisforschung.de
- 3) Nicke L bei Wikimedia Commons, unter: File:Karavelle.png
- 4) Thor Heyerdahl, "Kon-Tiki" - © Kon-Tiki Museum, Oslo