Stichwort 'Atlantis' in Pierer's Universal-Lexikon (1857)

Eine kurze Vorbemerkung

Abb. 1 Die Titelseite des ersten Bandes von Pierer's Universal-Lexikon aus dem Jahr 1857

(red) Um im Bereich der Atlantologie-Historik gesicherte Aussagen machen zu können, wann und in welchem historischen Kontext sich im 19. Jahrhundert die noch heute im fachwissenschaftlichen Bezirk prädominante Lehrmeinung des von Platon >erfundenen Atlantis< (Fiktionalitäts-These) herauszubilden und zu verfestigen begann, ist die vergleichende Betrachtung der Enzyklopedien und Lexika jener Zeit von großem Nutzen. Spiegeln sie doch - auch in Bezug auf Atlantis und das Atlantis-Problem - wider, was man in Kreisen des Bildungsbürgertums damals als 'gelehrsam' und dem gehobenen Allgemeinwissen nützlich erachtete.

Zu den Werken, die bei einer solchen Beschau Berücksichtigung finden müssen, gehört auch das Universal-Lexikon der Gegenwart und Vergangenheit von Heinrich August Pierer (1794–1850), das der Enzyklopädist Günter Gurst, wie es in der deutschaprachigen Wikipedia heißt, als „das erste voll ausgeformte moderne allgemeine Lexikon[1] bezeichnet hat.

Das Lemma 'Atlantis' bei Pierer (1857–1865)

Atlantis, 1) (Atlantica), nach der Sage der Alten große Insel jenseit der Säulen des Hercules im |Atlantischen Meere, die in einer Fluth untergegangen sein soll. Plato nennt als Gewährsmann einen ägyptischen Priester, welcher dem Solon von diesem untergegangenen Lande erzählt habe, u. gründet darauf Dichtungen von Bevölkerung der Insel durch Neptun u. menschliche Frauen, von der Herrschaft der Nachkommen desselben über Libyen u. WEuropa, von der Besiegung dieser durch Athener etc. Das ehemalige Dasein der A. selbst ist von Vielen als Wahrheit genommen worden, u. die Vertheidiger dieser Meinung (Baudelot, Kant u. A.) halten die Azoren u. Canarias für Überbleibsel dieser Insel u. glauben, die Zerstörung sei durch eine von S. kommende Fluth bewirkt worden. Andere, z.B. Bircherod, hielten Amerika (s.d. [Gesch.]), Olaus Rudbek sogar Skandinavien für die A. Die neueste Ansicht von Noroff (Die A., nach griech. u. arab. Quelle, Petersb. 1854) setzt die A. dagegen in den östlichen Theil des Mittelmeers, indem das Atlantische Meer im frühesten Alterthum das Westmeer war, welches mit der Zeit immer weiter nach W. u. endlich über die Säule des Hercules hinausverlegt wurde, von Anfang an aber das Meer westlich von Kleinasien war, also müsse auch die A. im W. von Asien gesucht u. als Reste davon Cypern, Kreta, Rhodos u. die Inseln des Archipelagus angesehen werden; 2) auf den älteren venetianischen Karten, bes. der Gebrüder Zeni, ein außerhalb der Windrose verzeichnetes großes Land, im W. der Azoren u. Canarias, das in 2 Hälften getheilt u. in der Mitte von einem breiten Golf durchschnitten ist; wahrscheinlich Amerika, s.d. (Gesch. Geogr.); 3) (Neue A.), nach der Fiction Baco's von Verulam eine Insel des Atlantischen Oceans, auf welche er verschlagen wird, dort einen Verein zur Erforschung der Natur u. zur Hervorbringung großer nützlicher Werke (des Salomonischen Hauses od. des Vereins der 6 Tagewerke) findet u. diesen Verein beschreibt. [2]


Siehe bei Atlantisforschung.de auch:

  • Atlantis insula (Pauly´s Real-Encyclopädie der classischen Alterthumswissenschaft, 1866) (red)



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Anmerkungen und Quellen

Fußnoten:

  1. Quelle: Günter Gurst, "Zur Geschichte des Konversationslexikons in Deutschland" in: Hans-Joachim Diesner und Günter Gurst (Hrsg.), "Lexika gestern und heute", Leipzig 1976, S. 137–169; zit. nach: Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, unter: "Universal-Lexikon der Gegenwart und Vergangenheit"
  2. Quelle: Lemma "Atlantis", in: Pierer's Universal-Lexikon der Gegenwart und Vergangenheit, vierte Auflage (1857–1865), online bei Zeno.org (redaktionelle Bearbeitung mit neuer Verlinkung durch Atlantisforschung.de im Mai 2019)

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